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Ein Zar auf dem Weg nach Westen

Peter der Große

Ein Zar auf dem Weg nach Westen
Peter I., so sagt man, hat Rußland nach Europa geführt. Dieser Ruhm hat die Zeiten überdauert. Seine Reformen und sein schillernder Charakter, der Glanz seiner Stadtgründung St. Petersburg und seines Imperiums wurden – und werden bis heute – für die unterschiedlichsten Zwecke in Anspruch genommen.

“Mit dem Bau der Stadt war schon begonnen worden, aber der Sumpf blieb unersättlich. Wie viele Steine, Felsen Holzbohlen hatte man schon übereinander geschichtet, aber der Sumpf verschlang alles und zeigte an seiner Oberfläche immer nur den gleichen Morast. Da kam der Zar, um den Fortgang der Arbeit in Augenschein zu nehmen. Was er sah, war noch nicht seine Stadt. ‚Ihr versteht nichts von der Arbeit‘, sagte er zu seinen Werkleuten und schickte sich sogleich an, die Felsen selbst anzuheben und Quader auf Quader übereinander zu schichten. So baute er die ganze Stadt und ließ sie dann fertig auf die Erde sinken.” Diese romantische Legende schrieb der russische Schriftsteller Fürst Wladimir Odojewskij (1803–1869) über die Anfänge St. Petersburgs im Jahre 1703. Die Stadt an der Newamündung, auf bautechnisch schwierigem Untergrund gelegen, und der übermenschlich erscheinende Zar, der sie im Alleingang baut – dieses Bild hätte Peter I. wahrscheinlich gefallen. Ihren Ursprung hat die Legende in einem orientalischen Märchen. Die Eigenschaften, die dem Zaren – der als einziger das Epitaph “der Große” durchgängig und weitgehend unumstritten trug – hier zugeschrieben werden, wurden durch Geschichtsschreibung, Dichtung und Musik, durch die bildenden Künste und den Film zum Allgemeingut im historischen Wissen der Russen. Sie hatten, bei allen Übertreibungen und Ausschmückungen, einen wahren Kern. Daß Peter I. einmal Zar werden würde, daß er sich am Ende seiner Herrschaft den römischen Imperatortitel zumessen und befehlen würde, seine Untertanen sollten sich nicht mehr “moskauisch”, sondern “russisch” nennen, war bei seiner Geburt im Jahr 1672 nicht abzusehen. Und als der zehnjährige Junge mit seinem geistig schwachen Halbbruder 1682 gemeinsam zum Moskauer Autokraten gekrönt wurde, ließ sich nicht ahnen, daß er einmal über eine Großmacht im Norden Europas gebieten würde. Peter stammte aus der zweiten Ehe des Romanow-Zaren Alexej, jenes Herrschers, der das weitgehend abgeschlossene Moskauer Reich des 17. Jahrhunderts vorsichtig modernisieren und öffnen wollte. Sein Sohn hatte als Kind wie als minderjähriger Zar hinlänglich Gelegenheit, seine hervorragendsten Eigenschaften, Neugier und Wissensdurst, spielerisch auszubilden. Das Regieren überließen er und seine ambitionierte Mutter nolens volens Peters ebenso begabter wie ehrgeiziger Halbschwester Sofija, deren Regentschaft durch mißglückte Feldzüge gegen das Osmanische Reich freilich wenig Glück beschieden war. 1689 wurde sie nur noch von den Strelitzen (einst Elitetruppe Ivans des Schrecklichen, dann nur noch zuwendungshungrige Prätorianergarde) gestützt. Nun gelang es Peter und seinen Anhängern, die Strelitzen auszuschalten und die Zarewna Sofija, eine der bedeutendsten Frauengestalten der russischen Geschichte, zum Eintritt ins Kloster zu zwingen. Peters Weg zur Macht war frei. Sein Halbbruder und Mit-Zar starb bald; er hatte nie nach der Herrschaft gestrebt. Mit zwei spektakulären Feldzügen gegen osmanische Befestigungen am Asowschen Meer hob Peter sein Land als Mitglied der “Heiligen Liga” zur Türkenabwehr auf das internationale Parkett. Ihm genügte es jedoch nicht, Gesandte an die europäischen Höfe zu entsenden; er wollte die Länder des Westens selbst kennenlernen. Ein tiefes Interesse an technischen Innovationen, an der Seefahrt, ja an Unbekanntem jeder Art ließen ihn 1697 mit einer Entourage von über 100 Personen zur “Großen Ambassade” aufbrechen. Als Gesandter fungierte ein Schweizer Freund, den er in der Moskauer “Ausländervorstadt” gewonnen hatte; Peter wollte unerkannt reisen, um sich frei bewegen zu können. Daß dieses Inkognito Beschränkungen mit sich brachte, die der junge Zar nicht zu akzeptieren bereit war, zeigte sich bei seinem Aufenthalt im livländischen Riga: Als ihm verboten wurde, über die Befestigungsanlangen der Schweden zu stromern, brachen sich sein hohes herrscherliches Selbstverständnis und sein Jähzorn in einem Wutanfall Bahn, der sein Inkognito zu Makulatur werden ließ. Nach Riga machte Peter in Königsberg, Hannover, Wien, Amsterdam und London Station. Überall interessierte er sich für verschiedenste Handwerkstechniken, sprach mit Gelehrten lieber als mit gekrönten Häuptern. Er erblickte Städte und Höfe, die so ganz anders organisiert waren als die ihm aus Rußland bekannten. Insbesondere die Welthafenstadt Amsterdam faszinierte ihn. Handel und Seemacht schienen hier der Schlüssel zu Wohlstand und Größe. Befremdet reagierte er aber auf die politische Organisation der Städte und Länder, die er sah; so hielt er das englische Parlament für eine höchst merkwürdige Einrichtung, wo es doch einen König gebe, der regieren solle. Spätestens seit dieser Reise empfand Peter, daß sein Reich zwar großes Potential besaß, aber rückständig war. Sein Ziel, das er in den folgenden Jahren auf der Grundlage der deutschen Frühaufklärung mit Hilfe seiner Berater formulierte: Rußland zu “regulieren”, zu “policieren”, ja zu “civiliseren”. Mit den neuen Kultur- und Verwaltungstechniken überforderte er nicht selten seine Umgebung. Seine erste Frau, die sich weigerte mit der Moskauer Tradition zu brechen, schickte er ins Kloster. Seinen Sohn Alexej, dem er Schwäche und Unwilligkeit vorwarf, ließ er nach einem tiefen Zerwürfnis 1718 zu Tode foltern. Über die Konsequenzen einer überhasteten Modernisierung für seine Untertanen gab er sich Zeit seines Lebens keine Rechenschaft. Als aufgeklärt war Peter I. insofern zu bezeichnen, als er sich als lernfähig erwies und der Überzeugung war, daß die Verhältnisse in Rußland nicht statisch, sondern von Menschenhand zu verändern seien.

Dr. Jan Kusber

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