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Ein Schlossbau der Superlative

Sonderveröffentlichung

Ein Schlossbau der Superlative
Als die Söhne Herzog Johanns III. von Sachsen-Weimar 1640 nach einer Reihe von Todesfällen ihre Erblande neu aufteilten, wurde Gotha zur Hauptstadt von Sachsen-Gotha. In Ermangelung einer angemessenen Residenz ließ Herzog Ernst, der Fromme, das Schloss Friedenstein errichten. Ernst erwies sich als eigenwilliger Regent: sittenstreng und sparsam, aber neuen Ideen gegenüber durchaus aufgeschlossen.

Früh und nachhaltig sollten die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges das Leben des ersten Herzogs prägen. Als der Krieg ausbrach, war der 1601 geborene Wettiner gerade einmal 16 Jahre alt und seine Ausbildung noch längst nicht abgeschlossen. Ein Studium und die für einen jungen Adligen übliche Kavalierstour durch Frankreich und Italien blieben ihm ob der unsicheren Lage jedoch verwehrt.

Anders als bei seinen älteren Brüdern führte der Weg für Ernst nicht direkt aufs Schlachtfeld. Erst als der Krieg 1631 auch Thüringen erreichte, trat er in die schwedische Armee ein und kämpfte in den Schlachten bei Rain am Lech und bei Lützen (beide 1632). Doch während sein Bruder Bernhard nach dem Tod Gustav Adolfs II. von Schweden (1611–1632) zum schwedischen Oberbefehlshaber aufstieg, blieb der Militärdienst für Ernst ein Zwischenspiel. Für Bernhard übernahm er die Verwaltung des kurzlebigen Herzogtums Franken (1633/34), zwei Jahre später heiratete er die Prinzessin Elisabeth Sophia von Sachsen-Altenburg und bezog in Weimar Quartier.

Als dann 1638 zuerst Ernsts Cousin Johann Ernst von Sachsen-Eisenach und im Folgejahr auch der Kriegsheld Bernhard starb, mussten die Lande der ernestinischen Wettiner unter Ernst und seinen noch lebenden Brüdern neu aufgeteilt werden. Der Älteste, Wilhelm, erhielt Sachsen-Weimar, Albrecht Sachsen-Eisenach, und Ernst wurde Herzog des neugeschaffenen Herzogtums Sachsen-Gotha.

Aus der Not geboren: Der Regent handelt kostenbewusst

In seiner Residenzstadt Gotha galt es für Ernst, echte Grundlagenarbeit zu leisten. Er konnte nicht auf bestehende Strukturen zurückgreifen, sondern musste aus dem Nichts einen funktionierenden Verwaltungs- und Regierungsapparat aufbauen. Dabei standen ihm nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung, war Gotha doch durch Plünderungen und Truppeneinquartierungen im Kriegsverlauf stark belastet und die Bevölkerung stark dezimiert worden.

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Folgerichtig blieb Ernst wenig anderes übrig, als zu sparen und schlanke, aber effiziente Strukturen aufzubauen, die seine Untertanen möglichst wenig belasteten. Auch beim Bau einer Residenz war Pragmatismus gefragt. Zunächst bezog er mit seiner Familie das Schloss Tenneberg in Waltershausen, später das Kaufhaus am Markt in Gotha. Doch von Beginn an war klar, dass dies nur Übergangslösungen waren. Ein Neubau musste her. Der geeignete Ort dafür ergab sich von selbst: Hoch über der Stadt, auf den Trümmern der alten Schloss- und Festungsanlage des Grimmenstein, sollte das neue Schloss Friedenstein errichtet werden.

Die alte Anlage hatte sich im Lauf des Spätmittelalters vom Herrensitz zum Landgrafensitz und schließlich zur kurfürstlichen Residenz entwickelt. Doch im 16. Jahrhundert verknüpfte sich ihr Schicksal eng mit der Urkatastrophe der Ernestiner: Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes in der Schlacht von Mühlberg 1547 wurde Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige (1532 –1554) gefangen genommen, verlor seine Kurwürde und musste hinnehmen, dass mehrere seiner Festungen ihrer Wehranlagen beraubt wurden – so auch der Grimmenstein. Als dann sein Sohn Johann Friedrich der Mittlere (1554 – 1595) mit Hilfe des Ritters Wilhelm von Grumbach den Versuch machte, die alte Macht der Dynastie wiederherzustellen, und dabei scheiterte, ordnete Kaiser Maximilian II. 1567 die gründliche Zerstörung der zwischenzeitlich wiederbefestigten Schloss- und Festungsanlage an.

Eine neue Residenz für Verwaltung und Repräsentation

Der neue Herzog stand bei der Errichtung des Neubaus vor großen Herausforderungen. Einerseits musste dieser, der ja nicht nur Wohnsitz des Fürsten, sondern auch Regierungssitz sein sollte, angemessen repräsentativ gestaltet und gleichzeitig groß genug sein, um sämtlichen Abteilungen des Staatsapparates ausreichend Platz zu bieten. Immerhin mussten im Schloss neben den Wohnräumen des Herrschers auch der komplette administrative Bereich, die Regierung, Rentnerei und Konsistorium, das Zeughaus, die Münzstätte, die Bibliothek, die Kunstkammer, die Ställe und die Schlosskirche untergebracht werden. Andererseits standen für einen solchen Bau nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung. Zwar hatte Ernst bei der Aufteilung der Erblande einen Zuschuss von 12 000 Talern für die Errichtung einer angemessenen Residenz ausgehandelt, doch schon bei Baubeginn im Jahr 1643 war klar, dass diese Summe längst nicht ausreichen würde.

In der Konsequenz wurde gespart, wo immer dies möglich war: Die Arbeiter errichteten nur die Außenwände massiv, die Innenwände hingegen in einfacher Fachwerkbauweise. Bei der Innenausstattung, Stuckarbeiten und Wandmalereien wurde auf die Anwerbung auswärtiger Spezialisten verzichtet – die Aufträge gingen stattdessen an günstiger arbeitende, lokale Handwerker.

Trotz der begrenzten Mittel und den durch andauernden Krieg gravierenden Mangel an Fachkräften schritt das von Andreas Rudolph geleitete und nach Plänen von Caspar Vogel ausgeführte Bauprojekt zügig voran. Schon nach drei Jahren konnte die Schlosskirche eingeweiht werden und Ernst mit seiner Familie den ersten Stock des Hauptflügels beziehen. Das ganze Ensemble fand binnen rund zehn Jahren seinen Abschluss.

Bildungswesen mit modernen Elementen, aber sittlich streng ausgerichtet

Als Landesvater sollte Ernst der Fromme bis zu seinem Tod im Jahr 1675 ein strenges Regiment führen. Ganz oben auf seiner politischen Agenda stand der Aufbau eines modernen Bildungswesens. Dadurch sollte einerseits der Fachkräftemangel behoben werden, ein noch höheres Ziel war jedoch die sittliche Erziehung seiner Untertanen. Ernst war überzeugt, dass der Krieg als göttliche Strafe über das Land gekommen war. Nur durch die innere Umkehr jedes einzelnen Untertanen könne er beendet und könnten neue Kriege verhindert werden. Seine Bildungsbestrebungen dienten der Aufrichtung und dem Erhalt einer neuen geistlichen, sittlichen und politischen Ordnung.

Resultat war eine außerordentlich innovative Bildungspolitik. Nicht nur wurde in Gotha 1642 die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen zwischen fünf und zwölf Jahren eingeführt, es wurde auch mit den neuesten pädagogischen Konzepten der Zeit gearbeitet. Ziel des Unterrichts war ein echtes Verständnis der Inhalte. Statt auf stures Auswendiglernen zu setzen, sollten Anschaulichkeit und die praktische Anwendung des Gelernten im Vordergrund stehen. Lehrer sollten zugewandt und väterlich mit den Kindern umgehen – die Prügelstrafe war in Gotha verpönt.

Die Schattenseite der Bemühungen um die sittliche Besserung der Untertanen war ein ausgeklügeltes Überwachungs-, Melde- und Korrektursystem. So wurden etwa Pfarrer verpflichtet, den Lebenswandel ihrer Gemeindemitglieder bei den regelmäßig durchgeführten Visitationen offenzulegen. Lokale „Rügegerichte“ wurden abgehalten, um die immer neuen Verordnungen des Landesherrn, die tief in das Privatleben seiner Untertanen eingriffen und dieses bis ins Detail regelten, auch durchzusetzen.

Dabei war sich Ernst seiner eigenen Vorbildfunktion und der seines Hofstaates durchaus bewusst. Folglich herrschten auch auf Schloss Friedenstein strenge Verhaltensvorschriften. Glücksspiel sowie übermäßiger Tabak- und Alkoholkonsum waren verboten. Große Feiern waren die absolute Ausnahme, an Ausgaben für Musik, Theater oder die Jagd wurde gespart. Schließlich, so Herzog Ernst, „bestehet des Fürstenamt nicht in groser Pomp und äußerlichen Anstalt, sondern vielmehr in ordentlicher Führung des Regiments und fleißiger guter Aufsicht.“

Diesem testamentarischen Hinweis an seine Nachfolger zum Trotz änderte sich das Leben im Schloss Frieden-stein unter Ernsts Sohn Friedrich deutlich – hatte dieser doch bei seiner Kavalierstour Zeit am Hof Ludwigs XIV. von Frankreich verbracht und das dortige Zeremoniell kennengelernt. Friedrich übernahm viele Elemente und passte die Raumfolge auf Friedenstein entsprechend an. Auch der Sinn für Mode und die Festkultur am Gothaer Hof erlebten einen deutlichen Aufschwung.

Hatte Ernst wenig Interesse an Musik, Kunst und Kultur gezeigt und allein – ganz im Einklang mit seiner Bildungsoffensive – durch gezielte Ankäufe in den Aufbau einer guten Bibliothek investiert, so glichen seine Nachfolger die militärische, politische und wirtschaftliche Schwäche ihres Kleinstaats durch ein ausgeprägtes Mäzenatentum aus, förderten die Wissenschaften und schufen im Lauf der Jahrhunderte außerordentlich vielfältige Sammlungen an Kostbarkeiten, Kunstgegenständen und Kuriositäten. Dabei folgten die Herzöge ihren eigenen Neigungen – und nutzten einzigartige Gelegenheiten. So erwarb Friedrich II. (1691– 1732) die berühmte Münzsammlung des Fürsten Anton Günther II. Schwarzburg-Arnstadt. Mit 100 000 Talern war diese Investition alles andere als gering. Friedrichs Frau Margarete stand ihrerseits nicht dahinter zurück und erwarb einen der juwelenbesetzten Elefanten des renommierten sächsischen Goldschmieds Johann Melchior Dinglinger (1664 –1731), dessen berühmteste Werke heute im Grünen Gewölbe in Dresden ausgestellt sind.

Die vielfältigen Sammlungen sind der Öffentlichkeit zugänglich

In vielfacher Weise tat sich aber vor allem Ernst II. (1772 –1804) als Sammler und Förderer von Kunst und Wissenschaften hervor. 1775 verpflichtete er, auf Vorschlag seines Bruders August hin, den bekanntesten Schauspieler seiner Zeit, Conrad Ekhof (1720 –1778), mit seinem Ensemble für das Hoftheater. Ekhof verstarb nur drei Jahre später, aber im nach ihm benannten barocken Theater können Zuschauer auch heute noch die einzigartige, voll funktionsfähige Bühnenmaschine bestaunen, mit deren Hilfe in Sekunden das Bühnenbild gewechselt werden kann.

Neben Ekhof holte Ernst auch den Astronomen Franz Xaver von Zach (1754 –1832) nach Gotha. Von Zach diente als Direktor an der neuen Sternwarte und organisierte 1798 den ersten internationalen Astronomen-Kongress. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe (1749 –1832), der häufig in Gotha zu Gast war, war es, der Kontakte zum Naturforscher Georg Forster (1754 – 1794) und dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829) vermittelte. Bei Tischbein gab Ernst II. ein Bild des todgeweihten letzten Staufers Konradin in Auftrag. Den französischen Bildhauer Jean-Antoine Houdon (1741 –1828) hatte Ernst II. hingegen bei seiner Kavalierstour persönlich kennengelernt. Heute befinden sich allein im Pariser Louvre mehr Werke des Ausnahmekünstlers als in Gotha.

Auch Ernsts Nachfolger August (1804 –1822), der wohl exzentrischste aller Gothaer Herzöge, war auf dem Kunstmarkt aktiv. In London ließ er den Kaufmann und Publizisten Joseph Meyer (1796 –1856) viele Kostbarkeiten aus Fernost für sein neues chinesisches Kabinett erwerben. Meyer musste London nach einer missglückten Kaffeespekulation Hals über Kopf verlassen, verbuchte aber später als Verleger des „Conversations-Lexicons für die gebildeten Stände“ (später: „Neues Konversations-Lexikon für alle Stände“) einen großen Erfolg.

Als die Gothaer Linie der Ernestiner 1825 ausstarb, wurde das neue Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha geschaffen. Dessen zweiter Regent, Ernst II. (1844 –1893), Bruder des englischen Prinzgemahls Albert, war es schließlich, der dafür sorgte, dass ein großer Teil der Sammlungen aus dem Schloss in ein separates Museumsgebäude überführt wurden.

Bereits unter den Herzögen der alten Gothaer Linie war interessierten Gästen gestattet worden, die damals noch kleinen, in Räumen im Ostturm auf- und ausgestellten Sammlungen von Kunstgegenständen, Naturalien, Uhren und wissenschaftlichen Instrumenten zum Zweck der Bildung zu besichtigen – nun wurden die seitdem stark gewachsenen Kollektionen in einem der ersten Museumszweckbauten Deutschlands einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.


Foto: Atelier Schild-Vogel, Berlin

Felix Melching

geb. 1985, studierte Mittelalterliche Geschichte in Berlin.
Er ist freier Historiker und einer der beiden Moderatoren des DAMALS-Podcasts.

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