Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Die starke Frau von Gotha

Sonderveröffentlichung

Die starke Frau von Gotha
Als verwitwete Landgräfin beeinflusste Elisabeth von Lobdeburg-Arnshaugk die Geschicke Thüringens im 14. Jahrhundert maßgeblich zum Besseren. Die Stadt Gotha, in der sie residierte, gedieh durch ihr energisches Wirken zu einem politischen Zentrum im Machtbereich der Wettiner.

Die Zeit, so scheint es, hat hier keine Spuren hinterlassen. Eine junge Frau blickt uns über fast sieben Jahrhunderte hinweg aus steinernen Augen an, das Gesicht von einem Schleier umflossen, die Hände in Bethaltung vor dem Mieder aneinandergelegt. Das Epitaph der Elisabeth von Lobdeburg-Arnshaugk, verstorben 1359 im damals ehrwürdigen Alter von 73 Jahren, ist ein sehenswertes, freilich nicht beschädigungsfreies Zeugnis gotischer Plastik. Die umlaufende Inschrift soll bereits im frühen 17. Jahrhundert zum Teil verwittert gewesen sein. Eindeutig und vollständig zu lesen ist heute nur noch eine Zeile am linken Rand der Grabplatte, die über Elisabeth nicht mehr besagt, als dass sie „hier begraben“ sei und in Frieden ruhen möge, im Wesentlichen aber die Titel ihres einstigen Ehegatten verrät: Landgraf von Thüringen, Markgraf von Meißen.

Dank den Bemühungen humanistischer Gelehrter, die bereits in der frühen Neuzeit emsig Inschriften sammelten, sind wir allerdings über den ursprünglichen Wortlaut im Bild: „Im Jahr des Herrn 1359 am elften Tag vor den Kalenden des September (22. August) starb die ruhmreiche Herrin Frau Elisabeth, hinterlassene Witwe des Fürsten Herrn Friedrich des Älteren, Landgrafen von Thüringen und Markgrafen von Meißen, die hier begraben ist, und deren Seele in Frieden ruhen möge, Amen.“

Aktive Rolle in der Politik: eine Witwe mit Gestaltungsanspruch

Es ist ein Text, der nichts Falsches sagt und doch Wesentliches verschweigt. Elisabeth von Lobdeburg-Arnshaugk war nach dem Ableben ihres fast drei Jahrzehnte älteren Gatten weit mehr als nur „hinterlassene Witwe“. Sie führte für ihren Sohn bis zu dessen Volljährigkeit die Regierungsgeschäfte und amtierte nach dessen frühem Tod ein weiteres Mal als Regentin für die minderjährigen Enkel. Ihr Hof in Gotha war Schauplatz entscheidender Verhandlungen und Vertragsschlüsse. Ihre Heiratsdiplomatie bescherte der Land- und Markgrafschaft ansehnliche Gebietszuwächse. Nicht zuletzt war es ihr Verdienst, dass der Machtbereich der Wettiner, in etwa die heutigen Bundesländer Sachsen und Thüringen sowie Teile des südlichen Sachsen-Anhalt, trotz konkurrierender Erbansprüche bis auf weiteres ungeteilt bewahrt blieb.

Einen würdigenden Nachruf immerhin, in dem auch ihre politische Rolle andeutungsweise zur Sprache kommt, widmete ihr der Verfasser einer um 1420 im Eisenacher Dominikanerkloster entstandenen und aus älteren Chroniken schöpfenden „Geschichte der Landgrafen Thüringens“. Elisabeth sei streng gewesen in Lebensführung und christlichem Glauben, mit außerordentlicher Klugheit begabt, großzügig in Gesinnung und Taten, mit allen weltlichen Tugenden ausgestattet, an politischen Beratungen führend beteiligt, wortgewandt, Ernährerin der Armen, Verteidigerin der Ordensleute, mit Eifer und treuester Fürsorge um den Frieden des Thüringer Landes bemüht, beim Gottesdienst gewissenhaft.

Anzeige

Wer auf der A 4 in Richtung Hermsdorfer Kreuz unterwegs ist und die wuchtigen Betonklötze der Plattenbau-Siedlung Jena-Lobeda passiert, kann an dem dahinter aufragenden Hang über der Saale die Ruine der Lobdeburg erspähen. Hier und auf der 25 Kilometer weiter südöstlich gelegenen Burg Arnshaugk, wo sie 1286 geboren wurde, verbrachte Elisabeth ihre Kindheit und frühe Jugend, bis sie mit 14 Jahren dem Mann fürs Leben begegnete.

Friedrich, genannt der Freidige, geboren 1257 als ältester Sohn des Markgrafen Albrecht von Meißen, war seit 1293 bereits Witwer. Seine Mutter Margarete war eine Tochter des letzten Stauferkaisers Friedrich II. aus dessen dritter Ehe mit der englischen Prinzessin Isabella gewesen. So galt bereits der Zwölfjährige eine Weile als Hoffnungsträger stauferfreundlicher Kreise in Italien, nachdem sein Vetter Konradin 1268 den Versuch der Rückeroberung Siziliens nicht überlebt hatte. In dieser Zeit nannte der Meißener Erbprinz sich gelegentlich „Friedrich III.“ und schmückte sich mit dem Titel eines „Königs von Jerusalem und Sizilien“, den der kaiserliche Großvater getragen hatte. Sein Vater hatte, nachdem deren erster Gatte früh verstorben war, Elisabeths Mutter geheiratet, was die beiden zu Stiefgeschwistern werden ließ.

Das mittelhochdeutsche Wort freidig kann „tapfer“ und „kühn“, aber auch „frech“ und „wild“ bedeuten. Als Brautwerber soll Friedrich der Freidige dem Beinamen alle Ehre gemacht haben, indem er die Auserwählte kurzerhand kidnappte. So lesen wir es in der deutschsprachigen Chronik des Zeitgenossen Johannes Rothe. Friedrich habe ein Auge auf die Stiefschwester geworfen, nachdem sie ihm als „eyne suberliche hobische weidelich mait, von leibe und synnen wol geziret“ beschrieben worden sei. Er habe ihr dann eines Sonntags auf dem Weg zur Kirche aufgelauert und sie samt Gefolge auf seine Burg Grimmenstein in Gotha verschleppt.

Kämpfe um die Herrschaft und den Bestand der Dynastie

In den Worten des Chronisten liest sich das folgendermaßen: „Alse sin Stiff-Schwester Jungfrauwe Elisabeth von dem Sloze zu der Messe gehin wolde mit örin Dienern und Jungfrauwen, die ör Muthir do gelaßin hatte, do begreiff her sie und fürte sie mit örin Jungfrauwen uff das Huß zu Gotha und ließ siner Stiff-Mutter heymlichen eynen fruntlichen Briff schriben.“ Darin mischten sich Komplimente mit Beteuerungen der eigenen harmlosen Absicht. Friedrich versicherte, dass er Elisabeths Mutter ihrer Frömmigkeit wegen schätze und mit der Tochter nichts Unschickliches vorhabe, sie vielmehr heiraten wolle. Das Schreiben machte offenbar den erhofften Eindruck: „Do machte her eyne schone Hochzit nach Sante Bartolomeus Tage mit allin erbarn Luthin, die ez mit öme hilden.“

Die Markgrafschaft Meißen, Kernland des späteren Kurfürstentums, Königreichs und heutigen Freistaats Sachsen, war 929 im Zuge der deutschen Expansion in die slawischen Gebiete östlich von Elbe und Saale entstanden. Seit 1089 herrschten hier die Wettiner, ein sächsischer Adelsklan, dessen Stammburg sich knapp 18 Kilometer nördlich von Halle über dem östlichen Saale-Ufer erhebt. Die Verbindung mit Thüringen entstand durch Erbfolge.

Zum Zeitpunkt seiner Eheschließung mit Elisabeth von Lobdeburg saß Friedrich der Freidige dort freilich nicht gerade fest im Sattel. Der seit 1292 amtierende deutsche König Adolf von Nassau, später auch sein Nachfolger Albrecht von Habsburg, machte Ansprüche auf die Landgrafschaft geltend. Friedrich und sein jüngerer Bruder Dietrich setzten sich bewaffnet zur Wehr. Belagerungen und Scharmützel folgten aufeinander bis 1307, als die königlichen Truppen bei Lucka im äußersten Osten des Landes eine vernichtende Niederlage erlitten.

Die Machtfrage war damit in Friedrichs Sinn geklärt, und auch der Fortbestand der Dynastie war gesichert, als Elisabeth 1310 in Gotha einen Sohn zur Welt brachte. Auf die Nachricht seiner Geburt hin blies der glückliche Vater einen geplanten Feldzug gegen die Abtei Fulda umgehend ab. Der Sohn erhielt den Namen seines Vaters. Bekannt wurde er später als Friedrich II., der Ernsthafte.

In der Not übernimmt Elisabeth die Zügel – und betreibt Heiratspolitik

Gut zehn Regierungsjahre waren Friedrich dem Freidigen noch vergönnt. Während eines Aufenthalts in Eisenach erlitt er im Mai 1321 einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Es war der Moment, der seine Gattin in eine neue Rolle beförderte, die der politischen Entscheidungsträgerin. Der Landesherr bettlägerig und außerstande, sich noch zu äußern, sein künftiger Nachfolger gerade mal elf Jahre alt: Die Verantwortung für die Zukunft der wettinischen Länder lag fortan bei Elisabeth. Sie führte die Regierungsgeschäfte für ihren Mann und nach dessen Tod 1323 weitere sechs Jahre bis zur Volljährigkeit für ihren Sohn.

Um dessen Zukunft ging es bei der wichtigsten politischen Entscheidung in dieser Zeit. Für den jungen Friedrich hatte die Mutter zunächst eine Verbindung mit der in Böhmen herrschenden luxemburgischen Dynastie ins Auge gefasst. Eine Tochter König Johanns lebte bereits eine Weile auf der Wartburg, um ihre künftige Rolle als Landgräfin einzuüben. Doch dann meldete sich kein Geringerer als der Kaiser mit einem
attraktiveren Vorschlag. Ludwig IV. aus dem Haus Wittelsbach brachte eine Ehe seiner Tochter Mechthild mit dem jungen Friedrich ins Gespräch.

Elisabeth reagierte prompt. Sie schickte die böhmische Prinzessin nach Hause, nahm den Verdruss des Vaters in Kauf, der mit bewaffneter Macht in der Lausitz einfiel, und handelte 1323 in Regensburg persönlich mit Ludwig die Modalitäten aus. Die Eheschließung, die mit der Volljährigkeit des Prinzen 1329 in Nürnberg gefeiert wurde, trug den Wettinern das Pleißenland mit den bis dahin reichsfreien Städten Zwickau, Chemnitz und Altenburg ein. Damit schloss sich eine territoriale Lücke zwischen ihren sächsischen und thüringischen Besitzungen. Nach dem Tod des Gatten wurden Elisabeth Burg und Stadt Gotha als Witwensitz zugesprochen. Hier hatte sie geheiratet, hier zwei Kinder geboren. Für Gotha sprach nicht zuletzt auch die im Vergleich zur Wartburg relativ zentralere Lage. Energischen Widerstand leistete Elisabeth, als der Sohn sie drängte, ihm Gotha im Austausch gegen eine andere Ortschaft abzutreten. Im Ergebnis konnte Elisabeth Gotha behalten, wo sie Burg Grimmenstein zu einer repräsentativen Residenz ausbaute. Ihre Urkunden pflegte sie als „Herrin von Gotha“ zu unterzeichnen.

Auf dem Grimmenstein ließ sie 1332 eine Burgkapelle bauen, die der heiligen Elisabeth geweiht war. Die Verehrung ihrer Namenspatronin scheint in ihrer Frömmigkeit ohnehin eine zentrale Rolle gespielt zu haben, nicht verwunderlich bei einer Heiligen, die selber einem Thüringer Fürstenhaus angehört hatte. Gegen Ende ihres Lebens verfügte die Landgräfin, dass sie nicht an der Seite ihres Mannes bei den Zisterzienserinnen des Eisenacher Katharinenklosters beigesetzt werden wollte, sondern bei den Dominikanern, deren Kirche als eine der ersten in Deutschland der heiligen Elisabeth geweiht worden war.

Das geistliche Leben ihrer Residenzstadt suchte Elisabeth aufzuwerten, indem sie 1344 die damals seit einem Jahrhundert bestehende Pfarrkirche St. Marien zur Stiftskirche erhob, „domite Gotes dinst dorinn gemeret werde tagk und nacht“ nach den Worten des Chronisten Johannes Rothe. Zu diesem Zweck mussten schließlich die Säkularkanoniker des Augustiner-Stifts in Ohrdruf am Fuß des Thüringer Waldes ins nahegelegene Gotha umziehen. Wie ihre Zeitgenossen trieb Elisabeth die Sorge um ihr künftiges Geschick im Jenseits um. Von Papst Clemens VI. ließ sie sich 1347 ein Privileg ausstellen, das ihr vollständige Absolution für alle in der Todesstunde gebeichteten Sünden garantierte. Fromme Stiftungen sollten ergänzend Gewissheit schaffen. So kaufte Elisabeth den Zisterzienserinnen des Gothaer Heiligkreuz-Klosters drei Äcker ab mit der Maßgabe, dass die Nonnen das Land nach ihrem Tod zurückbekommen und dafür die Seele ihres Mannes – sowie künftig ihre eigene – Gott im Gebet empfehlen sollten. Das Haus, das sie sich in Gotha hatte bauen lassen, vermachte sie 1351 dem Marienstift.

Sie wacht über die Unteilbarkeit der wettinischen Länder

An Herausforderungen fehlte es der Regentin, wie auch später ihrem Sohn Friedrich II., nicht. Das Thüringen des 14. Jahrhunderts war eine alles andere als friedliche und gefahrlose Gegend. Raubritter machten die Straßen unsicher. Der kleinere Adel und ein selbstbewusstes Stadtbürgertum widersetzten sich gelegentlich auch mit Waffengewalt der Autorität des Landgrafen. Bereits zur Zeit Friedrichs des Freidigen war es 1309 zu militärischen Verwicklungen mit der Stadt Erfurt gekommen, in deren Folge weite Landstriche sieben Jahre lang brachgelegen haben sollen. Ein weiteres Mal erschien 1330 eine Streitmacht aus Erfurt vor Gotha. In der „Geschichte der Landgrafen“ lesen wir: „Die Erfurter hatten … dreihundert Lanzen herangeführt. Mit ihrem Hauptmann Heinrich von Blanckenhayn rückten sie aus ihrer Stadt aus und zerstörten Dörfer des Markgrafen … durch Raub und Brand.“

Gegen die allgegenwärtige Raubritter-Plage griff Friedrich II., der Ernsthafte, unnachsichtig durch, zumal nachdem dem Kaiser Beschwerden reisender Kaufleute über die Risiken auf Thüringer Straßen zu Ohren gekommen waren. Ein Autor des frühen 18. Jahrhunderts berichtet, er habe „einigen von Adel wie auch etlichen Bürgern von Naumburg die Köpffe vor die Füsse legen“ lassen und an drei adligen Brüdern, die „mit einer Rotte anderer Edelleute“ auf Raubzug nahe Gotha gefasst wurden, ein eindrückliches Exempel statuiert: „Diese wurden sofort an eisernen Ketten aufgehenckt“.

Friedrich II., der Ernsthafte, starb 1349 noch nicht 40-jährig auf der Wartburg, nachdem er seinen drei noch minderjährigen Söhnen Friedrich, Balthasar und Wilhelm das Versprechen abgenommen hatte, zumindest für die nächsten zehn Jahre die wettinischen Länder ungeteilt zu erhalten. Zur Hüterin des Vertrages bestellte er seine Mutter, die von Gotha aus mit Argusaugen über den Zusammenhalt ihrer Dynastie wachte. In zwei Folgeverträgen des Wartburg-Abkommens wurde die Frist der ungeteilten Herrschaftsausübung letztlich bis zum Ableben aller Beteiligten verlängert.

Noch zu Lebzeiten ihres Sohnes hatte Elisabeth für den ältesten Enkel Friedrich (III., der Strenge) eine einträgliche Ehe mit einer Tochter des Grafen von Henneberg gestiftet, durch die Thüringen die Ortschaften Coburg und Sonneberg gewann. In ihrem letzten Lebensjahrzehnt war Elisabeth sicherlich die einflussreichste Angehörige des Hauses Wettin. Dies zeigt sich in Urkunden, in denen ihre Beteiligung an Rechtsakten und Entscheidungen ausdrücklich erwähnt wird, wie auch in dem Umstand, dass Gotha als Residenzort Städten wie Dresden zeitweilig den Rang ablief. Als sie starb, verlor die Dynastie ihre große alte Dame, eine Garantin der Stabilität.

Autor: Dr. Winfried Dolderer

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
DAMALS in den sozialen Medien
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Aktueller Buchtipp
Wissenschaftslexikon

See|jung|fer  〈f. 21; Zool.〉 1 smaragdgrüne Libelle mit großen, blauschillernden Flügelflecken: Calopteryx virgo 2 = Seekuh … mehr

Fake|nach|richt  〈[fk–] f. 20; meist Pl.〉 = Fake News

Um|lauf|bahn  〈f. 20; Astron.〉 Bahn eines Gestirns beim Umlauf um die Sonne bzw. eines Satelliten beim Umlauf um die Erde

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige