Gleich einem Stern in der Finsternis der Nacht erstrahlt Benedikt von Nursia, eine Zierde des Ruhms … für die gesamte Christenheit. Wer sein hehres Leben betrachtet und den Zeugnissen der dunklen und stürmischen Zeit, in welcher er lebte, im Licht der historischen Realität nachgeht, der wird ohne Zweifel die Wahrheit des göttlichen Versprechens erkennen …“ Mit diesen Worten rühmte Papst Pius XII. in seiner Enzyklika „Fulgens radiatur“ 1947 Benedikt von Nursia. Papst Paul VI. erhöhte den „Vater des abendländischen Mönchtums“ 1964 in den Rang eines „Patrons Europas“.
Die alleinigen Anhaltspunkte für das Leben Benedikts stellte Papst Gregor der Große (590– 604) mit seinem zweiten Buch der Dialoge über die Wunder der italischen Väter in den Fokus der Geschichte. Demnach dürfte Benedikt um 480 im heutigen Norcia, unweit von Spoleto, als Sohn freier, unbegüterter Eltern geboren worden sein. Das Studium im vom kulturellen, wirtschaftlichen und sittlichen Verfall befindlichen Rom habe er abgebrochen und sich einer Asketengemeinschaft in Afide (heute Affile) angeschlossen. Doch bereits wenig später weiß Gregor vom dreijährigen Aufenthalt Benedikts in einer Felsenhöhle im Tal des Anio, nahe Subiaco, zu berichten. Der Mönch Romanus habe dem in Einsamkeit Ausharrenden auf das Zeichen einer Glocke zuweilen etwas Brot an einem Seil hinuntergelassen.
Nach seiner Entdeckung durch Schafhirten hätte sich die Kunde von Benedikts tiefer Religiosität rasch verbreitet. Dem baldigen Ruf der Eremitenbrüder aus Vicovaro, er solle ihr Abt werden, sei er gefolgt. Ein Dutzend Klostergemeinden seien sodann unter seiner Ägide gegründet worden. Aufgrund eines Mordan-schlags, den Gregor der unnachgiebigen Sittenstrenge Benedikts zuschrieb, habe er die dortigen Brüder jedoch verlassen, um nach einem kurzen, erneuten Aufenthalt in jener Felsenhöhle mit einigen Getreuen hinauf auf einen Berg über Casinum zu ziehen. Die ehedem heidnische Kultstätte sei nun Teil eines Klosters geworden, das der Persönlichkeit Benedikts und der Unsicherheit in den von Barbaren geplünderten Tälern wegen regen Zulauf erfahren hätte. Der Tradition nach verfasste Benedikt dort um 530/540 seine Regel. Verstorben ist Benedikt wohl um 560 – im Stehen mit zum Himmel erhobenen Händen, wie Gregor versichert.
Entlang einer Kette biblischer Bezüge verknüpfte Gregor die Stationen Benedikts von der Tiefe der Höhle über die Ebene in Subiaco hin-auf in die Höhen des Monte Cassino mit der schrittweisen Vervollkommnung der Seele von der Selbstfindung in der Tiefe hin zur gottnahen Perfektion. Diesen Weg prägen wundersame Überwindungen von ständigen Störungen durch den Teufel: Ein nacktes Bad im Nesselgestrüpp etwa hätte die von einer Amsel gebrachte Begierde nach einer Frau verstummen lassen. Drei an Wassermangel leidenden Klöstern sei auf Benedikts Rat hin Wasser aus dem Felsen entsprungen. Bei den Bauarbeiten auf dem Monte Cassino habe sich der Teufel gar auf einen Stein gesetzt, der nur mit Gebeten wieder hätte bewegt werden können; die Küche wäre abgebrannt, die Klostermauer eingestürzt. Diese Fülle heiligengeschichtlicher Gemeinplätze und biblischer Parallelen nährte immer wieder Zweifel an der wirklichen Fassbarkeit, ja an der Existenz Benedikts als historische Person. „Mythos“, „fromme Legende“, „Phantom“ oder „Projektion“ lauteten die dahingehenden Schlagworte…
Literatur: Gregor der Große, Der heilige Benedikt. Buch II der Dialoge: Lateinisch/Deutsch. Hrsg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz. St. Ottilien 2008.
Kai Uwe Jacobs, Die Regula Benedicti als Rechtsbuch. Eine rechtshistorische und rechtstheologische Untersuchung (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 16). Köln/Wien 1987.
Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit (Vita regularis. Abhandlungen 35). Berlin 2008.
Dr. Jörg Sonntag