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Der Kommandant, der für die Stadt sein Leben gab

Sonderveröffentlichung

Der Kommandant, der für die Stadt sein Leben gab
In den letzten Kriegstagen ist der Österreicher Josef Ritter von Gadolla (1897–1945) für die Verteidigung der Stadt Gotha zuständig. Entgegen den sinnlosen Durchhaltebefehlen Adolf Hitlers trifft der Stadtkommandant den Entschluss, Gotha kampflos an die Alliierten zu übergeben – eine Gewissensentscheidung, die er mit seinem Leben bezahlt.

In der langen Geschichte Gothas hatten sich zu keinem Zeitpunkt so viele Menschen in der Stadt aufgehalten wie in den letzten Wochen vor Kriegsende 1945. Neben der ansässigen Bevölkerung suchten dort auch Flüchtlinge aus den zerstörten Städten des Rheinlandes, aus Berlin und aus Dresden Zuflucht. Außerdem sehnten zahlreiche Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die unter anderem für die ansässige Rüstungsindustrie arbeiten mussten, den Tag ihrer Befreiung herbei.

Der Mann, der mit der Verteidigung Gothas betraut war, kam nicht aus der Region, sondern aus Graz in der Steiermark. Josef Ritter von Gadolla entstammte einer alten österreichischen Adelsfamilie, die allerdings lange vor seiner Geburt an Bedeutung verloren hatte. Nach einer standesgemäßen Militärausbildung hatte Gadolla im Ersten Weltkrieg gekämpft und war bei der Erstürmung einer Maschinengewehrstellung schwer verletzt worden.

Weltkriegsveteran mit politischer Distanz zum Nationalsozialismus

Die Zeit im Lazarett prägte ihn vor allem durch die sozialdemokratische Lektüre, der er sich dort widmete. Nach dem Krieg nahm er als Leutnant der steirischen Volkswehr das Amt eines Vertrauensmanns an und trat an der Seite der Soldatenräte alten, militaristischen Tendenzen entgegen – sehr zum Ärger seiner ehemaligen Offizierskameraden. Auch seine Hochzeit mit Alma Sampl, der Tochter des Kantinenwirts der Garnison, erregte das Missfallen der Offiziere, die der Feier demonstrativ fernblieben. Dafür erschienen viele Unteroffiziere, denn Gadolla war bei seinen Untergebenen sehr beliebt. Er galt als hilfsbereit, liebenswürdig und menschlich.

Doch schon bald zogen düstere Wolken auf. Der Einfluss der Nationalsozialisten wuchs, und am 14. März 1938 erfolgte der triumphale Einzug der Wehrmacht in Graz, wo Gadollas Bruder Othmar zu einem der ersten Opfer der Nazi-Herrschaft wurde. Er war einer der leitenden Polizeibeamten von Graz, und als SA-Männer in sein Büro kamen, um ihn aus dem Amt zu jagen, widersetzte er sich. Schüsse fielen, und Othmar war tot. Gadolla hatte keinen Grund, den neuen Herren zu dienen. Er beantragte die Pensionierung; diese wurde ihm verwehrt. Stattdessen musste er den Eid leisten und wurde als Wehrmachtsoffizier zuerst nach Bayern und dann nach Gotha versetzt, wo er seit dem 1. Juni 1943 die Position des Wehrmeldeamtsleiters bekleidete. Seine Vorgesetzten schätzten ihn als zuverlässig, bescheinigten ihm aber „eine gewisse Weichheit gegenüber Untergebenen“. Tatsächlich war Gadolla, wie zuvor in seiner Heimat Graz, höchst beliebt bei seinen Leuten. Er wurde nie laut und vermied Strafen. Mit seiner Nachsichtigkeit ging er bisweilen das Risiko ein, sich selbst strafbar zu machen.

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Gadolla vermied den Hitlergruß, sagte stattdessen lieber „Grüß Gott“, und hatte ein eher schlechtes Verhältnis zur Gothaer Parteiführung. Gegenüber Vertrauten äußerte er sich lobend über die gescheiterten Hitler-Attentäter, und bald kam er zu der Einschätzung, dass der Sieg der Alliierten nur noch eine Frage der Zeit war. In ihm wuchs der Entschluss, Gotha und seine Bewohner nicht für das letzte Aufbäumen des Hitler-Regimes zu opfern.

Seit Ende 1943 galten die Luftangriffe auch Gotha. Besonders im November 1944 und im Februar 1945 wurde die Stadt schwer getroffen. Je weiter die Amerikaner vorrückten, desto näher kam der Tag, der Gotha die Auslöschung bringen konnte. Seit dem 1. Februar 1945 fand Gadolla sich in der Position wieder, in der er auf das Schicksal der Stadt Einfluss nehmen konnte: Er wurde zum Kampfkommandanten ernannt. Damit galt für ihn aber auch Adolf Hitlers Befehl, die Stadt Gotha um jeden Preis zu verteidigen. Tatsächlich machte er sich an die Vorbereitungen des bevorstehenden Kampfes. Es scheint allerdings so, als habe er dies schon früh nur dem Schein nach getan. Gotha war voller junger, fanatischer Nationalsozialisten, die eine offene Zuwiderhandlung gegen Hitlers Befehle mit Eifer geahndet hätten. Die nationalsozialistische Propaganda sprach bis zuletzt vom Endsieg und von der unbedingten Notwendigkeit, gegen eventuelle „Verräter“ vorzugehen.

Das änderte nichts daran, dass Gadolla keinen Zweifel an der Unmöglichkeit seiner Aufgabe hatte. Gotha war dem Untergang geweiht – spätestens nachdem alle Löschfahrzeuge samt Mannschaften abgezogen worden waren. Gegen die anrückenden Panzer sollten Wehrmacht, Waffen-SS und schlecht ausgebildeter Volkssturm mit Panzerfäusten antreten. Ein einziges Flakgeschütz stand neben dem Theater der Stadt und stellte allerhöchstens einen symbolischen Schutz gegen den nächsten Luftangriff dar.

Am 3. April 1945 lässt der Kommandant weiße Fahnen hissen

Gadolla setzte die ihm auferlegten Bestimmungen nicht konsequent um, auch priorisierte er die zivile Versorgung – ein klarer Verstoß gegen seine Befehle. Als in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1945 ein Obersturmbannführer der Waffen-SS auftauchte, um Gadolla auszufragen, wies dieser ihn ab, weil in seinem Soldbuch das Lichtbild fehlte. Unter Drohungen zog der SS-Mann wieder ab. Am kommenden Tag wurde Gadolla zum Armeekorps nach Kassel beordert. Mit düsteren Gedanken kehrte er schließlich zurück. Sein Eindruck war: Würde er versuchen, Gotha zu verteidigen, mussten die Bewohner der Stadt mit dem Schlimmsten rechnen. Das wussten auch Gothas führende Nationalsozialisten. Sie begannen bereits damit, sich abzusetzen. Akten wurden vernichtet. Der Oberbürgermeister bestimmte, wer ihn in Abwesenheit vertreten würde. Am 3. April war die US-Armee bereit zum Angriff auf Gotha. Über die Stärke der anrückenden Truppen informierte um ein Uhr mittags Hauptmann Erich Wendler. Zwischen 80 und 100 Panzer könnten jederzeit vorrücken und bekämen laufend Nachschub. Wendler hatte sich schon Anfang 1944 pessimistisch über den Kriegsverlauf geäußert und war deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Der Strafe war er durch viele Versetzungen entgangen. An diesem 3. April war es sein Ziel, Gotha vor einem Kampf zu bewahren. Dazu griff er zu einem Trick: Um den Widerstand der Fanatiker zu überwinden, täuschte er eine Meldung vor, der zufolge Gotha keine militärische Verstärkung zu erwarten habe.

Gadolla konnte nun den Verteidigungsausschuss überzeugen, die Stadt kampflos zu übergeben. Während alle Nazigrößen das Weite suchten, ordnete Gadolla den Rückzug der Wehrmacht an. Auf dem Rathaus und auf Schloss Friedenstein ließ er weiße Fahnen hissen. Dann fuhr er mit dem stellvertretenden Bürgermeister Georg-Heinrich Sandrock den Amerikanern entgegen, wurde jedoch von der SS gestoppt. Als Gadolla den Beschluss des Verteidigungsausschusses vorlegte, durften Sandrock und er unbehelligt abziehen.

NS-Fanatiker besiegeln von Gadollas Schicksal

Sandrock war wenig später tot. Ob er Selbstmord beging oder ob ihn die SS nach Hause verfolgte, ist unklar. Auch Gadolla wusste, dass ihm der Tod bevorstand. Aber er gab nicht auf: Bei einer zweiten Fahrt, gemeinsam mit Stadtbaurat Adolf Müller-Kirchenbauer, wurde er erneut aufgehalten – diesmal von jungen, fanatischen Soldaten. Gadolla und sein Begleiter wurden aus dem Wagen gezerrt, bedroht und dann einer Pseudo-Gerichtsverhandlung unterzogen. Anschließend brachte man sie nach Weimar.

Die Gothaer harrten unterdessen in ihren Luftschutzkellern aus. Die Stadt lag unter Artilleriebeschuss. Als am frühen Morgen allerdings sichtbar wurde, dass weiße Fahnen  gehisst worden waren, schickten die Amerikaner einen Boten, um sich zu vergewissern, dass Gotha tatsächlich kampflos übergeben werden sollte.

Um neun Uhr war es so weit: Gotha ging offiziell in die Hände der Alliierten über und hatte damit den Krieg überstanden. Derjenige, dem dies zu verdanken war, saß in Weimar in einer Einzelzelle. Um 14 Uhr verurteilte ihn ein Standgericht zum Tod. Am 5. April wurde Gadolla erschossen. Seine vom Pfarrvikar Leo Schramm überlieferten letzten Worte lauteten: „Damit Gotha leben kann, muss ich sterben.“


Dr. David Neuhäuser

geb. 1986, arbeitet als Historiker und freier Journalist. Er ist einer der beiden Moderatoren des DAMALS-Podcasts.


INFO

Adressen und Kontakte rund um das Jubiläum

Gotha adelt – Tourist-Information & Shop
Hauptmarkt 40, 99867 Gotha
Tel.: 03621 / 510 450
tourist-info@gotha-adelt.de

Presseanfragen: Stadtverwaltung Gotha
Informationsamt, Hauptmarkt 1, 99867 Gotha
Tel.: 03621 / 222-234
informationsamt@gotha.de

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