In erstaunlich kurzer Zeit, knapp 25 Jahren, eroberte Tschingis Khan alle Länder zwischen Nordchina und den Steppen am Schwarzen Meer. Die Mongolen waren zwar nicht das erste Steppenreich in der Geschichte – vor ihnen hatten hier bereits die Hunnen, die Awaren, die Alttürken und die Uiguren Reiche gebildet –, aber keines hatte zuvor den gesamten eurasischen Steppengürtel beherrscht, und keiner ihrer Begründer hatte die Eroberungen in so kurzer Zeit vollbracht.
Es steht außer Zweifel, daß Tschingis ein genialer Politiker und Heerführer war und daß er zu einer Zeit auftrat, als die politischen Umstände im Herzen der Steppe für die Ausbildung eines neuen Machtzentrums reif waren. Das allein kann die Siegeszüge seiner Heerscharen aber nicht erklären. Hinzu kamen Neuerungen bei den wichtigsten Waffen der Steppenkrieger sowie in der Folge auch bei der Taktik und dem Aufbau des Heeres.
Die Reiche bildenden Nomadenvölker konnten nur dann zur Macht kommen, wenn sie ihre traditionellen Waffen weiterentwickelten, in erster Linie den zusammengesetzten Reflexbogen. Der Name des Bogens bezieht sich auf seinen Aufbau, denn vor dem Anspannen der Sehne krümmte er sich in die entgegengesetzte Richtung wie danach („Reflex“), und der Bogenstab war mit Sehnen, Horn und Beinplatten verstärkt. Seit der Zeit der Skythen (Reiterkrieger, die im 1. Jahrtausend v. Chr. in der eurasischen Steppenzone lebten) bis zum 10. Jahrhundert hatte der Bogen verschiedene Entwicklungsstufen durchschritten. Er war länger und elastischer geworden, und zum Einhaken der Sehne bzw. zur Erhöhung der Durchschlagskraft hatte man die Bogenenden durch Beinplatten verstärkt. Zur Zeit der Alttürken und Uiguren erreichte er eine Länge von 160 Zentimetern. Dieser Bogen war jedoch sehr empfindlich und durfte erst kurz vor der Schlacht gespannt werden. In seiner Überentwicklung fügte sich der Bogen harmonisch ein in die prunkhaft komplizierte Ausstattung der Steppenkrieger des 7. bis 10. Jahrhunderts. Den Mongolen verhalf eine neue Bogenform zu ihrem Siegeszug. Sie war von den Kitan, einem verwandten Volk, entwickelt worden, deren Stammesgebiet von alters her als Heimat berühmter Bogenmacher galt; von ihnen übernahmen die Mongolen ihre innovativen Waffen. Der neue Bogen war kürzer – nur einen Meter lang –, aber straffer; die eine Hälfte seiner Arme war sehr elastisch, die andere bestand aus einem steifen, aus Hartholz geschnitzten Teil, das in einem kleinen Endstück aus Bein endete, in dessen Einkerbungen die Sehne eingehakt wurde. Da der Bogen kurz war, ließ er sich nicht nur beim Reiten leichter bedienen, sondern war auch viel weniger empfindlich. Er konnte daher gespannt, also schußbereit, mitgeführt werden und steckte in einem flachen Lederbehälter an der linken Seite des Waffengürtels.
Auch die Pfeile wurden weiterentwickelt. An die Stelle der schweren dreiflügligen Pfeilspitzen traten flache, aus zwei Teilen geschmiedete Spitzen, die der Schütze vor der Schlacht mit einer kleinen Feile scharf schliff. Die gefiederten Pfeilschäfte wurden kürzer (etwa 50 bis 60 Zentimeter). Die Spitzen stellten Schmiede her, das Schäften und Befiedern war Sache des Kriegers. Er führte die Pfeile in einem flachen ledernen Köcher mit, den er an der rechten Seite des Gürtels anschnallte. In die Schlacht mußte jeder mindestens einen Reservebogen und 60 Pfeile mitbringen. Für den Krieger besaß der Waffengürtel mit Bogenbehälter und Köcher einen hohen symbolischen Wert, sein Verlust bedeutete tiefe Schmach.
Die Mongolen besaßen nicht nur Pfeile mit den bekannten rhomboiden (rautenähnlichen) Spitzen, sondern entwickelten bzw. übernahmen von den Waldvölkern für bestimmte Aufgaben weitere Formen: so etwa ganz dünne, feine Spitzen, um einen Panzer zu durchschlagen; spaten- bzw. gabelförmige Pfeilspitzen dienten zum Durchtrennen von Seilen, Riemen oder Zeltdecken. An der Spitze der Pfeile waren oft hohle durchlöcherte Kolben aus Holz, Horn oder Metall angebracht, die während des Flugs brummende, singende oder pfeifende Töne erzeugten, was eben-so als Signal dienten konnte wie zur Einschüchterung der Feinde. Pfeil und Bogen, die Fernwaffe der Steppenvölker, erreichten zur Zeit Tschingis Khans einen hohen Entwicklungsgrad. Angesichts der herkömmlichen Taktik der Reiterkrieger – pfeilschnelle Wendungen und plötzliche Angriffe – waren sie höchst effektiv einsetzbar und verbreiteten sich überall im Großreich der Tschingissiden.
Dr. Käthe Uray-Kähalmi