Königin Victoria, die – gerade 18-jährig – 1837 den Thron bestiegen hatte, heiratete den zweiten Sohn des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha am 10. Februar 1840. Ihr war bewusst, dass ihr Ehemann aus dem entlegenen deutschen Duodezfürstentum in seiner neuen Heimat einen schweren Stand haben würde: Er bringe ein persönliches Opfer, wenn er sich mit ihr vermähle, meinte sie bei ihrer Verlobung im Oktober 1839.
Die Londoner Gesellschaft sah das anders – nüchterner, ja kritisch. War es nicht ein Glück für den Prinzen aus einem Ländchen, die Königin von England heiraten zu dürfen, die Herrscherin über ein weltumspannendes Empire? Das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha war in der Tat nur knapp 2 000 Quadratkilometer groß; der Schriftsteller William Thackeray rechnete es in einem seiner Romane den deutschen „Pumpernickel-Staaten“ zu. „Kleine ausländische Fürsten (ohne Geld) sind hierzulande sehr unbeliebt“, schrieb Victoria noch 1870 an ihre älteste Tochter, die zu der Zeit schon mit dem preußischen Kronprinzen verheiratet war.
Die eheliche Verbindung Alberts mit der britischen Thronfolgerin, seiner Cousine, war vom belgischen König Leopold, seinem Onkel, früh eingefädelt worden. Victorias Mutter – Alberts Tante – war mit einem Sohn des englischen Königs Georg III. verheiratet gewesen. Als sie mit ihrem Bruder die Heiratspläne ausheckte, waren Victoria und Albert fast noch Kinder. Das war nicht ungewöhnlich. In der europäischen Hocharistokratie war das Spekulieren über nützliche dynastische Allianzen noch im späten 19. Jahrhundert beliebter Zeitvertreib in den Salons.
Auf die ihm zugedachte Rolle als Prinzgemahl wurde Albert mit bemerkenswerter Sorgfalt vorbereitet. Die Unterrichtung des am 26. August 1819 geborenen Prinzen erfolgte durch einen Hauslehrer und mit „steter Rücksicht auf das so eigentümliche Land und Volk [England]“. Dar-über hinaus sollte, so ein Berater der herzoglichen Familie in Coburg, „die Neigung der Prinzessin noch vor der Bewerbung“ gewonnen werden. Aber wie? Das war ungeachtet allen Drucks von außen völlig offen. Würden Victoria und Albert aneinander Gefallen finden? Im Mai 1836 sollte sich zeigen, ob die ehrgeizigen Pläne der Coburger Familie auch auf einem emotionalen Fundament ruhen konnten. In Begleitung des Vaters und des älteren Bruders besuchte der 17-jährige Albert London und begegnete zum ersten Mal der gleichaltrigen Victoria. Der Aufenthalt dauerte vier Wochen.
Danach äußerte sich Albert ziemlich wortkarg. Er finde Victoria „sehr liebenswürdig“, ließ er verlauten, mehr nicht. Victoria hingegen reagierte impulsiv. Sie war vom Aussehen ihres Vetters begeistert. In ihrem Tagebuch schwärmte sie: „Er ist sehr hübsch. Sein Haar hat ungefähr die gleiche Farbe wie meines. Seine Augen sind groß und blau. Er hat eine wunderschöne Nase, einen sehr hübschen Mund und schöne Zähne. Aber der Zauber seiner Erscheinung liegt in seinem Gesichtsausdruck.“ Zudem sei Albert stets zu Späßen aufgelegt und habe immer eine schlagfertige Antwort bereit.
Beim Abschied der Coburger Besucher, notierte Victoria, habe sie „bitterlich, sehr bitterlich geweint“. Dem Onkel Leopold in Brüssel dankte sie „für die Aussicht auf ein großes Glück, zu der Du mir in der Person des lieben Albert verholfen hast. Er besitzt alle Eigenschaften, die ich mir nur wünschen könnte, um vollkommen glücklich zu werden.“ Offenbarte sie hier ihre wahren Gefühle?
Der Besuch der Coburger in London wurde alles in allem als Erfolg gewertet, und die Dinge nahmen ihren vorgezeichneten Lauf. Zunächst sollte Albert nach den Vorstellungen des Vaters, des Onkels und der Berater aus der provinziellen Enge seiner bisherigen Lebenswelt hinaustreten und sich mehr Weltläufigkeit aneignen. So unterbrach er die Rückreise von London nach Coburg und verbrachte zehn Monate bei Onkel Leopold, nicht nur, um das Funktionieren der konstitutionellen Monarchie Belgiens zu studieren, sondern auch, um seine französischen und englischen Sprachkenntnisse zu ver‧bessern. Mit Victoria hatte er nur Deutsch gesprochen. Im Frühjahr 1837 bezog Albert dann zusammen mit seinem Bruder die Universität Bonn, die als lebendig und sehr preußisch galt. Dort studierte er anderthalb Jahre lang Fächer wie Nationalökonomie, Philosophie, Geschichte und Jura, doch auch Botanik.
Auf einen akademischen Abschluss verzichtete Albert. Stattdessen brach er im Dezember 1838 zur unvermeidlichen „Kavalierstour“ auf, natürlich nach Italien. Eine solche mehrmonatige Reise gehörte auch im 19. Jahrhundert noch zum obligatorischen Bildungspensum jüngerer Herren von Stand – eine Mischung aus Tourismus und Besuchen in adligen Häusern und bei sogenannten Berühmtheiten der Zeit.
Doch dann beschleunigte sich der Gang der Dinge. Nach dem Ableben des englischen Königs Wilhelm IV. im Juni 1837 hatte seine Nichte Victoria die Thronfolge angetreten. Ein Jahr später, am 28. Juni 1838, wurde sie in der Westminster-Abtei gekrönt. König Leopold, der Strippenzieher in Brüssel, war beunruhigt. Eine Heirat der jungen Königin in naher Zukunft wurde wahrscheinlicher. Gerüchte machten die Runde. Die Namen angeblich aussichtsreicher Kandidaten fielen. Ihren Vetter Albert schien Victoria vergessen zu haben. Leopold drängte seinen Neffen, umgehend nach London zu reisen, um in dem einsetzenden Gerangel um die Hand der glänzendsten Partie Europas seine Chancen zu wahren.
Nach einigem Hin und Her brach der Prinz seine Italien-Reise ab. Er sei ziemlich bleich und ein bisschen melancholisch abgereist, berichtete König Leopold nach dem kurzen Zwischenaufenthalt seines Neffen in Brüssel. Am 10. Oktober 1839 traf Albert in Windsor ein, wo Victoria an der Schlosstreppe wartete; fünf Tage später fiel die Entscheidung: Victoria trug Albert ihre Hand an. Die höfische Etikette schrieb vor, dass sie die Initiative ergriff. Von der Verlobung der beiden 20-Jährigen erfuhren vorerst nur einige enge Vertraute.
Heute sind Hochzeiten in den Königs- und Fürstenhäusern spektaku‧läre Medienereignisse. Dagegen nahm sich Victorias Hochzeit mit Albert vergleichsweise bescheiden aus. Am 10. Februar 1840 stürmte und regnete es. Die Kutschfahrt vom Buckingham-Palast zur Kapelle des St.-James’s-Palasts war kurz. Fast 300 Gäste nahmen an der schlecht vorbereiteten Zeremonie teil. Beobachter registrierten peinliche Zwischenfälle wie laut schluchzende Hofdamen und stolpernde Herzöge, doch es fehlte auch nicht an Pomp, Fanfaren und einem festlichen Dinner. Wider Erwarten hatte sich auf den Straßen eine jubelnde Menge eingefunden.
Vergessen war angesichts des glücklichen Paares, dass es in den Wochen zuvor an öffentlicher Kritik an der Hochzeit nicht gemangelt hatte. Die Nachricht, dass die Königin einen mittellosen deutschen Prinzen aus einem so unbedeutenden Herzogtum heiraten würde, hatte in England keine Begeisterung ausgelöst. Im Parlament gab es Streit über die Höhe der zu bewilligenden Apanage für den neuen Prinzgemahl. Der Hof diskutierte Fragen der protokollarischen Rangordnung, kurzum: Missgelaunte Kommentare rissen nicht ab. Dabei ging fast unter, dass das, was als arrangierte Verbindung begonnen hatte, augenscheinlich als Liebesheirat endete. Das war in dieser Zeit und in diesen Kreisen gewiss nicht die Regel…
Prof. Dr. Peter Alter