Nolde (1867–1956) reiste als inoffizielles Mitglied der „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ des Reichskolo-nialamts. Schon im Winter 1911/12 hatte er im Berliner Völkerkunde-Museum nach den „Resten einer Urvölkerkunst“, nach Tanzmasken, Katchina-Puppen der Hopi-Indianer, afrikanischen Figuren der Yoruba oder Bongo, Skulpturen aus Korea oder dem Sepik-Gebiet Neuguineas, nach Schrumpfköpfen oder einem Ziersteven Skizzen und Studien gezeichnet. Fast zur selben Zeit trug er sich mit dem Gedanken, ein Buch über die „Kunstäußerungen der Naturvölker“ herauszugeben, doch ist er nicht über den Entwurf hinausgelangt. Einleitend suchte er der Frage seiner Faszination nachzugehen. „Mit dem Material in der Hand, zwischen den Fingern entstehen die Werke der Naturvölker. Das sich äußernde Wollen ist Lust und Liebe zum Bilden“, schreibt er. „Die absolute Ursprünglichkeit, der intensive, oft groteske Ausdruck von Kraft und Leben in allereinfachster Form, – das möge es sein, was die Freude an diesen eingeborenen Arbeiten gibt.“ Der Handwerker im Künstler mit seiner engen Nähe zum Werkstoff, das Streben nach Materialgerechtigkeit, das unmittelbare Einswerden von Mensch und Material im Schaffensvorgang selbst, ohne dass sich äußerliche Einflüsse oder zweckgerichtetes Denken störend einschalten, sind Merkmale expressionistischer Kunstauffassung und Noldes künstlerischer Grundsatz.
Anders als Paul Gauguin oder Max Pechstein ging es Emil Nolde bei der Teilnahme an der Expedition nicht darum, aus einer romantischen Vorstellung heraus an dem angeblich „einfachen“, „paradiesischen“ Leben der Naturvölker teilzuhaben, „fern von Europa, auf der Flucht davor, in einem weit entlegenen und primitiven Jenseits der Beschwerden“, so Ernst Bloch. Nolde bewegte nie die Absicht, aus „Barbaropa“ in ein fernes Arkadien zu entfliehen. Das Unternehmen, in das er eingebunden war, hatte klar begrenzte Aufgaben, und die Rückkehr war fest geplant. Noldes Antrieb war die ihn zeitlebens bedrängende Faszination des Primären. Auf seiner Reise nach Neuguinea glaubte er, ursprünglichen Zuständen menschlichen Seins unverfälscht begegnen zu können. „Die Urmenschen leben in ihrer Natur“, schrieb er im März 1914 an seinen Freund Hans Fehr, „sind eins mit ihr und Teil vom ganzen All. Ich habe zuweilen das Gefühl, als ob nur sie noch wirkliche Menschen sind, wir aber etwas wie verbildete Gliederpuppen, künstlich und voll Dünkel“.
Im Sommer 1913 betraute das Reichskolonialamt den jungen Göttinger Augenarzt Alfred Leber mit der Neuguinea-Expedition. Leber, Begründer der deutschen Tropenophthalmologie, der Tropen-Augenheilkunde, hatte schon 1910/11 eine Samoa-Expedition durchgeführt, die der Bekämpfung von Augenkrankheiten galt. Neben dem Ehepaar Nolde nahmen der erfahrene Tropenmediziner und langjährige Regierungsarzt in Togo und Kamerun Ludwig Külz und die junge Krankenschwester Gertrud Arnthal teil, die in Neuguinea schwer erkrankte und 1914 im Hospital von Rabaul verstarb.
Es war durchaus üblich, dass Maler solche Expeditionen als „ethnographische Zeichner“ und zur Dokumentation begleiteten. Noldes „freie und besondere Aufgabe“ war das „Demographische“, wie er schreibt, „die Erforschung der rassischen Eigentümlichkeiten der Bevölkerung“. Alfred Leber war an Noldes Beteiligung sehr gelegen; er beriet den Maler bei der Ausrüstung, kümmerte sich um die medizinische Vorsorge, erstellte Kostenpläne und bemühte sich, Möglichkeiten der Finanzierung, Zuschüsse oder Vergünstigungen zu erschließen, darüber hinaus die Beteiligung seiner Frau zu erwirken…
Literatur: Emil Nolde, Mein Leben. Köln 2008. Ingried Brugger/Johann Georg Prinz von Hohenzollern/Manfred Reuther (Hrsg.), Emil Nolde und die Südsee. München 2001.
Manfred Reuther (Hrsg.), Emil Nolde. Die Südseereise. Köln 2008.
Dr. Manfred Reuther