Der Stammvater: Mayer Amschel Der Münz- und Textilhändler Mayer Amschel Rothschild (1744– 1812) legte den Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg der Dynastie: Durch seine engen Geschäftsbeziehungen zum Oberhaupt des reichsten europäischen Adelshäuser, dem Kurfürsten von Hessen-Kassel, erwarb er ein Vermögen. In der zweiten Generation waren seine fünf Söhne strategisch günstig in fünf europäischen Ländern plaziert: Amschel Mayer (1773–1855) übernahm die Frankfurter Bank. Salomon Mayer (1774– 1855) eröffnete eine Filiale in Wien. Nathan Mayer (1777–1836) ging zunächst nach Manchester und gründete dann das Bankhaus N M Rothschild & Sons in London. Die jüng?sten Söhne, Carl Mayer (1788–1855) und Jakob (James) Mayer Rothschild (1792– 1868), eröffneten Dependancen des Familienunternehmens in Neapel und Paris.
Der Frankfurter Zweig Amschel Mayer war ein eher konservativer und vorsichtiger Bankier. Da er keine Nachkommen hatte, übernahmen nach seinem Tod die Neffen Mayer Carl und Wilhelm Carl (aus dem Neapolitaner Zweig) die Frankfurter Bank. Mayer Carl saß für die Liberalen im Reichstag. Die Silbersammlung des großen Kunstsammlers war zu ihrer Zeit die berühmteste der Welt. Nach dem Tod Wilhelm Carls im Jahr 1901 erlosch die männliche Linie des Hauses Rothschild in Frankfurt. Das Vermögen wurde unter die anderen Zweige der Familie aufgeteilt. Der Wiener Zweig Salomon konnte enge Beziehungen zur Regierung des Habsburgerreiches knüpfen, was ihm und seinen Brüdern 1822 einen Adelstitel einbrachte (und damit das Recht, Uniform zu tragen, was für Empfänge bei Hof wesentlich war). Sein Sohn Anselm legte die Grundlage für die berühmte Kunstsammlung der Rothschilds in Österreich. In der dritten Generation übernahm Albert die Leitung der Bank, während sein Bruder Ferdinand sich in England auf Schloß Waddesdon dem Leben eines Landedelmanns widmete; der dritte Bruder, Nathaniel, zeigte kein Interesse an Bankgeschäften.
Die österreichischen Rothschilds durchlebten geschäftliche Höhen und Tiefen. Das Ende kam abrupt: 1938, nach dem „Anschluß“ Österreichs, verfügten die Nazis die Enteignung der Rothschilds; Alberts Sohn Louis wurde festgenommen, konnte dann aber zusammen mit seiner Familie in die USA emigrieren. Der Londoner Zweig In London schuf Nathan ein florierendes Unternehmen, das nach seinem Tod der älteste Sohn als Seniorchef übernahm: Lionel war einer der fähigsten Bankiers seiner Zeit. 1847 zog er als erster Jude ins englische Parlament ein (für die Liberale Partei), die Annahme der Wahl scheiterte jedoch an dem ungelösten Problem, daß Lionel als Jude nicht auf eine Bibel schwören konnte. Auch Lionels Söhne gelangten zu hohem Ansehen: Nathaniel wurde 1885 in den erblichen Adelsstand erhoben (Lord Rothschild of Tring). Alfred Charles wurde der erste jüdische Direktor der Bank of England. Der jüngste, Leopold, leitete die Bank von 1879 bis 1917; seine Nachfahren führen bis in die Gegenwart die Londoner Rothschild-Bank. Auch die weiteren Söhne Nathans wurden Teilhaber. Anthony lebte auf Schloß Aston Clinton das Leben eines Landedelmanns, Mayer Amschel baute das prächtige Schloß Mentmore und kaufte das Stadtpalais Piccadilly 148. Einen eher untypischen Weg schlug Nathaniel ein; er ging nach Paris und begründete mit dem Kauf des Weinguts Mouton bei Bordeaux die Weinbautradition der Rothschilds.
Der Neapolitaner Zweig Carl Mayer ging mit einem konkreten Auftrag nach Neapel: Er sollte die Anleihen des dortigen Bourbonenkönigs Ferdinands IV. (seit 1816 als Ferdinand I. König beider Sizilien) organisieren. Carl Mayers Familie lebte teils in Neapel, teils weiterhin in Frankfurt. Mit der italienischen Einigung, die 1861 zur Auflösung des Königreichs beider Sizilien führte, endete die Geschichte der italienischen Rothschild-Niederlassung. Der Pariser Zweig James de Rothschild, der jüngste der Brüder, war in Paris ähnlich erfolgreich wie Nathan in London. Vor allem gelang es ihm, nach 1817 sehr enge Kontakte zu Ludwig XVIII. sowie zwischen 1830 und 1848 zum „Bürgerkönig“ Louis-Philippe von Orléans zu unterhalten. Seine Söhne Alphonse, Gustave und Edmond begründeten die drei französischen Zweige der Rothschilds, die bis heute im Finanzgeschäft tätig sind.
Alphonse und Gustave leiteten die Pariser Bank und waren früh im Eisenbahngeschäft aktiv; Alphonse baute zudem die bemerkenswerte Kunstsammlung aus, die nach 1940 von verschiedenen NS-Institutionen nach Deutschland verschleppt wurde. Edmond engagierte sich früh in der zionistischen Bewegung und finanzierte Siedlungsprojekte in Palästina. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Guy, der Enkel von Alphonse, die Leitung der Rothschild-Bank, doch verließ er nach der Verstaatlichung der Bank 1981 resigniert Frankreich und gründete in den USA eine Investmentbank; die nächste Generation baute das Unternehmen in Frankreich aber neu auf. Der letzte tiefe Einschnitt in der Entwicklung der Rothschild-Banken erfolgte 2003, als der Vorsitzende der Londoner Bank, Sir Evelyn de Rothschild, zurücktrat. Die Leitung über die zusammengelegte Londoner und Pariser Bank ging auf seinen französischen Cousin David über.
Daniel Rupp