Noch heute ist der Petersdom mit der nach Michelangelos Entwürfen 1590 unter Papst Sixtus V. (1585 –1590) fertiggestellten Kuppel und dem vorgelagerten Platz mit den von Bernini errichteten Kolonnaden der Inbegriff von kalkulierter Beeindruckungsarchitektur, vielfältig variiert auch im Bereich weltlicher Politik. Es sei nur an das Kapitol in Washington erinnert. Aber St. Peter ist nur die Spitzenleistung einer planmäßigen Baupolitik, mit der die Päpste seit dem 15. Jahrhundert ihrer Hauptstadt ein für Pilger und Touristen attraktives Gesicht geben wollten. Sie erreichte unter Sixtus V. und Alexander VII. (1655 –1667) ihre Höhepunkte. Doch derselbe Alexander wurde von Ludwig XIV. von Frankreich aufs tiefste gedemütigt. Dieses Ereignis stand am Ende eines politischen Bedeutungsverlusts des Papsttums, der lange vor?her begonnen hatte. Sollten die aufwendigen Bauprogramme nur zur ostentativen Kompensation dieses Niedergangs gedient haben? Doch, wenn dem so wäre, wie konnten sie unter solchen Umständen finanziert werden?
Die neuere Forschung bietet ein komplizierteres Bild. Die herkömmliche, von Protestantismus und Liberalismus geschaffene Vorstellung, das Papsttum sei nach seiner mittelalter?lichen Weltgeltung seit der Reformation in Bedeutungslosigkeit versunken und könne daher ignoriert werden – der französische Historiker Jean Delumeau sprach geradezu von einer Verschwörung des Schweigens –, ist nicht mehr zu halten. Der Begründer der deutschen protestantischen Historiographie Leopold von Ranke wußte es zwar noch besser und schrieb eine Papstgeschichte der Neuzeit, fand aber keine Nachfolger. Heute wissen wir jedoch, daß die Entwicklung keineswegs von derartiger Eindeutigkeit gewesen ist.
Gewiß, auf dem Feld europäischer Mächtepolitik geht die Bedeutung des Papsttums nach erfolgreichen Anstrengungen im 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts rapide zurück. Auch die päpstliche Herrschaft über die Weltkirche nimmt sich auf den ersten Blick alles andere als großartig aus. Zu den Verlusten durch die Reformation kam mittelfristig der ständige Kampf mit der ausgeprägten staatskirchlichen Praxis in fast allen katholischen Ländern. Ein zweiter Blick zeigt aber, daß die Päpste ihren Anspruch auf Kontrolle über die Gesamtkirche eindrucksvoll zu stabilisieren verstanden und damit langfristig die Grundlagen für ihre unumschränkte Kirchenherrschaft in jüngster Zeit gelegt haben. Schließlich war auch der Kirchenstaat des 15. bis 17. Jahrhunderts noch kein klägliches Duodezfürstentum, sondern eine respektable italienische Mittelmacht, deren politisches Potential sich durchaus auf dem Niveau von Sa-voyen und Toskana, von Venedig und Neapel bewegte. Mit guten Gründen wird ihm neuerdings sogar eine Vorreiterrolle im europäischen Staatsbildungsprozeß zugeschrieben.
Allerdings sind die drei Felder Mächtepolitik, Weltkirche und Kirchenstaat nicht reinlich zu scheiden, sondern durch den geistlich-weltlichen Doppelcharakter des päpstlichen Herrschaftssystems untereinander verklammert. Sehr handfest kommt dies in der Papstfinanz zum Ausdruck, die zwar ihre Basis inzwischen im Kirchenstaat hatte, aber zusätzlich noch durch Ressourcenzufluß aus der Weltkirche gespeist wurde, während auf der anderen Seite große Summen in die Finanzierung der europäischen Mächtepolitik abflossen. Es ist kein Zufall, daß der erwähnte Sixtus V. nicht nur ein halbwegs erfolgreicher Machtpolitiker und der Reorganisator von Kirche und Kirchenstaat war, sondern zugleich trotz oder gerade wegen seiner dubiosen Methoden ein nach den Begriffen der Zeit äußerst erfolgreicher Finanzpolitiker.
Mächtepolitisch war 1530, spätestens 1559 in Italien die Entscheidung zugunsten der spanischen Vorherrschaft gefallen (seit 1494 hatten Spanien und Frankreich in Süd- wie in Norditalien heftig um Einfluß und Besitzungen gerungen). Nach der kläglichen Niederlage des Spanienhassers Paul IV. (1555 –1559), der noch einmal einen Krieg an der Seite Frankreichs gewagt hatte, mußten die Päpste sich mit Spanien arrangieren, während umgekehrt die spanische Krone daran interessiert blieb, daß der Stuhl Petri mit einem Freund Spaniens besetzt war. Denn zunächst blieb der Papst ein wichtiger Partner für die spanische Innen- und Außenpolitik. Unter anderem, weil beide nur auf der Grundlage der Besteuerung der spanischen Kirche funktionierten, die wichtiger war als alle Silberschätze Amerikas, und diese wiederum funktionierte am besten mit päpstlicher Hilfe. Zwar gelang es den spanischen Kardinälen und Diplomaten nur selten, bei der Papstwahl den Wunschkandidaten ihres Königs durchzusetzen, aber von den 16 zwischen 1559 und 1670 gewählten Päpsten waren die meisten bewährte Spanienfreunde oder zumindest für Spanien akzeptabel – schlimmstenfalls als das kleinere Übel wie der frankophile Leo XI. Medici (1605), denn der Alternativkandidat wäre der spanienkritische Kirchenhi-storiker Baronius gewesen. Der frankreichfreundliche Urban VIII. (1623 – 1644) hingegen kam ohne Einwirkung der Großmächte auf den Thron.
Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gestattete es die relative Stabilisierung der italienischen Verhältnisse den Päpsten, sich stärker als ihre Vorgänger über die Interessen des Kirchenstaats hinaus machtpolitisch zu engagieren. Neben der in der katholischen Welt nach wie vor gewichtigen politischen oder rechtlichen Parteinahme des Stellvertreters Christi als solcher konnte politisches Engagement die Entsendung päpstlicher Truppen bedeuten wie 1591 gegen die Hugenotten nach Frankreich oder 1595 gegen die Osmanen nach Ungarn. Daneben engagierten sich die Päpste finanziell entweder durch die Bewilligung von Sondersteuern auf die Kirche der Länder ihrer jeweiligen Verbündeten oder durch direkte Hilfsgelder, die von der Papstfinanz aufgebracht wurden. Noch im Dreißigjährigen Krieg wurden Zahlungen an den Kaiser und die Katholische Liga geleistet. Die großen Ziele der päpstlichen Politik waren dabei erstens wie schon im Spätmittelalter die Abwehr der Osmanen, zweitens die Gegenreformation als politische Bekämpfung des Protestantismus, drittens die Erhaltung oder gegebenenfalls die Wiederherstellung des Friedens zwischen den katholischen Mächten…
Prof. Dr. Wolfgang Reinhard