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Work-Life-Balance im 19. Jahrhundert

Geschichte|Archäologie

Work-Life-Balance im 19. Jahrhundert
Eine bürgerliche Familie um 1885. (Bild: LiliGraphie7iStock)

Wie gingen die Familienoberhäupter des 19. Jahrhunderts mit den anspruchsvollen Idealen von Arbeits- und Privatleben um? Mit diesem Thema hat sich eine Historikerin vom Institut für Geschichte und Biographie der FernUniversität in Hagen befasst. Sie berichtet über die Herausforderungen und Spannungen in den bürgerlichen Familien dieses prägenden Jahrhunderts.

„Work-Life-Balance“ heißt das Schlagwort – wie Menschen heutzutage ihr Arbeits- und Privatleben in Einklang bringen, ist ein wichtiges Forschungsthema verschiedener Disziplinen. Eva Ochs hat im Rahmen ihres Habilitationsprojekts hingegen den Blick in die Vergangenheit gerichtet: Um das berufliche Selbstverständnis und die Lebenspraxis von Bürgern des 19. Jahrhunderts zu beleuchten, hat sie Lebenserinnerungen, Briefe und Tagebücher ausgewertet. Ihr Fokus lag dabei auf dem Leben der Männer: Die Historikerin begleitete einige Bürger durch ihre Karriere und hinterfragte, welchen Stellwert die Familie dabei hatte.

Wie sie erklärt, hatte bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein Wandel der Verhältnisse innerhalb von Familien des aufstrebenden Bürgertums eingesetzt, wobei sich auch das Idealbild des Familienvaters verändert hatte: „Die patriarchalische Grundordnung mit dem ‚Hausvater‘, der der Familie vorsteht und über alle im Haus bestimmt, blieb zwar bestehen“, sagt Ochs. „Es war aber zu einer Emotionalisierung gekommen“. Der bürgerliche Ehemann und Vater sollte ein fürsorgliches Familienoberhaupt sein – auch Gefühle zeigen war dabei erlaubt. Andererseits sollte er in der Berufswelt die männlich assoziierten Eigenschaften wie Mut, Tatkraft und Vernunft an den Tag legen. Wie aus den Quellen hervorgeht, führte diese Doppelrolle zu inneren Spannungen, sagt Ochs.

So sollst du sein!

Ihr zufolge zeichnet sich ab, wie in der Zeit die geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen systematischer wurden. Die führende Rolle der Männer wurde dabei erstmals auch mit biologischen Argumenten untermauert. Die Frauen galten als das „schwache Geschlecht“, dem ebenfalls ein klares Idealbild vorgesetzt wurde: Von Frauen wurde hingebungsvolle Fürsorglichkeit und sanfte Duldsamkeit erwartet. Sie sollten gute Ehefrauen sein, den Nachwuchs aufziehen sowie Tätigkeiten der Pflege und Fürsorge ausüben. „Natürlich gab es diese Zuweisungen auch schon früher, jetzt bemühte man sich aber erstmals um eine Systematisierung“, sagt Ochs. „Die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen spielten im Bürgertum des 19. Jahrhunderts eine ganz große Rolle“, betont die Historikerin.

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Um sich neben dem Adel gesellschaftlich und politisch emanzipieren zu können, definierte sich das Bürgertum dieser Zeit intensiv durch Besitz und Bildung. Daraus entwickelte es ein besonderes berufliches Leistungsethos, aus dem es seine Herrschaftsansprüche ableitete. „Dieses fast sakrale Arbeits- und Leistungsethos fand sich sogar auf Grabsteinen wieder mit Inschriften wie ‚Rastlose Tätigkeit‘, ‚Nimmermüdes Tun‘ – das war als Norm gesetzt“, so Ochs. Während sich Frauen in ihr spezielles Rollenbild fügen mussten, lastete der berufliche Leistungsdruck besonders auf den Männern. Daneben sollten sie aber auch fürsorgliche Väter und Ehemänner sein. Emotionale Wärme haben Väter sicherlich auch schon früher in der Familie gezeigt, nun wurde sie jedoch erstmals bewusst wahrgenommen und thematisiert, erklärt die Historikerin.

Schwieriger Spagat

Wie Ochs berichtet, hatten offenbar viele bürgerliche Männer das Empfinden, bei dem schwierigen Spagat zwischen Berufsethos und Familienleben keine gute Balance zu finden. Manche meinten sogar, die Frauen hätten es besser: Beispielsweise beklagte der Soziologe und Nationalökonom Max Weber seine eingeengte Rolle und beneidete die Frauen um „ihr natürliches Gleichgewicht“ im Leben. Viele Männer lagen offenbar auch im Dauerstreit mit ihren Frauen darüber, welche Zeit sie für ihre Familie investieren sollten. Dass die Frauen ihnen dabei Vorschriften machten, galt allerdings als peinlich. Denn ein beruflich erfolgreicher Mann durfte auch zuhause kein „Pantoffelheld“ sein.

In den Familien sollten die damaligen Ideale natürlich auch dem Nachwuchs vermittelt werden. „Der Nachwuchs musste viel Aufmerksamkeit und Zuneigung erhalten, um die ganzen Leistungskriterien und Bildungswerte in ihn zu ‚verpflanzen‘.“ Natürlich glückte das nicht immer: Viele Bürgersöhne konnten oder wollten den Anforderungen nicht genügen und wurden zu „schwarzen Schafen“. Wie Ochs berichtet, zeichnet sich in den Quellen der damaligen Zeit ab, wie Familien beziehungsweise die Väter versuchten, problematische Sprösslinge „auf den rechten Weg“ zu bringen. Und wenn dies scheiterte, wurde dies bemüht vertuscht.

Interessant ist Ochs zufolge auch, wie sich bürgerliche Männer selbst definierten und ihren Weg nach oben darstellten: „Alle definierten sich darüber, ihren Aufstieg aus eigener Kraft erreicht zu haben, egal, wie gut ihre finanziellen, sozialen oder kulturellen Startbedingungen waren“. Offenbar gehörte dieser Aspekt ebenfalls zu dem problematischen Idealbild des bürgerlichen Mannes des 19. Jahrhunderts, wie aus der Arbeit der Historikerin hervorgeht.

Quelle: FernUniversität in Hagen

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