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Der Papst und die Ketzer

Häresie im Christentum

Der Papst und die Ketzer
Der Kreuzzug gegen die Albigenser und die Entstehung der Inquisition zeigendeutlich, was für eine Gefahr die hochmittelalterliche Kirche in den Häresien ihrerZeit sah und mit welcher Brutalität sie diese Bewegungen zu bekämpfen bereit war. Im frühen Christentum war davon nochwenig zu spüren.

Schon der Apostel Paulus forderte dazu auf, einen Häretiker nach mehrmaliger erfolgloser Ermahnung zur Rückkehr zum rechten Glauben zu meiden (Tit 3, 10). Doch derselbe Paulus konnte der Ketzerei andererseits fast etwas Gutes abgewinnen, wenn er sagte, daß Häresien in den Gemeinden notwendig seien, damit die Rechtschaffenen offenbar würden (1 Kor 11, 19). Von Repression oder gar Verfolgung war im frühen Christentum jedenfalls noch nicht die Rede.

Das griechische Wort haíresis bedeutet zunächst nichts anderes als „Wahl“ und davon ausgehend dann unter anderem auch „Neigung“ oder „Gesinnung“. Im Sprachgebrauch des Neuen Testaments bezog es sich auf bestimmte Gruppierungen oder Lehren, die sich von der Mehrheitsmeinung unterschieden, wodurch der Begriff dann auch die negative Bedeutung von „Sekte“ oder „Irrlehre“ bekam. Insgesamt spielt die haíresis in den neutestamentlichen Schriften aber keine allzu große Rolle. Spätere Theologen reflektierten den Begriff ausführlicher. Für Isidor von Sevilla (um 560–636) etwa, der in seinem enzyklopädischen Werk, den „Etymologien“, die Begriffe von ihrer Grundbedeutung her zu verstehen suchte, waren Häresien Lehren, die sich jemand aus freier Wahl nach seinem eigenen Willen suchte und die somit in Isidors Verständnis nicht vom Heiligen Geist offenbart waren.

Mit der Ausbreitung des Christentums innerhalb des Römischen Reichs stieg auch die Zahl der theologischen Kontroversen in und zwischen den christlichen Gemeinden. Gleichzeitig bildeten sich mit den allgemeinen Konzilien Dogmen heraus, an denen sich die Rechtgläubigkeit des einzelnen erwies. Da die Protagonisten in diesen Kontroversen oftmals ganze Gemeinden oder regionale Teilkirchen hinter sich wußten, kam es in der Spätantike zu großen häretischen Gruppierungen.

Fatal für die Häretiker war der in der Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert eingeleitete Aufstieg des bis dahin oftmals verfolgten Christentums zur erlaubten und schließlich alleinigen Staatsreligion. Die Häretiker wurden damit auch zu Gegnern des Kaisers und Häresie und Majestätsverbrechen zum erstenmal gleichgesetzt. Für das Mittelalter erlangten die spätantiken Häresien vor allem deshalb Bedeutung, weil neue irrgläubige Erscheinungen von den Zeitgenossen immer wieder mit den alten identifiziert wurden, die sie aus Ketzerkatalogen und polemischen theolo?gischen Schriften kannten. Für die Erforschung mittelalterlicher Häresien bringt diese Gleichsetzung heute oftmals große Probleme.

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Im frühen Mittelalter standen die kirchlichen Funktionsträger zunächst eher vor anderen Problemen als dem der Auseinandersetzung mit häretischen Bewegungen. Im Vordergrund stand für sie die Apostasie, also der Abfall vom noch nicht fest verankerten Glauben. Die nicht selten oberflächliche Christianisierung der germanischen Völker, die im Gegensatz zur individuellen Konversion des einzelnen in der Antike stand, war nicht die Grundlage, auf der häretische Theologen einen großen Anhang gewinnen konnten. Und so betreffen Nachrichten über Häresien in der Zeit vor der Jahrtausendwende fast ausschließlich einzelne Intellektuelle, deren Ansichten auf Konzilien verhandelt wurden.

Dieser Zustand änderte sich langsam, als die Inhalte der christlichen Lehre zunehmend auf breiter Basis aufgenommen und von immer mehr Menschen auch verinnerlicht wurden. Exakt mit dem Jahr 1000 treten in den Quellen erste Berichte über Häretiker auf, die einen mehr oder weniger großen Anhang um sich scharen konnten und damit auch von den kirchlichen Autoritäten als Bedrohung wahrgenommen wurden. Inhaltlich ging es bei den Lehren dieser Menschen um sehr unterschiedliche Komplexe, die man nicht von einem einzigen theologischen Ansatz her erklären kann: So wurden etwa die göttliche Natur Christi in Frage gestellt und die Ehe verworfen, das Alte Testament, der Gebrauch von Kruzifixen oder der Gottesdienst insgesamt abgelehnt. Es kam aber auch zu Forderungen nach kirchlicher Reform, wie der Reinheit der Priester.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß in dem darauf folgenden Zeitalter von Kirchenreform und Investiturstreit seit der Mitte des 11. Jahrhunderts der Begriff der Häresie in den Quellen sehr stark verschwimmt. Die verschiedenen Parteien warfen sich gegenseitig ständig vor, häretische Standpunkte zu vertreten, und da das Papsttum sich selbst zum Vorreiter der Reformen machte, konnte es geschehen, daß einzelne Reformer durch den lokalen Klerus als Häretiker verfolgt, von der römischen Kirche aber unterstützt wurden.

Der neue Führungsanspruch der Kurie äußert sich am deutlichsten in dem berühmten „Dictatus papae“ Papst Gregors VII. (1073–1085). Darin legt er fest, daß nicht katholisch sei, wer nicht mit der römischen Kirche übereinstimme. Von dieser Grundlage aus war es kein großer Schritt mehr zur Idee einer „Häresie des Ungehorsams“ gegenüber dem Papsttum, die am Ende des nächsten Jahrhunderts entwickelt wurde. Doch bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts kam es zu fundamentalen Wandlungen innerhalb der Struktur ketzerischer Gemeinschaften. Statt kleiner, lokal begrenzt auftretender häretischer Gruppierungen tauchten nun große Ketzerbewegungen auf, die in weiten Teilen der westlichen Christenheit Fuß fassen konnten und damit eine ganz neue Herausforderung für die kirchliche Orthodoxie darstellten…

Prof. Dr. Thomas Scharff

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