Seit wann kennen Sie Elisabeth?
Sabine Weigand: Schon als Kind hat mir meine sehr katholische Oma von ihr erzählt. Elisabeth war ihre Lieblingsheilige.
Und Sie sind bis heute beeindruckt?
Das wäre das falsche Wort. Ich habe immer versucht, hinter der Heiligenlegende den Menschen Elisabeth zu finden. Was das Mittelalter als heilig verehrte, würden wir heute ja als psychisch auffällig bezeichnen. Es ist nicht gesund und normal, einem Leprösen die Füße zu küssen. Es ist auch nicht vernünftig, sich blutig zu peitschen oder so lange zu hungern, bis man schließlich an einer Grippe stirbt.
Was hat Elisabeth uns dann heute noch zu sagen?
Mit jeder Faser ihres Körpers und ihrer Seele verfolgte sie ein Ziel: Sie wollte eine Heilige werden. Elisabeth entstammte väterlicherseits dem ungarischen Königshaus der Arpaden – drei ihrer Vorfahren waren Heilige. Sie hatte mit vier Jahren ihr Elternhaus verlassen und auf die Burg ihres künftigen Verlobten in Thüringen ziehen müssen. Das Einzige, was ihr dort vertraut gewesen sein dürfte, war die Liturgie in der Kirche. Der Altar, Jesus am Kreuz, die lateinischen Gesänge, das war in Thüringen genauso wie in Ungarn.
Das war letztlich ihr Motiv?
Sie hatte auch ein extrem ausgebildetes Helfersyndrom. Sie war nur glücklich, wenn sie die Dankbarkeit in den Augen der Kranken und Armen sah. Es gab damals weibliche Heilige, die mit Päpsten und Bischöfen korrespondierten. Elisabeth nicht. Sie hatte keine Botschaft, keinen weiteren Plan, nichts zu verkünden. Sie hat keine Zeile geschrieben.
Heiligkeit als Lebensplan – wie zuverlässig wissen wir, dass sie tatsächlich so dachte?
Elisabeth ist eine der am besten dokumentierten Frauen des deutschen Mittelalters. Das liegt an dem Glücksfall, dass sie bald nach ihrem Tod heiliggesprochen wurde und zu diesem Zweck Zeugnisse ihrer Weggefährten gesammelt wurden. Unter anderem ist überliefert, dass sie, als sie in Marburg die Tracht einer Hospitalschwester anlegte, die alten Gewänder ihren Mägden mit den Worten übergab: Passt gut auf meine Kleider auf, wenn ich erst heilig bin, werden die mal was wert sein.
Man könnte ihr vorwerfen, dass sie eingebildet war …
In gewissem Sinne war sie auch eine Rebellin. Sie rebellierte gegen die damalige weltliche Ordnung, gegen den Lebensstil ihres Umfelds. Sie war die erste Frau nördlich der Alpen, die so gelebt hat. Und dabei war sie eine Exponentin der herrschenden Klasse. Das war schon revolutionär.
Interview: Dr. Winfried Dolderer
Sabine Weigand geb. 1961, deutsche Schriftstellerin, Historikerin und Politikerin (Grüne). Autorin histo‧rischer Romane, unter anderem „Die Tore des Himmels“ (2012, über Elisabeth von Thüringen).
Elisabeth von Thüringen (1207−1231), ungarische Prinzessin und „deutsche Nationalheilige“. Entfaltete als Gattin des Landgrafen von Thüringen und nach dessen Tod als abseits des Hofes lebende Witwe eine rege karitative Tätigkeit. Sie übte Askese und gründete 1228 ein Hospital in Marburg. 1235 heiliggesprochen