Nur mit Sandalen sowie einem aus grobem, ungefärbtem Stoff gewebten und mit einem einfachen Strick gehaltenen Habit gekleidet, begegneten die Franziskaner den Menschen in ihrem spätmittelalterlichen Alltag. Als Minderbrüder (fratres minores), wie sie sich selbst meist bezeichneten, suchten sie den Kontakt zur Bevölkerung, um ihrer selbstge-stellten Aufgabe nachzukommen: in der Nachfolge Jesu und seiner Jünger den Gläubigen die christliche Botschaft zu verkünden und ihnen einen Weg zum ewigen Heil aufzuzeigen. Es waren folglich die Seelsorge und die damit in direktem Zusammenhang stehende materielle Versorgung des Konvents, welche die Beziehungen und den Alltag der Gemeinschaft im Wesentlichen bestimmten.
Anders als Benediktiner und Zisterzienser suchten die Brüder der Bettelorden nicht nur hinter Kloster‧mauern ihr persönliches Heil, sondern sorgten sich aktiv um das Heil aller Christen. „Unser Kloster ist die Welt“, lautete daher im „Sacrum commer‧cium“, einer allegorischen Erzählung des 13. Jahrhunderts, die Antwort der Franziskaner auf die Frage nach Ort und Aussehen ihrer Klöster.
Damit reagierten sie, den anderen Bettelorden – etwa den Dominikanern und den Augustiner-Eremiten – gleich, auf die religiösen Bedürfnisse einer wachsenden städtischen Bevölkerung. Von der Predigt ausgehend, die sie seit der Frühzeit des Ordens intensiv betrieben, bauten die Brüder ihr pastorales Angebot kontinuierlich und mit massiver päpstlicher Förde‧rung aus. Was ursprünglich als Alternative gedacht gewesen war, wuchs im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts zu einer ernsten und vielerorts überlegenen Konkurrenz der regulären Pfarrseelsorge heran. Denn ohne auf Pfarrgrenzen zu achten, boten die Barfüßer ihre Seelsorgedienste an: Sie nahmen die Beichte ab, lasen die Messe, spendeten die Kommunion und be‧erdigten die Verstorbenen auf dem Klostergelände. Für den örtlichen Weltklerus wirkte es sich nachteilig aus, dass alle Schichten und Stände das Angebot annahmen. Von der Individualseelsorge als Beichtväter, Erzieher und Reisebegleiter an Adelshöfen, über die geistliche Betreuung der im späten Mittelalter so zahlreichen Laienbruderschaften, von weiblichen Religiosengemeinschaften bis zu durchreisenden Pilgern konnte die Gesellschaft darauf vertrauen, bei den Franziskanern seelsorglich betreut zu werden. Zumal mit dem Ausbau des Termineiwesens die franziskanische Präsenz auch räumlich ausgedehnt wurde; diese verstärkte Gründung permanent besetzter kleiner Niederlassungen in kleineren Städten und größeren Dörfern sollte der seelsorglichen Versorgung des Umlands und gleichzeitig der materiellen Versorgung des eigenen Konvents dienen.
Das in nur wenigen Schlagworten umrissene komplexe Seelsorge-Konzept erforderte einen enormen personellen sowie organisatorischen Aufwand und bestimmte über weite Strecken sowohl das Konventsleben als auch das Aussehen der Klosteranlage. Beides stand zwar in der Tradition des monastischen Mönchtums, erfuhr jedoch Änderungen und Akzentverschiebungen an‧gesichts des franziskanischen Selbstverständnisses. So galt das benediktinische Leitwort ora et labora (bete und arbeite) zwar grundsätzlich auch für die Franziskaner, doch befolgten sie es mit anderen Prioritäten. Das Stundengebet strukturierte auch den Tagesablauf in einem Franziskanerkloster, doch fielen die sieben über den Tag verteilten gemeinsamen Gebetszeiten kürzer aus als bei Benediktinern oder Zisterziensern. Damit litt der aktive Dienst nicht allzu sehr unter dem kontemplativen Element. Diese Tendenz übernahm die römische Kurie vom Franziskanerorden für ihr Chorgebet, das franziskanische Brevier beeinflusste das römische Brevier also stark.
Vergleichsweise großzügig wurden auch einzelne Kleriker von der Teilnahme am Göttlichen Offizium (Stundengebet) dispensiert. Beispielsweise konnten sich die Lesemeister davon zumindest teilweise freistellen lassen; ihnen oblag die Leitung der Hausstudien, denen als unterste Stufe des hierarchisch aufgebauten Studiensystems des Ordens eine zentrale Aufgabe zukam und die in jedem Konvent vorhanden sein sollten. Sämtliche Klerikerbrüder, insbesondere diejenigen, die mit dem Predigtdienst betraut waren oder betraut werden sollten, waren zu ihrer Aus- sowie ständigen Fortbildung zum Besuch der Hausstudien verpflichtet. Die herausragende Predigtfähigkeit der Franziskaner basierte daher auf langen und fundierten philosophischen und theologischen Studien sowie einer intensiven praktischen Ausbildung…
Literatur: Gert Melville / Anne Müller (Hrsg.), Mittelalterliche Orden und Klöster im Vergleich. Methodische Ansätze und Perspektiven (Vita regularis 34). Münster 2007.
Bernd Schmies