Schon in ihrer Kindheit hatte sich Wilhelmine (1709–1758), die älteste Tochter des preußischen „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I., intensiv mit der Antike auseinandergesetzt. Diese Beschäftigung war zwar auch zeitbedingt und gehörte zum klassischen Bildungskanon an den adligen Höfen des 18. Jahrhunderts, überstieg bei der späteren Markgräfin von Bayreuth aber das gesellschaftlich erwartete Niveau. Dies geht vor allem auf Wilhelmines ersten Lehrer Maturin Veyssière La Croze zurück. Der gebürtige Franzose war Benediktinermönch gewesen, dann aber aus dem Kloster geflohen und in Preußen mit offenen Armen empfangen worden. Als Privatlehrer erwarb er sich in Berlin einen so ausgezeichneten Ruf, daß der „Soldatenkönig“ ihn zum Erzieher seiner ältesten Tochter berief.
Als Markgräfin in Bayreuth ließ Wilhelmine die Räume ihrer Schlösser mit Bildern schmücken, die bevorzugt antike Themen widerspiegelten. Auch die in Bayreuth aufgeführten Opern spielten – der Vorliebe der Zeit entsprechend – in der Antike. Bei Kostümfesten schlüpften die Höflinge in „antike“ Gewänder, verkleideten sich als „heidnische Götter“, und der Bayreuther Hof verwandelte sich in den Parnaß (der in der Antike als Sitz Apolls und der Musen galt). Unter den gut 4000 Bänden von Wilhelmines Bibliothek überwog ebenfalls die alte Geschichte.
Wilhelmine lebte in und mit der Antike. Am deutlichsten wird dies bei dem auf ihre Vorstellungen zurückgehenden Neuen Schloß der Bayreuther Eremitage. Im Mittelpunkt der 1749 begonnenen Anlage steht der Sonnentempel, auf dessen Kuppel Apoll mit seinem Wagen durch die Welt zieht, um ihr das Licht zu bringen. Der Sonnentempel wird für Wilhelmine zum Zentrum der Harmonie, der Weisheit, des philosophischen Gesprächs, aber auch der dank kluger Herrschaft geordneten Welt. Und dabei ist Apoll unerläßlich, war er doch nicht nur der Gott der Musik und der Künste, sondern auch der Gott des Lichts – und damit der Licht bringenden Aufklärung, der sich Wilhelmine und ihr Bruder verbunden fühlten.
Vor dem Hintergrund dieser Verbundenheit und weil es zugleich ein Zeichen des guten Geschmacks und des eigenen Stellenwerts war, interessierte sich Wilhelmine schon früh für den Aufbau einer Antikensammlung: „Wir haben einen guten Anfang mit einer Sammlung antiker Kupfermünzen gemacht, die ich mit großer Mühe zusammengebracht habe. Die ganze Reihe der Kaisermünzen ist vorhanden, außerdem sind sehr merkwürdige Antiken darin“, schrieb sie ihrem königlichen Bruder im Frühjahr 1737. Die – vor allem aufgrund des Geldmangels immer wieder verschobene – Reise nach Italien sollte nicht zuletzt dazu dienen, diese Sammlung auszubauen und durch Skulpturen, Vasen und andere Gegenstände zu vervollständigen.
Genauere Nachrichten über die vom Vesuv verschütteten römischen Städte erhielt sie Ende 1747, als der neapolitanische Gesandte in Dresden, Azzolino Malaspina, der markgräflichen Residenzstadt einen Besuch abstattete: „Er gab mir“, schrieb sie an ihren Bruder, „den beiliegenden Plan der neu entdeckten Stadt Herculaneum. Man hat dort zwei wohlerhaltene Flaschen Wein gefunden und eine Menge Gerste, zum Teil verdorben, zum Teil noch frisch, ferner Stücke von Goldborte …, eine Menge Statuen, fast sämtlich verstümmelt, Freskomalereien in nur drei Farben und zwei vollständige Mosaikfußböden … In der Stadt Pompeji, die dicht dabei liegt, sollen noch erstaunlichere Dinge zu finden sein …“
Als Wilhelmine ihre Reise im Herbst 1754 endlich antreten konnte, fuhr sie nicht direkt nach Italien, sondern über den Umweg Frankreich, denn gegenüber den auf Sparsamkeit bedachten Ständen der Markgrafschaft hatte sie eine Kur in Montpellier als Zweck der Reise angegeben. So erreichte sie erst am 15. April 1755 in San Remo italienischen Boden. Zwar besichtigte Wilhelmine dort auch Kirchen und Paläste und bewegte sich trotz des offiziell stets beibehaltenen Inkognitos auf dem gesellschaftlichen Parkett, doch das Hauptaugenmerk galt der Antike, deren erster Höhepunkt in Florenz auf sie wartete. Die sechs antiken Statuen in der Tribuna der Uffizien galten als die Meisterwerke klassischer Bildhauerkunst, und entsprechend beeindruckt war die Markgräfin: „Vor diesen schönen Resten des Altertums geriet ich in Begeisterung. Gemälde wollte ich noch nicht sehen, denn meiner Einbildungskraft sollten sich diese herrlichen Statuen erst recht einprägen … Ich bin wie ein Blinder, der nur allmählich sehen lernt und dadurch neue Anschauungen bekommt. Was ich von Italien gesehen habe, übertrifft alles, was man mir davon erzählt hat.“
Schon in Südfrankreich hatte Wilhelmine mit Ankäufen antiker Kunst begonnen. Dies setzte sie nun in Florenz fort, wo sie unter anderem ein Mosaikfragment aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. erwarb. Völlig vom „Einkaufsfieber“ gepackt wurde die Markgräfin in Rom: „Ich bin noch stets dabei, das antike Rom zu besuchen und mich mit ihm und seinen Bewohnern zu unterhalten“, schrieb sie dem Bruder im Mai 1755. „Hättest Du intelligente und kunstverständige Leute hier, Du fändest Antiken und Gemälde für ein Butterbrot. Man kann Granit- und Porphyrstücke, ja halbe Säulen für ein paar Zechinen haben. Diese herrlichen Marmorstücke liegen haufenweise auf den Straßen, ohne daß man danach fragt. Wäre nicht der Transport, wir könnten soviel mitnehmen, um ganze Säle damit zu täfeln, ohne den Wert der Steine zu bezahlen.“ Das mochte auf die Säulen zutreffen, nicht aber auf an?tike Kunstwerke. Für herausragende Exponate galt schon damals ein Exportverbot; nur minderwertige Stücke waren davon ausgenommen. Hier kamen Wilhelmine ihre guten Beziehungen zur Kurie zupaß, vor allem zu dem Kardinalstaatssekretär Silvio Gonzaga Valenti. Valenti sorgte dafür, daß der Hausantiquar des für Ausfuhrgenehmigungen zuständigen Kardinals Alessandro Albani die Markgräfin als Reiseleiter durch das antike Rom führte und ab und an ein Auge zudrückte, wenn jene der Markgräfin auf ein besonders schönes Stück gefallen waren.
Wilhelmine besichtigte nicht nur die päpstlichen Sammlungen, sondern auch die größeren Privatsammlungen, spazierte über das Forum und das Kapitol mit dem Reiterstandbild des Philosophenkaisers Mark Aurel, besuchte das Kapitolinische Museum mit seiner Sammlung antiker Skulpturen, und natürlich war sie im Kolosseum, dessen christliche Verwandlung sie erstaunte: „Vor ein paar Tagen war ich im Kolosseum“, schrieb sie am 17. Juni 1755. „Zu meiner Verwunderung sah ich im Inneren mehrere Altäre im Kreis aufgestellt. Mein Führer, ein Mann von Geist und ein großer Altertumsfreund, erzählte mir lachend, die Päpste hätten diese Stätte unter dem Vorwand der Märtyrertode weihen müssen, um ihre Zerstörung zu verhüten. So ruft man also den heiligen Leo und den heiligen Leopardus an, die ihr Blut in der Arena vergossen haben …“
Von Rom aus unternahm Wilhelmine nur einen längeren Ausflug, und dieser führte sie nach Kampanien. In der Umgebung Neapels besichtigte sie Pozzuoli, dessen Amphitheater eines der besterhaltenen der römischen Antike ist. In der Gegend von Baia, dem Côte d’Azur der An?tike, hatten die Größen der damaligen Zeit ihre Villen, ihre ländlichen Rückzugsorte, in denen sie abseits des römischen Trubels im Luxus schwelgen konnten: Wilhelmine empfand es als besonderes Privileg, diese geschichtsgesättigte Landschaft besuchen zu können, und ließ sich von großer Hitze nicht schrecken. Sie stieg in Gräber hinab, kroch in die von Vergil beschriebene Höhle der Sibylle … Daß der König es den Bauern erlaubt habe, die Steine eines antiken Tempels als Baumaterial zu verwenden, empörte die Markgräfin zutiefst. Im Rahmen dieser Ausflüge von Neapel aus stand schließlich jene Besichtigung an, von der Wilhelmine hoffte, sie würde zum Höhepunkt der Reise werden: Herculaneum. Doch die Markgräfin wurde bitter enttäuscht. Nur wenige Zeilen widmete sie der vermeintlichen Sensation in einem Brief an Friedrich II., den sie am 3. Juni 1755 von Neapel aus schrieb: „Herculaneum entspricht den Schilderungen nicht. Ich war dort. Es ist ein Bergwerk, dessen Wände die Lava bildet. Man erkennt nicht das geringste. Während ich dort war, wurden zwei schöne Mosaikfußböden entdeckt. Aus zwei in der Nähe stehehenden weißen Marmorsäulen und der Größe der Fußböden schloß ich, daß es ein Tempel gewesen ist.“
Wie konnte es zu dieser Enttäuschung kommen? Dazu bedarf es eines Rückblicks auf die Entdeckung Herculaneums, über die Wilhelmine schreibt: „Ein Prinz d’Elbeuf, der in Neapel lebt, hat diese Entdeckung gemacht. Vom Gehen ermüdet, setzte er sich in einem Dörfchen auf die Erde und wartete, bis seine Diener ihm ein Pferd holten. Die Bauern gruben gerade einen Brunnen. Der Prinz bemerkte behauene Steine unter dem Schutt, den sie ausgruben, und vermutete Altertümer an dieser Stätte. Durch einen Handel mit den Bauern erwarb er den Brunnen nebst Umgebung. Kaum hatte er zwei Tage graben lassen, so wurde das Amphitheater entdeckt.“ Das war zwar nicht ganz korrekt, aber doch weitgehend: Tatsächlich waren d’Elbeuf 1711 von einem Bauern antike Marmorstücke zum Kauf angeboten worden, die dieser beim Bau eines Brunnens gefunden hatte. Wie Wilhelmine schreibt, kaufte d’Elbeuf das Stück Land mit dem Brunnen und ließ Stollen in die Lava vortreiben, unter der das antike Herculaneum begraben war.
Diese Arbeiten wurden bald eingestellt und erst 1738, diesmal unter der Regie König Karls VII. von Neapel, wiederaufgenommen. Am 11. Dezember 1738 fanden die Ausgräber eine Tafel mit der Inschrift „Theatrum Herculanense“, womit klar war, daß es sich bei dieser versunkenen Stadt um das antike Herculaneum handelte. In den folgenden Jahren wurden kontinuierlich Stollen angelegt. Ziel war jedoch nicht die Freilegung der Stadt. Es ging darum, antike Kunstwerke zu bergen, die im königlichen Palast von Portici aufgestellt wurden. Wilhelmine hatte erwartet, in Herculaneum ihre Idealvorstellung einer römischen Stadt zu finden – und mußte daher von dem wenigen, was sie sah, enttäuscht sein. Tatsächlich glich die Ausgrabungsstätte einem Bergwerk – mit engen Stollen durch schwarze Lavamassen. Und da die gefundenen Skulpturen längst in Portici waren, gab es für Besucher vor Ort kaum etwas zu sehen.
Warum, fragt man sich, hat Wilhelmine dann nicht wenigstens die Antikensammlung in Portici besucht? Die Antwort ist einfach: aufgrund ihres Inkognitos! Während die Kurie in Rom das Inkognito als das nahm, was es war – nämlich die Möglichkeit, eine solche Reise ohne großen Hofstaat zu unternehmen, nahm man es am neapolitanischen Königshof ernst und lud die Bayreuther Markgräfin auch nicht ein. So mußte sich Wilhelmine mit einem verstohlenen Blick auf einige Schriftrollen begnügen, die man in der Villa dei Papiri gefunden hatte. Da die Antikensammlung erst 1758 als Museum eröffnet wurde, wäre deren Besichtigung nur bei einer offiziellen Einladung des Königspaares möglich gewesen.
Entsprechend indigniert äußerte sich Wilhelmine über Portici, und im fernen Berlin grummelte Friedrich II., daß man von dem neapolitanischen Königspaar nichts anderes habe erwarten können: „Für jenes … Geschlecht … sind die Namen der Alten nur große Worte und die Denkmäler der römischen Größe nur Spielzeuge zu ihrer Unterhaltung … Armselige Menschen, die dieses schöne Land bewohnen. Käme Julius Caesar wieder zur Welt, er würde sich wundern, diese Irokesen im Besitz seines Vaterlandes zu finden.“ Eine zweite Frage: Warum hat Wilhelmine nicht Pompeji besichtigt, von dem sie doch noch größere Sensationen erwartet hatte als von Herculaneum? Die Antwort: Pompeji war zwar schon entdeckt, doch mit einer systematischen Ausgrabung war bis Wilhelmines Besuch nicht begonnen worden. Und das wenige, das man freigelegt hatte, war – nachdem die Mosaiken abgenommen und die Statuen sichergestellt waren – wieder zugeschüttet worden. Ein Besuch Pompejis wäre also noch unergiebiger gewesen als jener Herculaneums.
Da die Ausgrabungen nur langsam vorangingen, bekamen Besucher auch in den folgenden Jahren zunächst nicht viel mehr zu sehen. Unter den ersten, die über ihre Reise ausführlich berichteten, war der französische Abbé Gabriel Coyer. Er besuchte Herculaneum 1763: „Die große unterirdische Stadt hat man noch nicht ganz ausgegraben, weil man die neue Stadt, welche darauf steht, hätte niederreißen müssen … Alle Gegenstände der Neugier, die man aus diesen Ruinen gezogen hat: Opfergeräte, Instrumente zum Baden, aus der Küche, zum Tische, zur Chirurgie; Wagen, Lampen, Leuchten, crystallene Flaschen, crystallisyrten Wein, zu Kohle gewordenes Brot …, Ringe, Ohrgehänge, Sonnenuhren, einige eingelegte Arbeiten, Gemählde; aus allen diesen besteht das Cabinet zu Portici. Ein anderer Reichtum, welchen man hier gefunden hat, bestehet in einer großen Anzahl von Manuskripten auf Pergamentrollen, die aber ganz schwarz, durchlöchert und sehr abgenutzt waren. Es wurde viel Kunst und Zeit erfordert, um einige davon zu entziffern. Schon vor vielen Jahren ist der größte Theil dieser kostbaren Rollen mit dem regierenden König nach Spanien gekommen und nichts kömmt mehr zurück. Die spanischen Gelehrten sind sehr langsam in ihrem Amte. Wahrscheinlich hätten die italienischen ihre Sache besser gemacht.“ Anders als Wilhelmine einige Jahre zuvor besichtigte Coyer auch die Ausgrabungen von Pompeji: „Die Stadt war nicht so tief verschüttet als Herculaneum. Die Lava lag nur fünf bis sechs Schuh tief darauf. Man hat eine ziemlich breite und gerade Straße mit zwei Fußsteigen entdeckt. Am Anfang der Straße ist ein Platz, der mit drei marmornen Statuen gezieret war, welche izt zu Portici sind. Bei der ersten Umgrabung hat man gezweifelt, ob die entdeckte Stadt wirklich Pompeji wäre, als sich aber das Stadttor zeigte und man eine Inschrift mit dem Namen fand, so war kein Zweifel. Das Amphitheater … ist zum Theil erst entdeckt und auf Befehl des Königs wieder bedeckt worden.“ Verständnis hatte Coyer dafür, daß die Ausgrabung nur sehr langsam vonstatten ging und nur wenige Arbeiter damit beschäftigt waren. Dies sei „ein Lob für die Regierung. Man muß einem Staate vorher Lebensmittel verschaffen, ehe man ihn verschönert.“
Die Nachrichten über die Entdeckung der beiden Ruinenstädte machten in Europa zwar schnell die Runde, doch ein genaues Bild konnten sich nur jene verschaffen, die selbst nach Italien aufbrachen. Das neapolitanische Königshaus hatte es nämlich untersagt, Zeichnungen oder auch nur Skizzen der Ausgrabungen vor Ort anzufertigen, und die eigene prachtvolle Dokumentation der Funde kam nur schleppend voran. Nur wenige Ausländer wurden von diesem Verbot ausgenommen, darunter der deutsche Maler Jakob Philipp Hackert, der von 1792 an insgesamt sechs Veduten malte. Allerdings war Hackert zuvor von König Ferdinand IV. zum Hofmaler ernannt worden.
Für die Rezeption der Vesuvstädte in Deutschland wurde der Archäologe Johann Joachim Winckelmann zu einem der entscheidenden Faktoren. In seinen beiden „Sendschreiben von den herculanischen Entdeckungen“ beschrieb Winckelmann 1762/1764 das, was er vor Ort gesehen hatte, und sorgte so mit dafür, daß der Besuch Pompejis und Herculaneums fortan unabdingbar zur klassischen Italien-Reise dazugehörte. Für die noch während seines ersten Besuchs wenig attraktive „Aufbereitung“ von Herculaneum zeigte der Archäologe mehr Verständnis als die Markgräfin (die er gleichwohl anerkennend als „Dottoressa di Bareit“ bezeichnete): „Ich weiß, daß Auswärtige so wohl als Reisende wünschen, daß nichts möchte mit Erdreich aufgefüllt werden, sondern daß man die ganze unterirdische Stadt Herculaneum aufgedeckt möchte liegen sehen. Man tadelt den schlechten Geschmack des Hofes und derjenigen, die über diese Arbeit gesetzet sind; aber dieses ist ein Urtheil nach den ersten Eindrücken ohne gründliche Untersuchung des Ortes und anderer Umstände … Was … die Aufdeckung der ganzen Stadt betrifft, gebe ich denen, die dies wünschen, zu überlegen, daß da die Wohnungen durch die ungeheure Last der Lava erdrückt werden, man nichts als die vier Mauern sehen würde. Da man ferner diejenigen Wände, welche bemalet waren, um das Gemalte nicht der Luft und dem Wetter preiszugeben, weggenommen, so würden die besten Häuser eingerissen zu sehen seyn, und die Mauern von den schlechtesten Wohnungen wären stehen geblieben. Nächstdem ist leicht zu begreifen, was für ein ungeheurer Aufwand es gewesen seyn würde, alle Lava wegzusprengen und wegzuführen; und zu was vor Augen? Zerstörete alte Mauern zu sehen.“ Lediglich für die Freilegung des Theaters machte sich Winckelmann stark. Anders verhielt es sich seiner Meinung nach mit Pompeji, das er zwei Jahre später besichtigte: Dort gebe es nur wenig fruchtbares Erdreich über der antiken Stadt. „Das kann man ruhig verwüsten.“
Zurück zu Wilhelmine von Bayreuth – war ihr Besuch in Herculaneum tatsächlich eine einzige Enttäuschung? Der Besuch wohl schon; doch bemühte sich die Markgräfin aufgrund der erhaltenen Schilderungen über die gemachten Funde darum, antike Objekte aus Herculaneum und Pompeji für ihre Sammlung zu erwerben. Im Fall Herculaneums waren diese Bemühungen offensichtlich von Erfolg gekrönt. In einem 1774 angelegten Inventar ihrer Antikensammlung wird für einige Objekte jedenfalls die Provenienz Herculaneum angegeben.
Am 1. Juli 1755 trat Wilhelmine die Heimreise nach Deutschland an, wo sie die Sehnsucht nach dem Süden nicht mehr losließ: „Ach, wie ich diese lebendige und liebenswerte Lustigkeit von Rom vermisse, die mich aus so vollem Herzen lachen machte! Aber das ist ein Traum, der für immer zerronnen ist, wie die glänzenden und purpurroten Wolken als Begleiter der Morgenröte, die mit ihr dahinschwinden … Die langweilige Einförmigkeit des Landes hier, die düstere Traurigkeit des Himmels, die Verschlossenheit der Bewohner, das alles zersetzt mein Sein und stürzte es in dieselbe Nichtigkeit, die ich in allem, was mich umgibt, feststellen kann. Ach wie oft rufe ich … aus: Nach Italien, nach Italien!“
Literatur: Gordian A. Weber, Die Antikensammlung der Wilhelmine von Bayreuth. München 1996. Heike Kammerer-Grothaus/Detlef Kreikenbom, Wilhelmine und Friedrich II. und die Antiken. Stendal 1998. Thorsten Fitzon, Reisen in das befremdliche Pompeji. Berlin/New York 2004. Eine Biographie der Markgräfin Wilhelmine von Uwe A. Oster erscheint im Februar 2005 im Piper Verlag, München.
Uwe A. Oster