Heute gilt sie als eine typisch tropische Erkrankung, doch im Mittelalter hatte sich die Lepra weit nach Norden ausgebreitet – sogar bis auf die Britischen Inseln. Hierher könnte der Erreger aus Skandinavien gekommen sein, legen nun Untersuchungsergebnisse der Überreste eines Leprakranken aus dem 6. Jahrhundert nahe.
Einst gehörten die gruseligen Gestalten zum mittelalterlichen Alltag: Die Aussätzigen verhüllten ihre entstellten Körper mit Bandagen und mussten mit einer Glocke oder eine Klapper auf sich aufmerksam machen, damit man sich von ihnen fernhalten konnte. Die Krankheit entstellte fürchterlich: Im fortgeschrittenen Stadium verursacht der Erreger Mycobacterium leprae Geschwüre, die Knochen, Muskeln und andere Organe zerfallen lassen. Die Betroffenen verlieren meist auch das Gefühl für Schmerz. Dadurch verletzen sie sich oft unbemerkt oder Wunden bleiben unbehandelt, was zum Verlust von Körperteilen führen kann.
Einer der ersten Aussätzigen auf den Britischen Inseln
Ein internationales Forscherteam hat nun Licht in die Ausbreitungsgeschichte der Lepra in Europa gebracht. Ihre Ergebnisse basieren auf der Untersuchung eines etwa 1500 Jahre alten Skeletts, das aus Great Chesterford in Essex stammt. Typische Verwachsungen hatten bereits nahegelegt, dass der etwa 20 Jahre alte Mann an Lepra litt. Dies belegten nun genetische Untersuchungen – die Forscher konnten Erbmaterial des Erregers nachweisen. Es handelt sich damit um einen der frühesten bekannten Leprafälle in Großbritannien.
Vergleiche mit dem Erbgut anderer bekannter historischer Stämme von M. leprae zeigten dann: Der Mann war mit einem Erreger-Typ infiziert, der bereits bei noch älteren Überresten von Lepra-Opfern aus Skandinavien gefunden worden war. Untersuchungen der Zähne des Mannes legten außerdem nahe, dass es sich nicht um einen Briten gehandelt hatte, sondern um einen Einwanderer aus Skandinavien. So kommen die Forscher unterm Strich zu der Vermutung: Der mit Lepra infizierte Mann könnte die Erkrankung einst aus seiner Heimat nach England gebracht haben. Die Forscher wollen nun am Ball bleiben und noch weitere Skelette untersuchen, um der Ausbreitungsgeschichte der Lepra weiter auf die Spur zu kommen.
Warum die Erkrankung verschwand
Nach ihrer Ausbreitung im frühen Mittelalter hielt sich die Erkrankung hartnäckig in Europa. Doch ab dem 16. Jahrhundert verschwand sie dann zunehmend. Warum, ist bisher unklar. Im Jahr 2013 legten Studienergebnisse allerdings nahe, dass eine Ausbildung von Resistenzen in der europäischen Bevölkerung für den Rückgang der Lepra verantwortlich gewesen sein könnte. Die Argumentation: Erkrankte wurden konsequent isoliert, wodurch Menschen mit einer genetisch bedingten Anfälligkeit für Lepra an der Fortpflanzung gehindert wurden. Das sorgte für zunehmende Resistenz in der Gesamtbevölkerung, so der Erklärungsansatz. Zudem gibt es Hinweise aus anderen Studien, dass Europäer im Vergleich zu Menschen aus anderen Regionen widerstandsfähiger gegenüber Infektionen durch M. leprae sind.