Taugt Friedrich II., der Große, noch zur Sinnstiftung?“, heißt eine immer wieder gestellte Frage. „Ich glaube schon; der Preußenkönig sollte integrierende Kraft haben“, lautet die von interessierter Seite darauf gegebene Antwort. Das war schon immer so. Der Tenor dieser Erwiderung bestimmte die Friedrich-Rezeption einst und bestimmt sie noch jetzt. Die Antwort war und ist maßgeblich für das Bild, das in Veröffentlichungen von dem König gezeichnet wurde und wird.
Nur eine kurze Zeit lang, zwischen 1786, dem Jahr seines Todes, und etwa 1830, als es auf das 100. Jubiläum von Friedrichs Thronbesteigung zuging, sah man den König nicht als vorbildlichen Übermenschen. Als Friedrich 1786 starb, war er wenig populär, nicht nur bei seinem Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., sondern auch bei weiten Teilen der Bevölkerung. Die Nachricht vom Ableben des alten Mannes von Sanssouci ließ in Berlin und Potsdam viele aufatmen. „Es herrschte Totenstille, aber keine Trauer“, notierte der französische Staatsmann Mirabeau, der kurz nach Friedrichs Tod in Berlin eintraf, „man zeigt sich benommen ohne Kummer. Man sieht kein Gesicht, das nicht den Ausdruck von Erleichterung, von Hoffnung trüge. Kein Bedauern wird laut, man hat keinen Seufzer, kein lobendes Wort … Alle Welt wünschte das Ende herbei – alle Welt beglückwünscht sich.“ Die Anregung Ewald Friedrich von Hertzbergs, der dank Friedrichs Gunst vom Hilfsarbeiter im geheimen Kabinettsarchiv zum Staatsminister für die auswärtigen Angelegenheiten Preußens aufgestiegen war, einen „festen urkundlichen Unterbau für eine Geschichte Friedrichs des Großen herzustellen“, wurde von Friedrich Wilhelm II. verworfen, ebenso der Gedanke einiger Künstler und Akademie-Mitglieder, Friedrich ein Denkmal zu setzen.
Unter den preußischen und deutschen Intellektuellen hatte Friedrichs Vorliebe für französische Bildung, vor allem aber seine einseitige und engstirnige Berufung von Franzosen in die Berliner Akademie, ihm scharfe Kritik eingebracht. Dazu trat bald die Verachtung derjenigen, die nach der Besetzung und Aufteilung des Heiligen Römischen Reichs durch Napoleon und seine Armeen auf die Einheit Deutschlands hofften und deshalb gegen alles Französische eingestellt waren. Seine Gegner, darunter Gottlieb Klopstock, Friedrich Novalis, Friedrich Ludwig Jahn, Adam von Müller, Friedrich Schlegel und Ernst Moritz Arndt, warfen dem Preußenkönig vor, „undeutsch“ gewesen zu sein, kein Nationalgefühl besessen und allein preußische Machtinteressen vertreten zu haben. In allen Kreisen, die die Idee eines gemeinsamen Vaterlands verfolgten, in Studenten- und Professorenschaft, wie auch in den 1815 gegründeten Burschenschaften herrschte eine stark antifriderizianische Stimmung; ebenso in den streng kirchlichen und deutsch-christlichen Zirkeln. Friedrich Schiller hatte zuvor schon seinen Versuch, eine Frideriziade zu dichten, mit dem Ausruf aufgegeben: „Friedrich II. ist kein Stoff für mich … Ich kann diesen Charakter nicht lieb gewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisierung an ihm vorzunehmen.“
Friedrich Nicolai und Daniel Chodowiecki hatten mit dieser Arbeit keine Schwierigkeiten. Beide hatten Friedrich schon zu Lebzeiten verherrlicht und versuchten bald nach seinem Tod, ihn dem Publikum neuerlich sympathisch zu machen. Durch Anekdotensammlungen (Nicolai) und -darstellungen (Chodowiecki), in denen sie Friedrichs menschliche Züge, seine vermeintliche Genügsamkeit sowie seine angeblich stets vorhandene Fürsorge für seine Untertanen und Soldaten priesen, bereiteten sie den Boden dafür, daß sich das Bild des Königs in der Öffentlichkeit besserte. Vor allem die Stiche Chodowieckis hatten daran großen Anteil. Friedrich wurde als hilfreich und edel gegenüber Freund und Feind gezeigt, „als charismatischer Held, der unbesiegbar an der Spitze des Heeres reitet, den Kugeln nicht treffen, und der sich gelassen während einer Belagerung die Adern öffnen läßt“.
Auch Künstler wie Friedrich Schinkel und Christian Daniel Rauch hielten, wenn auch vor allem aus Eigeninteresse, die Erinnerung an Friedrich wach: Sie wollten vom preußischen Hof Aufträge erhalten. So notierte etwa Rauch, „dem daran gelegen war, in seiner wachsenden Werkstatt ein möglichst großes und kostspieliges Denkmal auszuführen, am 4. Juli 1822 in sein Tagebuch: „Bei Schinkel das verabredete Projekt zu dem Denkmal Friedrich II. … zuerst in seinen Verhältnissen aufgezeichnet gesehen“. Immer und immer wieder unterbreiteten die Bildhauer neue Vorschläge, bis sie schließlich in den 30er Jahren des 19. Jahrhun-derts König Friedrich Wilhelm III. und noch mehr den Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm IV. für die Denkmalsidee interessieren konnten. Unter dessen Ägide sollte es dann 1851 in Berlin Unter den Linden Wirklichkeit werden.
Auch in der Öffentlichkeit begannen die Friedrich-Freunde über die Friedrich-Kritiker zu triumphieren. Großen Anteil daran hatte Isaak Markus Jost, der 1837 die „Gesammelte[n] Werke Friedrichs des Grossen in Prosa“ herausgab. Damit machte er einem breiten bürgerlichen Publikum die Schriften und Gedanken des Königs erstmals in deutscher und nicht in französischer Sprache in einer erschwinglichen Ausgabe zugänglich. Die Veröffentlichungen zum 100. Jahrestag der Regierungsübernahme Friedrichs II. im Jahr 1840 – von dem heute eher vergessenen Friedrich Förster („Leben und Thaten Friedrich’s des Großen, Königs von Preußen. Ein vaterländisches Geschichtsbuch“) mit zahlreichen „Bildern nach berühmten Meistern“ und Franz Kuglers „Geschichte Friedrichs des Grossen“ mit den Illustrationen Adolph Menzels – leiteten dann eine Friedrich-Renaissance ein, die seither fast ungebrochen anhält. Försters Geschichtsbuch erlebte in sieben Jahren fünf Auflagen, Kuglers Werk mit den wirkmächtigen Graphiken Adolph Menzels in der Zeit bis 1915 acht, die eigens produzierte Volksausgabe bis 1901 fünf Auflagen. Auch in jüngster Zeit ist es wieder in den Handel gekommen. Beide Bücher verdrängten die bereits 1832 erschienene, auf Quellenstudium beruhende, sachliche und abgewogene Lebensgeschichte des Königs von Johann David Erdmann Preuß aus dem öffentlichen Bewußtsein…
Dr. Jürgen Luh