Die Disziplin, die von einem Rothschild-Teilhaber erwartet wurde, brachte Nathan Rothschild, der Gründer der englischen Bank, deutlich zum Ausdruck, als er 1816 an seine Brüder schrieb, sein Vergnügen seien seine Geschäfte. Was von einer Ehefrau der Rothschilds erwartet wurde, beschrieb seine Schwiegertochter Charlotte – sie war mit Nathans ältestem Sohn Lionel verheiratet – mehr als ein Vierteljahrhundert später auf etwas temperamentvollere Weise: „Seit ich deine Frau geworden bin“, schrieb sie an ihren Ehemann, „muß ich tun, was andere wollen, und nie, was ich gern möchte. Ich hoffe, daß ich im Himmel entlohnt werde.“
Doch was wollten die „anderen“? Und was wollte Charlotte?
In einer Familie, die so unauflöslich mit der Entwicklung der europäischen und globalen Finanzwelt verknüpft ist, steht eines fest: Was immer Charlotte sich wünschte, einen Platz am Tisch der Rothschild-Teilhaber einzunehmen war für sie keine Option. Die Liste der Berufe und Berufungen, in denen die weiblichen Mitglieder der Familie über Generationen hinweg glänzten – darunter etwa Malerin, Lehrerin, Komponistin, Philanthropin, Wissenschaftlerin, Schriftstellerin –, schloß nie die Tätigkeit des Bankiers ein. Der Ausschluß der Frauen von der direkten Teilhabe am Geschäft ist von grundlegender Bedeutung und bildete die Basis für die Entwicklung des Familienunternehmens, das die Rothschilds bis heute selbst als Privatunternehmen führen.
Seine Wurzeln liegen in der Geschäftsphilosophie des Frankfurter Ahnherrn Mayer Amschel Rothschild (1744 –1812), der seine Söhne und deren Söhne darauf verpflichtete, als Teilhaber zusammenzuarbeiten, seinen Töchtern jedoch nur Nebenrollen als Kassiererin oder Buchhalterin einräumte. Seine Ermahnung an die Söhne, die in einem Teilhabervertrag festgeschrieben war, bekräftigte auch sein Testament: „Würde sich wider Verhoffen ein oder das andere meiner Kinder beigehen lassen, dieser meiner väterlichen Willensmeinung nicht nachzukommen, oder meine Söhne in deren Handlung zu stören“, sollte „dieses pflichtvergessene Kind“ nur den Pflichtteil des Erbes erhalten, „wohin alles dasjenige aufzurechnen isst, was dasselbe bereits bei meinen Lebzeiten an Ausstattung und sonst erhalten …“
In Frankfurt, der ursprünglichen Heimat der Familie, zeigte sich, was passiert, wenn dieser Grundsatz aufs äußerste befolgt wird: 1901, nach dem Tod des letzten überlebenden Teilhabers Wilhelm Carl von Rothschild, wurde das dortige Geschäft aufgelöst, weil weder er noch sein Bruder männliche Erben hatten. Eine Witwe aus der Familie Rothschild, eine Tochter, die mit einem anderen Rothschild verheiratet war, und eine zweite, die einen bedeutenden Frankfurter Bankier geheiratet hatte, zählten nicht. Keine Söhne, keine weiteren Geschäfte.
Die für die Familie Rothschild typischen Erziehungs-, Ausbildungs- und Heiratsmuster ließen keinen Zweifel an der Rolle der Rothschild-Frauen in ihrem späteren Leben. Nathans jüngstes Kind, die in England geborene Louise, heiratete ihren Frankfurter Cousin Mayer Carl und verbrachte den Rest ihres Lebens in der Main-Metropole. Sie zog sieben Töchter groß. Drei der fünf Töchter, die heirateten, nahmen Rothschild-Cousins zum Mann, eine in London, zwei in Paris. Was es bedeutete, eine Rothschild zu sein, wurde diesen Frauen also ihr ganzes Leben lang eingeprägt – Generationen hindurch und über Landesgrenzen hinweg.
Louise war kein Einzelfall, sondern eine von 14 Cousins und Cousinen, die andere Rothschilds heirateten. Die Verbindungen wurden, begleitet von Intrigen und Manövern, von Müttern und Tanten sorgfältig geplant und in die Wege geleitet. Charlotte zufolge maß ihre eigene Tochter Leonora „einer gewissen Stellung in der Welt große Bedeutung bei“; sie „würde nicht gern von dem, was sie für den Thron der R.s hält, herabsteigen, um einen einfacheren Mann zu heiraten.“ Leonora heiratete 1857 ihren französischen Cousin Alphonse. Bereits eine Generation zuvor hatte die Tochter Carl Mayers, ebenfalls eine Charlotte, bei der Nachricht, daß ihr Bruder Wilhelm Carl um die Hand Mathildes (einer Wiener Rothschild) angehalten hatte, ihrem Tagebuch anvertraut: „Meine guten Eltern freuen sich, gewiß, daß er sich keine Fremde erwählt. Für uns Juden, und besonders für uns Rothschilds ist es ein Glück, nicht mit anderen Familien in Berührung zu kommen, das macht einem immer Unannehmlichkeiten und kostet Geld.“
Charlottes Vater, Carl Mayer, hatte klare Vorstellungen von den Pflichten seiner Tochter, nachdem sie 1836 im Alter von 17 Jahren ihren Cousin Lionel geheiratet und ihren geliebten Wohnsitz in Neapel, einem „Paradies auf Erden“, gegen London eingetauscht hatte. Charlotte sollte „her-ausfinden, was in London passiert … Mache jeden Sonntag Besuche.“ Der Erfolg der Rothschild-Investitionen hing von zuverlässigen frühzeitigen Informationen ab, und die Rolle der Frauen, die Kontakte knüpften und Informationen sammelten, darf nicht unterschätzt werden…
Melanie Aspey