Seit wann beschäftigen Sie sich mit ihm?
Daniela Wander: Ich habe mit acht oder neun Jahren auf einer Ferienreise mit meinen Eltern den Genter Altar gesehen. Dabei ist mir ein faszinierender Effekt aufgefallen: Wenn ich mich direkt vor das Bild stellte und ein Detail betrachtete, sah ich nur graue und weiße Punkte und Striche. Aus größerer Entfernung gesehen, wurde daraus jedoch eine schimmernde Perle. Jahrzehnte später habe ich von dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky genau diesen Effekt mit den Worten beschrieben gefunden, Jan van Eyck habe gewissermaßen mit Teleskop und Mikroskop gemalt.
Was beeindruckt Sie heute an ihm?
Seine unglaubliche Meisterschaft im Detailreichtum, all die Neuerungen, die er in die Malerei brachte. Was ihn abgesehen davon für die Forschung so interessant macht, ist die Annahme, dass seine Bilder über das Offensichtliche hinaus Botschaften transportieren, die nicht leicht zu entschlüsseln und deshalb immer Anlass zu Kontroversen sind. Der Wiener Kunsthistoriker Otto Pächt meinte, dass ihm auch nach 50 Jahren Beschäftigung mit van Eyck dessen Werk Rätsel aufgab.
Wie sehen Sie ihn unter den Zeitgenossen – Rogier van der Weyden, Robert Campin …?
Van Eyck muss auch persönlich eine beeindruckende Figur gewesen sein, ein intelligenter, durchsetzungsfähiger Mann. Er war auf Lebenszeit Hofmaler des burgundischen Herzogs Philipp des Guten, der ihn auch auf diplomatische Missionen schickte. In der Kunst ging er ein Stück weiter als die Zeitgenossen, überwand die herkömmliche spätgotische Malerei. Die Naturtreue, die er in seinen Bildern erreichte, war etwas vollkommen Neues. In seinen Porträts, vor allem
in seinen Männerporträts, können Sie jede Pore, jede Falte, jedes Pfund zu viel sehen.
Hatte Ihre frühe Begegnung mit van Eyck Nachwirkungen?
Ich habe Kunstgeschichte studiert – nicht nur wegen van Eyck natürlich – und merkte bald, dass mich die Alltagsgeschichten, die in Bildern erzählt werden, und das Individuum des Malers mehr interessierten als das Kunsthistorische selbst. Durch die Beschäftigung mit Sozial-, Kultur-, Alltagsgeschichte bin ich dann dazu gekommen, historische Romane und Kriminalromane zu schreiben. Tatsächlich ist Jan van Eyck die Klammer, die mein Leben zusammenhält.
Würde er sich als Romanfigur eignen?
Ich bin gerade mit einem anderen Projekt beschäftigt, aber ich denke, der nächste Roman könnte durchaus in einer Malerwerkstatt spielen.
Interview: Dr. Winfried Dolderer
Daniela Wander geb. 1958, deutsche Schriftstellerin, Autorin historischer Romane. Bis 1987 Studium der Kunstgeschichte und Ethnologie. Anschließend zehn Jahre lang Kunstexpertin in einem Versicherungsunternehmen. Werke unter anderem „Der Kaufmann und die Unbeugsame“ (2018), „Aufruhr in Wittenberg“ (2015).
Jan van Eyck (um 1390 –1441) flämischer Maler, Begründer der naturalistischen Kunstepoche nördlich der Alpen. Erstmals urkundlich erwähnt 1422, als er in den Dienst des wittelsbachischen Grafen Johann von Holland trat. Seit 1425 Hofmaler Herzog Philipps des Guten. Zu seinen Werken zählen der Genter Altar (um 1420 –1432/1435) sowie Gemälde wie die Arnolfini-Hochzeit (1434) und die Madonna des Kanzlers Nicolas Rolin (1435).