Wann begann sich die menschliche Gesellschaft in Wohlhabende und “Habenichtse” aufzuspalten? Und warum? Eine Antwort könnten jetzt Forscher beim Rückblick in die Anfänge der Landwirtschaft gefunden haben. Demnach war nicht der Wechsel zur bäuerlichen Lebensweise per se der Auslöser sozialer Ungleichzeit, sondern der Ochse. Denn er ermöglichte es seinen Besitzern, mehr Land zu bestellen als die Menschen allein bearbeiten konnten und ebnete so den Weg zur Akkumulation von Wohlstand.
In der Ära der steinzeitlichen Jäger und Sammler hatten die Menschen noch kaum individuelle Besitztümer. Damit war auch eine auf ökonomischen Faktoren basierende Ungleichheit nahezu unbekannt. Das allerdings änderte sich in der Jungsteinzeit: Als die Menschen begannen, sesshaft zu werden und Felder zu bewirtschaften, nahm auch die Ungleichheit in vielen Kulturen zu. Nach gängiger Theorie hing dies direkt mit dem Übergang zur Landwirtschaft zusammen.
Erste Bauern waren noch egalitär
Doch nun haben Amy Bogaard von der University of Oxford und ihre Kollegen diese Theorie noch einmal überprüft. Dafür analysierten sie Funde und Daten von 150 jungsteinzeitlichen Fundstätten aus ganz Europa und dem Mittleren Osten. Unter anderem anhand von Hausgrößen und Grabbeigaben schätzten sie die soziale und ökonomische Ungleichheit der verschiedenen Gesellschaften ein und ermittelten zudem, wie und womit sie ihre Felder bewirtschafteten.
Dabei zeigte sich: In den meisten Regionen entwickelte sich die Ungleichheit erst deutlich nach dem Beginn der bäuerlichen Lebensweise. Der Wechsel geschah in Eurasien erst vor rund 6000 Jahren – und damit vielerorts einige Jahrtausende nach der neolithischen Revolution, wie die Forscher berichten. “Die übliche Geschichte, dass die Gesellschaften, die die Landwirtschaft übernahmen auch direkt ungleicher wurden, ist so nicht länger gültig”, erklärt Co-Autor Mattia Fochesato von der Bocconi Universität. Stattdessen bewirtschafteten die frühen Bauernfamilien lange Zeit nur kleine, gartenähnliche Landstücke, die sie mit Hacken umpflügten und per Hand abernteten. Die Größe dieser Felder war nahezu gleich – deutliche Unterschiede im Besitz gab es kaum.
“Solange die Arbeitskraft der Schlüsselfaktor für die landwirtschaftliche Produktion war, blieb die Ungleichheit begrenzt”, erklärt Fochesato. “Denn die Familien unterschieden sich nicht sehr darin, wie viel Arbeitskraft sie einsetzen konnten, um ihre Ernte zu produzieren.” Mehr Land zu besitzen brachte einer Familie damals wenig, weil man es ohnehin nicht bestellen konnte.
Ochsen entkoppelten Arbeitskraft und Landbesitz
Das aber änderte sich etwa um 4000 vor Christus, wie die Forscher berichten. Ab dann gab es mehr und mehr Bauern, die größere Landflächen besaßen – mehr als sie allein per Hand bewirtschaften konnten. Der Grund dafür zeigt sich in archäologischen Funden, wie Bogaard und ihre Kollegen herausfanden: Etwa um diese Zeit begannen einige Bauern, Ochsen als Arbeitstiere zu halten. Sie wurden vor den Pflug gespannt, als Zugtiere vor Karren genutzt oder zum Wasserpumpen eingesetzt. Durch diese tierischen Helfer konnte ein einzelner Bauer zehnmal mehr Land in der gleichen Zeit bewirtschaften als ein Bauer nur mit Handarbeit.
Dadurch war nun nicht mehr die eigene Arbeitskraft der limitierende Faktor. Stattdessen konnte ein Bauer mit genügend Ressourcen für die Ochsenzucht auch größere Landflächen beackern und besitzen. Damit begann die Ära, in der Landbesitz den Grundstock individuellen Wohlstands bildete – und die Ungleichheit wuchs. “Als der Landbesitz zum wichtigsten Faktor wurde, vergrößerten sich die Unterschiede zwischen den Familien”, erklärt Fochesato. “Denn nun können Land und andere materielle Güter über Generationen hinweg angesammelt und weitergegeben werden.” Letztlich war es daher nicht die Landwirtschaft selbst, die die Ungleichheit in menschlichen Gesellschaften aufkommen ließ, sondern die Möglichkeit, durch Ochsen und andere tierische Helfer das Einkommen und den Wohlstand von der eigenen Arbeitskraft zu entkoppeln.
Quelle: Santa Fe Institute; Fachartikel: Antiquity, doi: 10.15184/aqy.2019.105