Wie sind Sie auf Theodor Wonja Michael gekommen?
Helga Glaesener: Bei Recherchen bin ich vor Jahren auf einen Schwarzen gestoßen, der in „Völkerschauen“ mitwirken musste. Der war mir im Gedächtnis geblieben. Ich schreibe aktuell an einem Roman über die 1920er Jahre, in dem eine solche Person vorkommen soll. In diesem Zusammenhang habe ich die Lebenserinnerungen von Theodor Wonja Michael gefunden, die ich sehr spannend finde.
Was hat Sie beeindruckt?
Er hatte eine Kindheit mit vielen verletzenden Erfahrungen, hat sich aber dennoch einen differenzierten Blick bewahrt. Er schildert etwa, wie Freunde ihn zur HJ mitnehmen wollten, wo er aber rausgeschmissen wurde. Er durfte wegen seiner Hautfarbe auch nicht auf dem Gymnasium bleiben. Gleichwohl urteilte er nicht pauschal, sondern schaute immer neu auf die einzelnen Menschen.
Wie hat er das NS-Regime überlebt?
Indem er sich weggeduckt hat. Das sagte er selbst. Er hatte Arbeit als Page im Hotel und wirkte auch als Statist in Kolonialfilmen mit. Später wurde er als Arbeiter zwangsverpflichtet. Man hat ihn nachträglich als „Sieger“ oder „Helden“ bezeichnen wollen. Das sah er selbst nicht so.
Er war Schauspieler, Journalist, Lehrbeauftragter, Geheimdienstler – ganz schön vielseitig …
Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ befand er sich zunächst in einer diffusen Situation: Die Russen verdächtigten ihn als Kollaborateur, die Deutschen wollten ihn gern als Amerikaner sehen und loswerden, die Amerikaner wollten ihn auch nicht, weil er deutsch sprach. Er hatte es schwer, Arbeit zu finden. Auch im Film oder auf der Bühne nahm man für schwarze Rollen lieber Weiße und malte sie schwarz an. Andererseits hatte er auch immer Freunde und Förderer. Er war sehr intelligent, konnte schließlich in Hamburg und Paris studieren. Michael wurde Chefredakteur der Zeitschrift „Afrika-Bulletin“ und arbeitete für den Hessischen Rundfunk.
Zuletzt war er Regierungsdirektor beim BND …
Beim BND hatte er freundliche, zugewandte Kollegen. Es gab aber auch andere, in deren Augen er zwar „gut integriert“, aber auch fremd, also verdächtig war. Er aber hielt durch. Durchhalten war sein wichtigstes Talent.
Welche Bedeutung hatte er für die afrodeutsche Gemeinschaft in der Bundesrepublik?
Er war Ansprechpartner. Wer Hilfe brauchte, bekam sie von ihm. Er hielt auch Verbindung zu Botschaften afrikanischer Länder. Er hat sich immer gegen Diskriminierung eingesetzt, machte keinen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß. Das hat ihm geholfen, überall offene Türen zu finden.
Hat er etwas Vorbildliches?
Seinen unvoreingenommenen Blick auf die Welt und die Menschen. Er hat immer versucht, zu sehen, was wirklich ist.
Interview: Dr. Winfried Dolderer
Helga Glaesener geb. 1955, deutsche Schriftstellerin, Autorin von historischen und Kriminalromanen. Zu ihren Werken zählen „Rabenaas“ (2017) und „Das Seehospital“ (2019).
Theodor Wonja Michael (1925 – 2019), Schauspieler, Journalist, afrodeutscher Zeitzeuge. Geboren als Sohn eines kamerunischen Vaters und einer deutschen Mutter. Nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem Laufbahn im höheren Dienst beim Bundesnachrichtendienst (BND).