Den genuesischen Patriziern riet Niccolò Machiavelli, sie sollten ihre chronisch instabile Republik der Staatsbank S. Giorgio unterstellen; zu dieser hätten sie Vertrauen, zum Staat hingegen nicht. Eine solche Umwidmung hätte sich in Venedig erübrigt. Die Serenissima war, ihrer sakralen Grundlegung und pompösen Staatsmythologie ungeachtet, in vieler Hinsicht wie ein einziger großer Geschäftsbetrieb organisiert. Zum einen war der Staat zumindest in Friedenszeiten darauf ausgerichtet, beträchtliche Überschüsse zu erwirtschaften. Diese wurden dann in noch profi-tablere Schiffe oder aber in öffentliche Bauten reinvestiert, die Venedig Prestige, eine indirekte, doch nicht weniger wertvolle Rendite einbrachten. Zum anderen bestand der ohne falsche Scham deklarierte Zweck der Markusrepublik darin, ihren Bürgern zu lukrativen Handelsunternehmungen zu verhelfen. Dass persönliches Gewinnstreben – vorausgesetzt, es wurde nach den Normen des Gesetzes und der allgemein akzeptierten Moral betrieben – nicht nur dem Einzelnen, sondern dem Gemeinwesen und damit dem bonum comune, der öffentlichen Wohlfahrt, nutzte, war geradezu ein venezianisches Staatscredo.
Dieses Glaubensbekenntnis, dass Geld die Welt bewegt und dass ohne aus Kommerz fließendes Kapital keine kirchliche Armenfürsorge und damit kein Werk der Barmherzigkeit verrichtet werden konnte, haben venezianische Kaufleute und Politiker daher der Kirche und speziell dem Papsttum, das sich in ihre Geschäfte mit den „Ungläubigen“ einzumischen versuchte, selbstbewusst genug entgegengehalten. Diese Staatsideologie, dass von nichts nichts kommt, dass am Anfang aller Nächstenliebe und Kultur das Geld und damit der Warenaustausch steht, spiegelt nicht nur die ökonomische Basis, sondern auch die geopolitische Lage der Stadt wider. Auf den zersplitterten Inseln der Lagune gelegen, konnte sich das aufstrebende Gemeinwesen seit seiner frühesten Zeit nur durch den Handel mit den elementaren Gütern des Lebens überhaupt verpflegen; das bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts karge Hinterland reichte für diese Verproviantierung nie und nimmer aus. Mit anderen Worten: Venedig war zum Kommerz verdammt. Und es hat aus diesem Schicksal wahrlich das Beste gemacht.
Aus der Überzeugung, dass der Geschäftsgeist des Einzelnen dem Gemeinwesen zugute kommt, lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen. Der aufgeklärte Wirtschaftstheoretiker Adam Smith leitete daraus das Walten einer unsichtbaren Hand ab, die bei Befolgung der rechtlichen und ethischen Regeln alle Märkte ausgeglichen beschicken und allen Wohlstand verschaffen würde. Doch an einer solchen globalen Weltbeglückung waren die Venezianer nicht im Geringsten interessiert. Ihnen reichte es völlig aus, wenn die eigenen herrschenden Schichten florierten und die kleinen Leute in Form stabiler Brotpreise ihr zufriedenes Auskommen hatten. Diesem „heiligen Egoismus“ folgend, zogen sie den umgekehrten Schluss: Die Republik sollte sich so intensiv wie möglich in die Geschäfte einmischen, um sich zum einen dar-aus selbst zu finanzieren, doch vor allem, um durch die Begünstigung der Elite die Gesellschaft und damit die Machtausübung stabil zu halten.
Mit anderen Worten: Als Handelsunternehmen und Rechtsgarant war die Republik so ungleich und parteiisch wie nur möglich. Und zwar in zweifacher Hinsicht, nach innen wie nach außen. An den Privilegien des Großhandels, welche die Republik zu vergeben hatte, waren nur die nobili und die cittadini originari, also die beiden bevorrechtigten Klassen des Adels und der knapp unter diesem rangierenden „alteingesessenen Bürger“, beteiligt. Zum anderen wurde rigoros zwischen Venezianern und Fremden unterschieden. Ausländer waren als zahlende Passagiere auf venezianischen Schiffen jederzeit willkommen, sei es als fromme Pilger oder auch als Kreuzfahrer. Zu Handelszwecken aber durften sie diese Passagen nicht nutzen. Die von ihnen an die Lagune transportierten Waren mussten dort sofort abgeliefert und registriert werden; sie unterlagen mit ihrer Ankunft im Hafen der uneingeschränkten Rechtshoheit der Republik. Die von ihnen getätigten Transaktionen wurden nicht nur wie die der Venezianer von offiziell bestallten Maklern abgewickelt, sondern zusätzlich der Aufsicht einer eigenen Behörde unterstellt. Nicht, dass die Serenissima diese harsche Praxis erfunden hätte, sie war mehr oder weniger überall zwischen Lübeck und Sevilla die Regel. Doch wachte die Markusrepublik über ihr Monopol mit besonderer Aufmerksamkeit und Eifersucht, nicht zuletzt der daraus fließenden hohen Einnahmen wegen…
Literatur: Eva-Sibylle Rösch/Gerhard Rösch, Venedig im Spätmittelalter 1250-1500, Freiburg im Breisgau/Würzburg 1991.
Prof. Dr. Volker Reinhardt