Seit wann beschäftigen Sie sich mit ihm?
Christoph Biemann: Ich habe vor gut zehn Jahren ein Jugendbuch über Entdeckungen geschrieben. Das reichte von den alten Griechen bis zu Einstein, und da spielte Leeuwenhoek auch eine wichtige Rolle.
Was macht ihn zu einem spannenden Entdecker?
Dass er keine Kontinente und keinen Kosmos erschlossen hat, sondern eine ganz eigene Welt. Im Grunde sind seine Entdeckungen für uns wichtiger als die Entdeckung Amerikas oder der Quantenphysik. Er hat entdeckt, was für unser Auge zu klein ist, den Mikrokosmos. Und das nicht als professioneller Forscher, sondern als Amateur.
Wie kam er dazu?
Er war eigentlich Tuchhändler. Um die Qualität der Stoffe zu prüfen, brauchte er sogenannte Fadenzähler, Lupen, die man vors Auge klemmt. Er schliff dann selber kleine Linsen, brachte sich bei, wie man das macht, und stellte einlinsige Apparate her. Die nannte man „Flohgläser“. Die Welt der Flöhe war ein naheliegendes Forschungsgebiet, weil die Leute Perücken trugen, in denen es von den Tierchen wimmelte. Man brauchte sich nur ins Haar zu greifen, und schon hatte man sein Studienobjekt. Leeuwenhoek schaute sich also als erstes Flöhe an, wie sie aufgebaut sind, sich paaren. Auch Flohsperma machte er aus und konnte so die bis dahin gängige Ansicht widerlegen, dass Flöhe durch „Urzeugung“ aus Dreck entstehen.
Der Floh als Türöffner zum Mikrokosmos?
Leeuwenhoek entwickelte daraus eine richtige Leidenschaft. Mit großem handwerklichem Geschick baute er Apparate, die Objekte in bis zu 270-facher Vergrößerung sichtbar machen konnten. Er schaute sich Pflanzen an, Muskelzellen, die Bakterien aus seinem Mund, auch aus den Mündern seiner Nachbarn, und stellte fest, dass es die gleichen waren. Er zeichnete die Objekte auch. Ihm war klar, dass er wichtige Entdeckungen gemacht hatte. Deshalb wandte er sich mit seinen Zeichnungen an die Royal Society in London.
Mit welchem Erfolg?
Dort fand man es zunächst befremdlich, auf Niederländisch angeschrieben zu werden, was niemand verstand. Leeuwenhoek konnte ja kein Latein, auch keine andere Sprache. Er ließ aber nicht locker, schickte immer wieder Zeichnungen von Schimmelpilzen, Läusen, Bienenstacheln. Schließlich entsandte die Royal Society eine Delegation nach Delft, wo er wohnte. Die englischen Wissenschaftler waren sehr beeindruckt. Leeuwenhoek wurde dann Mitglied der Royal Society, später auch der Académie française.
Was sagt er uns heute noch?
Dass auch Laien wissenschaftlich arbeiten können. Auch heute können Menschen durch Beobachten Dinge herausfinden und eine Leidenschaft fürs Wissen entwickeln. Er aber hat der Menschheit die Augen für eine Welt geöffnet, von der vorher niemand auch nur die leiseste Ahnung hatte.
Interview: Dr. Winfried Dolderer
Christoph Biemann geb. 1952, Autor, Regisseur, Darsteller. Seit 1975 Regisseur beim WDR-Kinderfernsehen. Bekannt geworden durch die „Sendung mit der Maus“. Werke unter anderem „Christophs Experimente“ (2003); „Christophs Buch der Entdeckungen“ (2010).
Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), niederländischer Tuchhändler und Naturforscher, gilt als bedeutendster Mikroskopiker des 17. und 18. Jahrhunderts. Seit 1680 Mitglied der Royal Society London.