Als domini canes – Hunde oder besser Spürhunde des Herrn – wurden die Dominikaner bezeichnet, weil sie zu den Protagonisten der Ketzer-Bekämpfung gehörten, seit Papst Gregor IX. sie 1231 mit der Leitung der Inquisition beauftragt hatte (was die Dominikaner heute als „dunkles und bedrückendes Kapitel“ ihrer Geschichte empfinden). Der Kampf gegen Häresien entsprach aber durchaus den Intentionen des Ordensgründers Domingo de Guzman, ja, die Gründung des Ordens war eine direkte Folge der Begegnung des spanischen Adligen mit den südfranzösischen Katharern.
Dominikus war Subprior des Domkapitels an der Kathedrale von El Burgo de Osma. Im Anschluß an eine Rom-Reise kam er 1206 durch Südfrankreich – und mußte dort erstaunt feststellen, daß selbst sein Herbergsvater in Toulouse offen zugab, den Katharern nahezustehen. Verblüfft sah er, daß die Ketzer straff organisiert und zum Teil hochgebildet waren. Daß die päpstlichen Legaten mit ihrem selbstgerechten Auftreten und in ihren prächtigen Kleidern kaum einen Katharer überzeugen konnten, war für Dominikus offensichtlich. So riet er ihnen, arm und zu Fuß wie einst die Apostel durch das Land der Katharer zu ziehen und das Evangelium zu verkünden. Dominikus beließ es aber nicht bei guten Ratschlägen. Er wollte selbst durch Argumente überzeugen – und durch einen Lebensstil, der den Katharern das andere Gesicht der Kirche zeigen sollte, fern des Prunks, den die Amtskirche entfaltete. Und genauso sollten es die Mitglieder seines 1215 gegründeten Ordens der Predigerbrüder (Ordo fratrum Praedicatorum, OP) tun.
Um die Lehren der Häretiker intellektuell entkräften zu können, verlangte Dominikus von seinen Brüdern ein gründliches Studium, bevorzugt in den geistigen Zentren der damaligen Welt. Es ist kein Zufall, daß mit Albertus Magnus und Thomas von Aquin zwei der bedeutendsten Gelehrten des Mittelalters dem Dominikanerorden angehörten. Daß in der bildhaften Überlieferung vor allem jene Szene dargestellt wird, in der Dominikus ketzerische und rechtgläubige Schriften dem Feuer überantwortet und nur die häretischen verbrennen, spiegelt lediglich die volkstümliche Verehrung des Heiligen.
Noch radikaler vertraten die Franziskaner (Ordo Fratrum Minorum, OFM) die Idee der Armut. Ihre Gründung entsprang nicht einer Begegnung mit Ketzern, sondern war die Folge eines individuellen Bekehrungserlebnisses, das aus dem wohlhabenden Kaufmannssohn Francesco einen in evangelischer Armut lebenden Einsiedler machte, dem sich aber schon bald erste Gefährten anschlossen. Die kleine Gemeinschaft war der Kern des Ordens der Minderen Brüder, der 1209/10 durch Papst Innozenz III. anerkannt wurde und sich in kürzester Zeit in ganz Europa ausbreitete. Ende des 13. Jahrhunderts gab es allein im deutschsprachigen Raum über 200 Franziskanerklöster. Allerdings hatte sich die junge Gemeinschaft in dieser kurzen Zeit deutlich verändert: Das priesterliche Element war gegenüber dem laikalen gestärkt worden, und statt in die Einsamkeit zog es die Franziskaner – wie die Dominikaner – in die Städte, wo sie aus der Seelsorge bald nicht mehr wegzudenken waren. Zwar fungierten auch Franziskaner als Inquisitoren, doch war die institutionelle Verbundenheit nicht so groß wie bei den Dominikanern.
Weshalb blieben die Bettelorden letztlich Glieder der Kirche, während andere Bewegungen, die in ähnlicher Weise die apostolische Armut und Einfachheit leben wollten – wie etwa die Waldenser –, in den Augen der Kirche zu Ketzern wurden? Auch an der Spitze der Waldenser stand ein Mitglied einer Kaufmannsfamilie, Petrus Valdes aus Lyon. Wie Franziskus verzichtete er auf seinen Reichtum, richtete sein Engagement auf die Armen – und sah sich als Teil der Kirche. Anders als Franz von Assisi sparte Petrus Valdes aber nicht mit Kritik an der „Amtskirche“ und nahm darin auch den von der Kirche angehäuften Reichtum nicht aus. Franz dagegen wollte durch sein Beispiel überzeugen und die Kirche auf diesem Weg wieder Christus näherbringen. Er strebte danach, mit seiner Gemeinschaft in völliger Armut zu leben, forderte dies aber nicht von der Kirche und ihren Amtsträgern.
Im Fall der Waldenser war es schließlich die trotz eines Verbots durch den Bischof von Lyon geübte Laienpredigt (jeder sollte Gottes Wort frei verkünden dürfen), die aus kirchlicher Sicht ein Einschreiten erforderlich machte. 1184 sprach Papst Lucius III. auf dem Konzil von Verona den Bann über die Waldenser. In der Folge brachen diese ihrerseits mit der Kirche: So lehnten sie den Kult um Heilige und Reliquien ab und verwarfen den Glauben an die leibliche Existenz Christi in der Eucharistie – und damit einen der zentralen Glaubenssätze der katholischen Kirche. Nur was sich unzweifelhaft durch die Bibel begründen ließ, wollten sie anerkennen. Die so herausgeforderte Kirche reagierte scharf und belegte die Waldenser 1252 „auf ewig“ mit der Kirchenstrafe der Infamie, machte sie also vollkommen ehr- und rechtlos.
Wie schmal der Grat zwischen kirchlicher Anerkennung und Verdammung war, erlebten auch die Franziskaner. Die Armutsfrage sorgte in dem Orden für heftige Diskussionen. Besonders kritisch wurde die Lage, als eine als „Spiritualen“ bezeichnete Gruppe die Forderung nach völliger Armut auf die Kirche und alle ihre Glieder ausdehnte, da auch Christus und die Apostel in Armut gelebt hätten. Papst Johannes XXII. lehnte diese Auffassung 1323 nicht nur ab, sondern verwarf sie als häretisch. Nur mühsam konnten die Ordensoberen die Mehrheit der Brüder wieder auf amtskirchlichen Kurs bringen.
In der religiös aufgeladenen Atmosphäre Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts suchten aber nicht nur Männer und von Männern bestimmte Gemeinschaften nach einem Weg, der wahrhaft dem Evangelium entsprach. Es war eine Zeit, in der auch Frauen ihren Glauben indivi?duell und in Gemeinschaft außerhalb der etablierten Klöster leben wollten. Und wie bei den Männern waren es vielfach Laien, die sich zusammenschlossen. Dabei wurde Klara von Assisi das weibliche Pendant zu Franziskus, der ihr selbst das lange Haar abschnitt und das grobe Ordenskleid überreichte. Ein solches Pendant gab es bei den Dominikanern zwar nicht, doch war es hier der heilige Dominikus selbst, der den ersten Dominikanerinnenkonvent gründete. Dominikus wie Franziskus anerkannten und förderten das Streben vieler Frauen, den Weg der evangelischen Armut mitzugehen.
Einen Sonderfall der Frauenfrömmigkeit dieser Zeit stellen die nicht als Orden organisierten Beginen dar. Dabei handelte es sich meist um Witwen oder unverheiratete Frauen, die in klösterlicher Gemeinschaft zusammenlebten, ohne sich – wie in einem Orden – dauerhaft zu binden. Sie einte der Wunsch, auch als Laien gemäß dem Evangelium selbstbestimmt zusammen mit Gleichgesinnten leben zu können. Die Kirche wußte mit diesem frömmelnden Wildwuchs zunächst nicht viel anzufangen und schwankte zwischen Verurteilung, Duldung und Förderung. Nicht wenige Beginengemeinschaften sahen sich zumindest latent dem Vorwurf der Häresie ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund schlossen sich viele Beginengemeinschaften letztlich doch einem regulären Orden an. Ihre größte Blüte entfalteten die Beginen in Flandern, wo bis heute große Beginenhöfe an diesen selbstbewußten Ausdruck weiblicher Frömmigkeit erinnern.
Uwe A. Oster