Gängiger Vorstellung nach war das Byzantinische Reich von einer luxuriösen, aber eher starren und traditionellen Kultur geprägt. Doch zumindest in den damaligen Großstädten gab es auch Phasen, in denen man stigmatisierten Randgruppen wie Gastwirten, Schaustellern und Prostituierten mit relativ großer Toleranz begegnete. Sie hatten sogar Aufstiegschancen, wie ein historisches Forschungsprojekt zeigt.
Das Byzantinische Reich umfasste im elften Jahrhundert rund 18 Millionen Menschen verschiedenster Ethnien, neben Griechen und Römern lebten auch Armenier, Slawen, Syrier und Ägypter im Herrschaftsgebiet Konstantinopels. Trotz dieser Unterschiede in Kultur und Ursprungsreligion etablierte sich jedoch bis zur mittelbyzantinischen Zeit eine übergreifende Kultur und Gesellschaftsordnung. Prägend war dafür auch das orthodoxe Christentum.
Schausteller, Gastwirte und Prostituierte
Allerdings führte gerade die Religion dazu, dass die Byzantiner einigen Randgruppen ihrer Gesellschaft eher mit Misstrauen gegenüberstanden: “Die byzantinische Gesellschaft hatte ein gestörtes Verhältnis zur Schaustellerei, die dem antiken Theater entsprang und als heidnisch galt”, erklärt Ewald Kislinger, Byzantinist an der Universität Wien. “Das Treiben der Mimen war suspekt und man schränkte zunehmend die Möglichkeiten für Auftritte ein.” Den Eliten missfielen die Darbietungen, weil sie anstößig, derb und sexuell aufgeladen bis obszön waren und dem strengen, christlichen Sittenbild widersprachen. Außerdem kritisierten und parodierten die Schaustellerinnen und Schausteller ungeniert Missstände oder die Obrigkeit und verspotteten christliche Riten.
Aufgrund dieses “anstößigen” Verhaltens unterhielten die byzantinischen Schausteller ihr Publikum schließlich nicht mehr im Theater, sondern fast nur noch in Gaststätten, in den Pausen von Wagen- oder Pferderennen im Hippodrom oder als Spaßmacherinnen und Spaßmacher am kaiserlichen Hof. Zwei weitere Randgruppen der byzantinischen Gesellschaft waren Prostituierte und auch Gastwirte. Im Unterschied zur Schaustellerei und Prostitution war das Gastgewerbe zwar nicht per se schlecht angesehen, solange sich der Gastwirt an das übliche, legale Angebot – Essen, Trinken, Geselligkeit, Beherbergung – hielt. Ließ man jedoch Schausteller auftreten oder bot die Dienste von Prostituierten an, war es um den guten Ruf schnell geschehen und man wurde verdächtig.
Mehr Toleranz vor allem in Großstädten
Doch wie diskriminiert waren diese drei Randgruppen damals wirklich? Das haben Kislinger und seine Kollegin Despoina Ariantzi nun in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt näher untersucht. Dafür suchten sie in zeitgenössische Quellen wie Briefen, Chroniken, Rechtstexten und auch der Hagiografie nach Hinweisen auf Alltagsleben und soziale Stellung der drei Randgruppen. Vor allem die Hagiografien, Beschreibungen des Lebens von Heiligen, richteten sich erzieherisch an ein großes Publikum und sind daher ein guter Spiegel des Alltagslebens, wie die Historiker erklären.
Eine der Erkenntnisse daraus: Die soziale Ausgrenzung von Gastwirten, Schaustellern und Prostituierten scheint im 11. Jahrhundert in Teilen des Byzantinischen Reichs gelockert gewesen zu sein. Eine Grundlage für diese duldsamere Haltung der Gesellschaft gegenüber diesen Randgruppen ist nach Meinung der Forscher die wirtschaftlich gute Lage: “Diese Öffnung war wohl auch eine Folge der verstärkten Handelskontakte mit anderen Kulturen beziehungsweise dem Westen. Das kam in unterschiedlicher Ausprägung einigen der Ausgegrenzten zugute”, erläutert Kislinger. Allerdings legen die historischen Quellen auch nahe, dass es deutliche Unterschiede zwischen Metropolen wie Konstantinopel oder Thessaloniki und den ländlichen Gebieten gab. Angehörigen der Randgruppen hatten es höchstwahrscheinlich in den Großstädten leichter, so die Forscher.
Zunehmende Aufstiegschancen
Die Phase stärkerer Toleranz gegenüber den Randgruppen brachte auch die Chance zum Aufstieg mit sich, wie unter anderem eine Rede des Gelehrten und Höflings Michael Psellos verrät: “Diese handelt vom Sohn eines Gastwirts, der Recht studierte und Anwalt wurde, allerdings mit wenig Erfolg. Psellos spottet, dass im Gasthaus das Geschäft floriere, hingegen die Gesetzesbücher ihm nichts einbrächten”, berichtet Kislinger. Doch neben dem Spott lässt sich an dieser Anekdote auch ablesen, dass sich für Gewerbetreibende im elften Jahrhundert durchaus die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs auftat.
Das wirft nach Ansicht der Historiker ein neues Licht auf die sozial- und mentalitätsgeschichtliche Entwicklung dieser Kultur. Denn in den frühen Phasen des Byzantinischen Reiches war ein gesellschaftlicher Aufstieg aus einer Randgruppe zwar in Teilen auch möglich, brachte aber oft Anfeindungen und Ablehnung mit sich. So war die oströmische Kaiserin Theodora I. als junge Frau als Schaustellerin tätig. Der Historiker Prokop war ihr deswegen feindlich gesinnt. “Ihr Leben wurde von ihm stark entstellt dargestellt und sie wurde sogar zur Prostituierten gemacht”, sagt Kislinger. Solche Vorkommnisse scheinen im elften Jahrhundert weit weniger üblich gewesen zu sein. Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen zwischen dem 6. und 12. Jahrhundert bedürfe das stereotype Bild von Byzanz daher einer Revision, meinen die Kislinger und Ariantzi.
Quelle: FWF – Der Wissenschaftsfonds