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„Er streut Gedanken, und die bleiben hängen“

Faszinierende Figuren: Sarah Lesch über Erich Fried

„Er streut Gedanken, und die bleiben hängen“
Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In dieser Ausgabe: die Musikerin Sarah Lesch über den Schriftsteller Erich Fried.

Wie haben Sie Fried kennengelernt?

Sarah Lesch: Ich war vielleicht 13 Jahre alt, als ich im Buchladen eines Einkaufszentrums einen kleinen Ständer mit Reclam-Heftchen entdeckte. Eines davon: „Erich Fried, Gedichte“. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die eher nicht so viel mit Poesie am Hut hatte. Aber dieses Heftchen wurde mein absolutes Lieblingsbuch. Es ist schon völlig zerfleddert, ich habe es überallhin mitgeschleppt, es hat mich total berührt.

Politische Lyrik? Andere Texte?

Verschiedenes. Es ist eine ganz kleine Sammlung. Es gibt auch eine Sparte für politische Gedichte. Da wird klar, dass seine jüdische Familie vom Holocaust betroffen war, er selbst fliehen musste. Natürlich sind da auch diese Liebesgedicht-Klassiker drin, Gedichte als Zuspruch, Mutmacher-Gedichte …

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Was konkret hat Sie so besonders beeindruckt?

Dass er sich so einfach ausgedrückt hat. In so jungen Jahren hätte ich das sonst auch gar nicht verstanden. Er formuliert einfache philosophische Gedanken. Sein Schreiben ist gewissermaßen geschlechts- und zeitlos. Es war, als hätte ich diese Texte direkt auf mein Leben übertragen können, das fand ich sehr besonders. Er sagt nicht: Ich weiß, wie’s geht. Er streut Gedanken, und die bleiben hängen.

Hat er heute noch viele Leser?

Ich erlebe nicht so oft, dass Menschen, mit denen ich über Fried spreche, ihn kennen. Auf dem Cover meines dritten Albums „Da draussen“ steht ein Fried-Zitat: „Eine Freiheit, die nicht auch deine Freiheit ist, ist keine Freiheit.“ Ich habe sehr viel auf der Bühne von ihm gesprochen. Wenn man dann sagt: „‚Es ist, was es ist …‘ – kennt ihr vielleicht“, dann kennen das ganz viele Leute. Aber dass man sagt: „Erich Fried“, und die Reaktion ist: „Ah, Erich Fried!“ – das habe ich noch gar nicht erlebt. Man müsste mal ein Album mit Vertonungen seiner Gedichte machen, um ihn wieder ins Gespräch zu bringen. Er formuliert so wertvolle Gedanken, so verletzliche, so entwaffnend radikal liebende Gedanken, die mir sehr aus dem Herzen sprechen.

Hat er Sie in Ihrer eigenen Arbeit inspiriert?

Ich bin durch ihn überhaupt erst zum Gedichteschreiben gekommen. Mein ganzes Tagebuch ist voll mit ähnlichen Texten und Gedanken. Er hat Bilder in mir gemalt, die ich dann aufs Papier gebracht habe. Er hat mich ermutigt, meine eigene Poesie zu finden. Seine Eltern haben ihm auch geraten, sich das Gedichteschreiben aus dem Kopf zu schlagen. Bei mir war das ähnlich. Es hat mich gerührt, dass da ein Geist wandelte, der so ähnliche Gefühle hatte wie ich.

Er hat auch Umstrittenes gemacht, mit einem damals führenden Neonazi diskutiert …

Ich finde es eigentlich großartig, dass er auch hier die Idee eines radikalen Menschseins vertreten hat. Es ist sehr wichtig, zwar klar Position zu beziehen, aber dennoch Brücken zu bauen zwischen den Menschen. Ich glaube, dass es nichts bringt, wenn sich Stimmungen gegenseitiger Abwertung aufladen.

Interview: Dr. Winfried Dolderer

Sarah Lesch geb. 1986, deutsche Liedermacherin und Musikerin. Nach Tätigkeit als Erzieherin in Tübingen seit 2013 Künstlerin. Auszeichnungen: unter anderem Förderpreis Kleinkunst Baden-Württemberg (2017). Alben: unter anderem „Da Draussen“ (2017), „Der Einsamkeit zum Trotze“ (2020).

Erich Fried (1921–1988), österreichischer Lyriker, Übersetzer und Essayist. 1938 Emigration nach London. 1952 bis 1968 Kommentator beim Deutschen Dienst der BBC. In der Nachkriegszeit führender Vertreter der politischen Lyrik in Deutschland.

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