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Das Ausgreifen Rußlands

Die Außenpolitik Katharinas II.

Das Ausgreifen Rußlands
Außenpolitisch ließ Katharina II. sich von zwei Hauptgedanken leiten: die Unabhängigkeit Polens zu zerstören und das Osmanische Reich zu schwächen. Voltaire erwartete von seiner Brieffreundin gar, daß sie Konstantinopel erobern und zur neuen Hauptstadt des Russischen Reiches machen würde.

Auf außenpolitischem Gebiet mußte Katharina als erstes mit dem Erbe Peters III. fertig werden, vor allem dem Friedensvertrag und dem Bündnis mit Preußen (Mai bzw. Juni 1762), die den Austritt Rußlands aus dem dritten Schlesischen Krieg besiegelt hatten. Für den preußischen König war der Sturz Peters daher eine „traurige Nachricht“, und er war überzeugt, „noch schlechtere Nachrichten aus Rußland“ erwarten zu müssen. Um so größer war seine Erleichterung, daß die Zarin „den Frieden, den ich mit Rußland geschlossen habe, aufrechterhalten wird“.

Die Neuorientierung der russischen Außenpolitik gelang nur langsam, denn Katharinas Macht galt selbst im Kreis der kaiserlichen Berater noch längere Zeit als unsicher. Auch gab es über den künftigen Kurs unterschiedliche Vorstellungen. Der von Katharina aus der Verbannung zurückgerufene Großkanzler Alexei Bestuschew-Rjumin plädierte nach wie vor für ein Zusammengehen mit Österreich, während Nikita Panin, dessen Position als außenpolitischer Berater immer stärker wurde, für eine Verbindung mit Preußen eintrat und den französischen Einfluß in Nord- und Osteuropa bekämpfen wollte.

In Panins Konzept spielte das Verhältnis zu Polen eine wichtige Rolle. Damit hing auch die Frage des unter polnischer Oberhoheit stehenden Herzogtums Kurland zusammen, in dem ein Sohn Augusts III. von Polen regierte. Katharina ließ dem kurländischen Adel jedoch mitteilen, der 1740 vertriebene Ernst von Biron werde in sein Herzogtum zurückkehren, und forderte Karl auf, dem Thron zu entsagen. Als er sich weigerte, wurde er vertrieben; Biron kehrte zurück. Die Zarin war stolz, daß es ihr gelungen war, „unseren eigenen Herzog“ wieder an die Macht zu bringen; es war der Anfang vom Ende der kurländischen Selbständigkeit.

Die Erledigung der Kurland-Frage war der Auftakt zur Entscheidung der weit wichtigeren polnischen Frage. Der polnischen Adelsrepublik gegenüber war die russische Politik traditionell interventionistisch eingestellt. Als König August III. 1763 starb, wollte die Zarin einen Marionettenkönig einsetzen lassen und mit Hilfe einer russischen Partei Polen beherrschen. Wie Panin formulierte: „Wir verlieren ein Drittel unserer Kräfte und Vorteile, wenn Polen nicht von uns abhängig ist.“ Katharina plädierte für ihren ehemaligen Favoriten Stanislaw August Poniatowski als neuen König, denn dieser besaß in Polen eine schwache Stellung und bot so, wie sie mehrfach betonte, die Gewähr, ihr „eigener“ König zu werden.

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In dieser Entscheidung war sie mit Friedrich II. einig: „Von allen Prätendenten auf den polnischen Thron verpflichten … die Gesetze einer gesunden Politik nur, die Prinzen aus dem Haus Österreich auszuschließen. Insoweit mir die Interessen Rußlands bekannt sind, scheint mir, daß dieselben mit den meinigen zusammenfallen.“ An den europäischen Höfen provo‧zierte das preußisch-russische Einvernehmen den Verdacht, eine Teilung Polens stehe bevor – was die Zarin prompt dementierte: Die „ungereimten Gerüchte“ seien nichts als „ausgestreute Lügen“.

Der Preußenkönig hatte schon lange erkannt, welche Bedeutung ein gutes Einvernehmen mit Katharina für ihn haben könnte. So wurde er zu einem ihrer eifrigsten Verehrer und überschüttete sie geradezu mit Schmeicheleien. Im Unterschied zu Katharinas Briefwechsel mit Kaiser Joseph II., der weit intimer, voller Witzeleien und Scherze, inhaltsreicher und individueller war, herrschte in der Korrespondenz mit Friedrich aber ein eher verhaltener Ton vor, auch wenn es nicht an geistvollem Geplauder, glänzenden Aperçus und gezierten Wortwendungen fehlte. Im April 1764 unterzeichneten Rußland und Preußen ein Defensivbündnis, in dem sie sich verpflichteten, nicht zu dulden, daß die polnische Krone erblich würde. Die Wahl Poniatowskis als König stieß jedoch auf osmanischen Protest; der Sultan hielt ihm seine Jugend und politische Unerfahrenheit vor. Zudem war er in Sorge, daß Katharina Poniatowski heiraten und es danach zur Vereinigung zwischen Rußland und der Adelsrepublik kommen könnte.

Katharina forderte Poniatowski daher auf, sich noch vor der Eröffnung der Königswahlen zu verloben oder zu verheiraten. Der Pole wies dies zurück, war aber zu der Erklärung bereit, keine Heirat ohne Einwilligung der Landstände und des polnischen Senats einzugehen, nur eine Katholikin zu wählen und eine Prinzessin polnischer Abstammung zu bevorzugen. Eine freie Königswahl, wie vom Sultan auf Anregung Frankreichs gefordert, scheiterte jedoch: Im Mai 1764 rückten russische Truppen auf Warschau vor, und preußische Einheiten veranstalteten an der Grenze militärische Demonstrationen. Am 7. September wurde Stanislaw II. August Poniatowski zum König gewählt (1764 –1795). In Katharinas Gratulationsschreiben an Panin hieß es: „Ich beglückwünsche Sie zu dem König, den wir gemacht haben.“

Die Ziele von Katharinas Polenpolitik waren klar umrissen: keine Stärkung der polnischen Armee und Beibehaltung der alten Verfassung, welche die Macht des Königs einschränkte. Bald wurde aber deutlich, daß sich der neue König mit der ihm zugedachten Rolle nicht zufriedengeben wollte. Zwar stellte er unter preußisch-russischem Druck die Militär- und Finanzreformen zurück, 1767 hielten es die beiden Nachbarstaaten aber dennoch für geboten, sich in einer Geheimkonferenz über eine Intervention in Polen zu verständigen. Als der Sejm (Reichstag) russische Forderungen ablehnte und Stanislaw II. August Kontakt zu Österreich aufnahm, ließ Katharina Kanonen gegen den Sitzungssaal der Deputierten auffahren. Auf französische und osmanische Hilfe hoffend, rief eine in der polnischen Stadt Bar entstandene Adelskonföderation die Polen daraufhin zur Verteidigung von „Glauben und Freiheit“ auf. Diese Ereignisse erregten in ganz Europa Aufsehen. Ein Brief Voltaires an die Zarin zeigt seine Unsicherheit: „Ich bin nicht geeignet, in Ihre Staatsgeheimnisse einzudringen, aber ich wäre doch betroffen, wenn Eure Majestät mit dem König von Polen nicht einverstanden wäre. Er ist ein Philosoph, ist von Grund auf tolerant, und ich stelle mir vor, daß sie beide sich wie zwei Komplizen zum Wohl der Menschheit gut verstehen und sich über intolerante Priester lustig machen. Es wird eine Zeit geben, … da alles Licht vom Norden kommt. Eure Majestät mögen widersprechen, ich mache Sie zum Stern, und Sie werden ein Stern bleiben.“

Weit realitätsnäher thematisiert ein Brief Friedrichs II. die Frage, wie man gegen etwaige Unruhen vorgehen und die „unruhigen Köpfe“ in Polen, diesen „Wespenschwarm“, zur Ruhe bringen könne. Über die russischen Aktionen äußerte sich der König freilich recht kritisch; er gab zu bedenken, ob es lohne, wegen der Intervention in Polen einen großen europäischen Krieg zu riskieren. Ende Februar 1768 hatten die in der Konföderation von Bar vereinigten Adelsgruppen den Kampf gegen die ins Land eingedrungenen russischen Truppen eröffnet, freilich ohne Erfolg. Mit französischer Unterstützung erreichten sie zwar, daß der Sul‧tan Rußland den Krieg erklärte, doch die Siege ihrer Armee ermöglichten es Katharina, im Verein mit Preußen weitere Gebiete von Polen abzutrennen. Der gleichzeitig gegen Polen und das Osmanische Reich geführte Krieg brachte Staat und Gesellschaft in Rußland allerdings an die Grenzen ihrer Leistungskraft.

Voltaire verfolgte die Ereignisse mit großer Spannung. Er träumte davon, daß der Zarin gelinge, „was schon Peter der Große seinerzeit beabsichtigte, nämlich Konstantinopel zur Hauptstadt des Russischen Reiches zu machen“, und war überzeugt: „Mustapha kann sich gegen Katharina nicht halten.“ Der Philosoph erhoffte die Vertreibung der Türken aus Europa, die Inthronisation der Zarin in Konstantinopel und die Befreiung Griechenlands vom Joch des Sultans. Die russischen Ziele waren vor allem die freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meer, damit die südrussischen Getreideproduzenten Zugang zum Mittelmeerhandel erhielten.

In Petersburg war man zu Kriegsbeginn recht optimistisch, doch war die russische Situation nicht rosig. Zwar hatte sich Schweden geweigert, den Sultan militärisch zu unterstützen, doch brachen die Krimtataren in die neugegründete russische Kolonie Neu-Serbien ein, und in Podolien mußte ein osmanisch-tatarisches Heer abgewehrt werden; dabei gelang es den Russen, Asow und Taganrog an der Mündung des Don zu erobern. Wie sich herausstellte, waren beide Seiten auf die Konfrontation denkbar schlecht vorbereitet. Friedrich spottete daher: „Die Generale Katharinas beherrschen von Lagerkunst und Taktik nicht einmal die Anfangsgründe, die des Sultans waren noch unwissender. Um sich also einen rechten Begriff von diesem Krieg zu machen, muß man sich Einäugige vorstellen, die Blinde gehörig schlagen, um ein völliges Übergewicht zu erlangen.“ …

Literatur: Erich Donnert, Rußland (860-1917). Regensburg/München 1998. Claus Scharf (Hrsg.), Katharina II., Rußland und Europa. Mainz 2001.

Prof. Dr. Erich Donnert

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