Im Gegensatz zu seiner heutigen Bedeutung als eine der wichtigsten archäologischen Stätten überhaupt fristete Pompeji in der Antike ein relativ unbeachtetes Dasein im Windschatten der großen Politik. Das Interesse der auf die Metropole Rom fixierten Historiker und Chronisten an einer kleinen Landstadt in Kampanien hielt sich in engen Grenzen. Nachrichten aus der Provinz und daher auch aus Pompeji fanden normalerweise keine große Resonanz. Um die allgemeine Aufmerksamkeit zu wecken, mußte sich schon Spektakuläres ereignen.
Ein solcher Fall trat im Jahr 59 ein, als es im Zusammenhang mit Gladiatorenspielen im Amphitheater von Pompeji zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Wie der römische Historiker Tacitus berichtet, gerieten die Bewohner von Pompeji aus bis heute nicht genau geklärtem Anlaß mit Besuchern aus der Nachbarstadt Nuceria in einen heftigen Streit. Die Auseinandersetzung, die harmlos begonnen hatte, endete in einem „entsetzlichen Blutbad“ mit zahlreichen Toten. Einen ungewöhnlichen Eindruck von Ausmaß und Ablauf dieses Massakers vermittelt das Gemälde eines anonymen zeitgenössischen Künstlers, der das damalige Geschehen aus einer Vogelperspektive zu erfassen versucht hat. Der Vorgang war so gravierend, daß sich Kaiser Nero persönlich veranlaßt sah, den Senat in Rom mit einer Untersuchung zu beauftragen. Offenbar hatte Pompeji bei der Aufklärungsarbeit keine guten Argumente, denn es wurde, neben weiteren Sanktionen, beschlossen, daß für die Dauer von zehn Jahren keine Veranstaltungen mehr im Amphitheater stattfinden sollten.
Der Eklat von 59 war eines der wenigen Ereignisse von überregionaler Bedeutung in Pompeji. Nicht einmal das drei Jahre später die Gegend erschütternde Erdbeben erregte außerhalb Kampaniens größeres Aufsehen. Weitere 17 Jahre danach besiegelte der Vesuv mit einem verheerenden Ausbruch die Existenz der Stadt. Unter einer dicken Schicht von Asche und Steinen wurde sie exakt in jenem Zustand konserviert, in dem sie sich an diesem verhängnisvollen 24. August des Jahres 79 präsentiert hatte. Als die Stadt in der Neuzeit wieder ausgegraben wurde, ergab sich aus dem Unglück die einzigartige Gele?gen?heit, ein nahezu vollständiges Bild vom Alltagsleben und von der Kultur einer antiken Landstadt in der frühen römischen Kaiserzeit zu gewinnen. Diesen etwas makabren Zusammenhang zwischen menschlicher Katastrophe und archäologischem Glücksfall hat bereits einer der ersten Pompeji-Touristen erkannt. 1787 notierte Goethe auf seiner italienischen Reise: „Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte.“ Zum Zeitpunkt seines Untergangs hatte Pompeji aber bereits eine lange und wechselvolle Geschichte hinter sich. Was den heutigen Besuchern präsentiert wird, sind die architektonischen Zeugen des letzten Stadiums einer Gesellschaft, die sich damals mitten in einem dynamischen Umbruch befand, dem der Vesuv ein abruptes Ende bereitete. Pompeji war nicht etwa ein, wie es heute angesichts der Ruinen den Anschein haben mag, beschaulich vor sich hindämmerndes historisches Biotop. Das antike Pompeji war vielmehr eine Stadt, deren urbane Gestalt und deren Lebensformen immer auch ein Spiegelbild der sich in gewissen Abständen wandelnden politischen Großwetterlage in Italien darstellten. Dies deutlich gemacht zu haben, ist ein Verdienst neuerer archäologischer und historischer Forschungen, in denen Stadtbild und Wohnkultur als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse interpretiert werden. Aufgrund des einzigartigen Erhaltungszustandes kann Pompeji in dieser Hinsicht trotz des Mangels an antiken Schriftquellen als Modellfall gelten.
Die erste Formierung einer stadtähnlichen Siedlung vollzog sich etwa 700 Jahre vor dem plötzlichen Untergang. Die fruchtbare Landschaft und die für den Handel günstige Lage an dem Fluß Sarno bedeuteten einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Standortvorteil. Bei den frühesten Bewohnern scheint es sich um Angehörige des italischen Volkes der Osker gehandelt zu haben. Von Anfang an profitierte der Ort von der Nähe zu den kulturell führenden griechischen Städten in Süditalien. Für einen weiteren Schub in der zivilisatorischen Entwicklung sorgten in der frühen Phase der Stadtgeschichte von Pompeji die Etrusker. Angehörige dieser ersten Hochkultur auf dem Boden Italiens waren es, die im 5. Jahrhundert v. Chr. die wirtschaftliche und vielleicht auch die politische Kontrolle über die Städte am Vesuv ausübten…
Pompeji und Herculaneum in Ausstellungen
24. August 79 n. Chr. Pompeji. Die Stunden des Untergangs Reiss-Engelhorn-Museen Internet: http://www.reiss-engelhorn-museen.de 27. November 2004 – 17. April 2005
Wandmalereien von höchster Qualität, erlesene plastische Werke, kunstvoll gearbeitetes silbernes Tafelgeschirr, feiner Goldschmuck – aus der Darstellung der verfeinerten römischen Lebenskultur der frühen Kaiserzeit bezieht die Ausstellung in Mannheim ihre besondere Anziehungskraft. Demgegenüber steht das apokalyptische Ende Pompejis, das in der Ausstellung unter anderem durch Grabungsbefunde aufgezeigt wird: Skelette von Menschen, in deren Haltung sich noch die Qualen des Erstickungstodes spiegeln. Noch bewegender sind die plastischen Gipsausformungen einiger in der Lava erhaltener Hohlräume. Sie geben die Körper von Männern, Frauen, Kindern und auch Tieren wieder. Ihre verzweifelten Versuche, sich vor den Dämpfen und der herunterregnenden Asche zu schützen, sind noch in ihren Gliedmaßen abzulesen.
In den Reiss-Engelhorn-Museen wird die zusammen mit der Soprintendenza archeologica di Pompei und der Regione Campanie präsentierte Ausstellung noch um zwei Themenbereiche erweitert: um die neuesten Ergebnisse vulkanologischer und geochemischer Forschungen zum Hergang der Vesuv-Eruption sowie um die Flora am Fuß des Vulkans zur Zeit des Ausbruchs von 79, über die mittlerweile genaue Kenntnisse vorliegen.
Zu der Ausstellung erscheint ein reichbebilderter Katalog. Die Buchhandelsausgabe ist bis 31. Dezember 2005 zum Einführungs-preis von E 29,90, danach für E 34,90 erhältlich (K. Theiss Verlag, Stuttgart).
Die letzten Stunden von Herculaneum
(Westfälisches Römermuseum Haltern, Mai – August 2005; Pergamonmuseum Berlin, September – Dezember 2005; Focke-Museum Bremen, Januar – April 2006)
Die Ausstellung ist die erste, die außerhalb Italiens über Herculaneum gezeigt wird. Zum erstenmal sind neue Skelettfunde sowie andere Exponate aus den Museumsbeständen in Herculaneum und dem Archäologischen Nationalmuseum Neapel zu sehen, vereint mit Objekten, die bereits im 18. und 19. Jahrhundert nach Berlin und Dresden gelangt sind. Hautnah soll der Besucher „die letzten Stunden von Herculaneum“ miterleben können: den Prunk in der berühmten „Papyrusvilla“ ebenso wie die Angst der Menschen beim Ausbruch des Vulkans.
Das Katalogbuch zur Ausstellung erscheint im Verlag Philipp von Zabern, Mainz.
Prof. Dr. Holger Sonnabend