Kann die Anwendung kriegerischer Gewalt zugleich gerecht sein? Können gemäß einer christlichen Lehre, die das Töten grundsätzlich untersagt, Kriegsdienst und Waffengebrauch dennoch eine legitimierende moralische Rechtfertigung erfahren? Sind „Gerechtigkeit ausüben“ und „Krieg führen“ nicht letztlich unvereinbare Kategorien menschlichen Handelns?
Nach ersten Ansätzen schon in vorchristlicher Zeit hatten gelehrte Theologen und Juristen spätestens seit den Tagen Kaiser Konstantins I. (gest. 337) und der Anerkennung des frühen Christentums durch den römischen Staat eine Lehre des gerechten Kriegs (bellum iustum) entwickelt, die das seiner Natur nach rechtsferne Phänomen des Kriegs an das Recht binden und das ius ad bellum (das Recht zur Kriegserklärung) ebenso wie das ius in bello (das Recht im Rahmen der Kriegführung) regeln sollte. Wesentliche Impulse für das Nachdenken über Voraussetzungen und Bedingungen eines gerechten Kriegs unter christlichen Vorzeichen gingen dabei von den Schriften des lateinischen Kirchenvaters Augustinus (gest. 430) aus, der, gestützt auf bereits im römischen Staatsdenken (und hier insbesondere in den Werken Ciceros) vorgeprägte Elemente, zentrale moraltheologische Kriterien einer gerechten Kriegführung formulierte: So sprach der Bischof von Hippo allein der legitimen Obrigkeit das Recht zu, moralisch gerechtfertigte Waffengänge gegen innere und äußere Gegner aufzunehmen; zugleich verknüpfte er die schon von Cicero erhobene Forderung nach einer causa iusta (etwa die necessitas einer Verteidigung gegen feindliche Angriffe) mit der Verantwortung des Kriegführenden, Frieden und Gerechtigkeit erneut herbeizuführen und die zuvor verletzte, durch das ungestörte Verhältnis zwischen Mensch und Gott ausgewiesene Ordnung wiederherzustellen.
In den nachfolgenden Jahrhunderten von verschiedenen Autoren – darunter Isidor von Sevilla (gest. 636), Hinkmar von Reims (gest. 882), Ivo von Chartres (gest. 1115/16) und Gratian (gest. um 1150) – weiter ausgeformt, hat diese auf pax et iustitia (Frieden und Gerechtigkeit) ausgerichtete, wenngleich nicht pazifistische Lehre des bellum iustum durch Thomas von Aquin (gest. 1274) eine bis zum Beginn der Neuzeit entscheidende Prägung erfahren. Als maßgebliche Kriterien für die moralische Rechtfertigung eines Waffengangs benennt dieser (1) die auctoritas principis (die rechtskonforme Kriegserklärung durch eine legitime oberste Gewalt, die nicht dem Schiedsspruch einer höheren Instanz unterliegt), (2) die causa iusta (das Vorliegen eines gerechten Grunds für den Krieg: die Abwehr unrechtmäßiger Angriffe oder die Wiedergutmachung erlittenen Unrechts) sowie (3) die intentio recta (die Absicht des Kriegführenden, Frieden, Gerechtigkeit und Ordnung zu schaffen – bei gleichzeitiger Berücksichtigung einer Verhältnismäßigkeit der Mittel zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens).
Konnte gemäß dieser Lehre der Krieg im strengen Sinn nur für eine Seite gerecht sein, so waren doch sowohl der englische Herrscher als auch der französische König im Hundertjährigen Krieg von der Rechtmäßigkeit ihrer Kriegführung im Sinn eines bellum iustum überzeugt. So hatte Eduard III. von England (gest. 1377) als Sohn der französischen Königstochter Isabella (gest. 1357) und Enkel Philipps IV. (gest. 1314) nach dem Tod des letzten Kapetingers Karl IV. 1328 unter Hinweis auf das in jener Zeit geläufige weibliche Erbrecht Ansprüche auf die Krone Frankreichs erhoben – gegen Philipp (VI.) von Valois (gest. 1350) und Philipp von Évreux (gest. 1345), zwei Vettern der drei vorangegangenen französischen Könige Ludwig X., Philipp V. und Karl IV….
Literatur: Frederick H. Russell, The Just War in the Middle Ages. Cambridge 1975. Christopher Allmand (Hrsg.), Society at War. The Experience of England and France during the Hundred Years War. Woodbridge 1998. Deborah A. Fraioli, Joan of Arc. The early debate. Woodbridge 2000. Paola Pugliatti, Shakespeare and the Just War Tradition. Farnham-Burlington 2010.
Dr. Gabriele Annas