Als Mohammed 622 von Mekka nach Medina (damals: Yathrib) emigrierte, vertauschte er sein Dasein als Prediger in einer profitorientierten Gesellschaft mit der Rolle des Staatsmanns (siehe dazu Seite ..). Die zerstrittenen Stämme in Yathrib bestellten ihn als Schiedsmann und unterwarfen sich seiner politischen und religiösen Leitung. Mohammeds Lehre stellte die Verpflichtung des Gläubigen gegenüber dem göttlichen Gesetz über die Stammesloyalität. Richtschnur war die koranische Offenbarung. Damit war die Voraussetzung zur Schaffung einer Gemeinde (umma) geschaffen, welche die Fehden und die politische Zersplitterung der arabischen Stämme überwand. Es ist daher folgerichtig, daß die muslimische Geschichtsschreibung den Beginn ihrer Zeitrechnung mit der hidschra, der Emigration des Propheten nach Medina, ansetzt.
In Yathrib erweiterte Mohammed seinen Herrschaftsbereich durch Verträge mit benachbarten Stämmen und durch Feldzüge, die auch byzantinisches Gebiet berührten. Gleichzeitig setzte er die Auseinandersetzung mit Mekka fort. Dabei bewährten sich die Muslime, so daß Mohammed 630 kampflos in seiner Heimatstadt einziehen konnte. Beim seinem Tod 632 war fast die gesamte arabische Halbinsel unter der Führung der islamischen Gemeinde von Medina vereint.
Ein Kennzeichen dieser Keimzelle des islamisch-arabischen Reiches war ihre Einteilung nach Stämmen, wobei es sich aber keineswegs nur um Nomaden handelte: Auch die seßhafte städtische Bevölkerung von Mekka und anderen Orten war Teil eines großen genealogischen Systems.
Von den unmittelbaren Nachfolgern Mohammeds, den vier “rechtgeleiteten” Kalifen, konnten die ersten drei die Expansionspolitik fortsetzen. Sie richtete sich zunächst gegen Syrien und den Irak, die reichen, Arabien benachbarten Provinzen Ostroms und des Sassanidenreichs. Unter dem zweiten Kalifen Omar waren muslimische Heere 636 im Ostjordanland gegen die Byzantiner erfolgreich und im selben Jahr nahe dem heutigen Bagdad gegen die Sassaniden. In rascher Folge besetzten sie nun ganz Syrien und den Irak, Ägypten (642) und die nordafrikanische Küste bis Tripolis (647). 652 griff die neu geschaffene Flotte Hafenstädte auf Sizilien an. Die arabischen Heere stießen ins Hochland von Iran vor, wo sie das sassanidische Heer 641 bei Nihavand schlugen, und erreichten bis 653 den Kaukasus im Norden und Merv (im heutigen Turkmenistan) im Osten. Am Nil und am Euphrat wurden die Lagerstädte al-Fustat (der Kern des späteren Kairo), Basra und Kufa gegründet. Sie dienten der Stationierung arabischer Heere und als Verwaltunghauptstädte der eroberten Gebiete.
Innerhalb weniger Jahre hatten Araber, die zuvor nur am Rand der antiken Kulturwelt erschienen waren, die beiden Großmächte der Spätantike geschlagen. Das byzantinische Reich hatte die Hälfte seiner Provinzen verloren, das Sassanidenreich war restlos zerstört. Für die überwältigenden Erfolge der muslimischen Heere sind mehrere Gründe angeführt worden: In den zunächst eroberten Provinzen Irak und Syrien war die Bevölkerung überwiegend semitisch, zum Teil auch arabisch, und erblickte in den Eroberern keine völlig Fremden. Im byzantinischen Syrien und Ägypten hatte sich die Zentralverwaltung durch die harte Besteuerung unbeliebt gemacht, und auch religionspolitisch standen beide Provinzen mit ihren monophysitischen Regionalkirchen (denen zufolge es in Jesus Christus nicht eine menschliche und eine göttliche Natur gegeben habe, sondern nur die eine Natur des Fleisch gewordenen Wortes Gottes) im Gegensatz zum Kaiser in Konstantinopel. Vor allem aber hatten sich die beiden Großmächte gegenseitig in einem verbissenen Krieg (603–628) militärisch und wirtschaftlich enorm geschwächt. Nicht zuletzt gab das religiöse Sendungsbewußtsein der Muslime den Eroberungen besondere Stoßkraft. In der Überzeugung “auf dem Wege Gottes” zu wandeln, kämpften die erst vor kurzem für den Islam gewonnenen arabischen Stammeskrieger um so eifriger.
Die Eroberungswelle kam zum Stillstand, als sich unter dem vierten Kalifen Ali (656–61) eine Gegenpartei etablierte, die sich auf das alte mekkanische Establishment stützte und deren Ableger bald Syrien und den Hedschas kontrollierten. Der “erste Bürgerkrieg” der islamischen Geschichte, der die Schi’at ‘Ali (Partei Alis, die Schiiten) von den übrigen Muslimen abspaltete, hielt die Expansion des jungen Reiches aber nur kurz auf. Alis mächtigster Gegner Muawija konnte seine Herrschaft in Damaskus festigen und schon bald folgten Feldzüge gegen Byzanz in Anatolien und Nordafrika. Zwar scheiterten die arabischen Heere an den Mauern von Konstantinopel, doch an anderen Fronten schritt die Eroberung fort. Im heutigen Tunesien gründeten die Muslime 670 die Lagerstadt Kairouan, die als Basis für weitere Unternehmungen diente. 698 fiel mit Karthago der letzte byzantinische Stützpunkt an der afrikanischen Küste…
Dr. Lorenz Korn