Die Opfer versteckten ihre entstellen Körper unter Bandagen und wurden gemieden – lange hat die gespenstische Lepra die Bevölkerung Europas heimgesucht. Doch im 16. Jahrhundert verschwand die Infektionskrankheit langsam. Warum? Forscher präsentieren nun genetische Hinweise darauf, dass die Anfälligkeit gegenüber Lepra in der europäischen Bevölkerung gesunken war, sodass sie sich schließlich nicht mehr halten konnte.
Heute gilt Lepra als eine typisch tropische Erkrankung: Die inzwischen heilbare Infektion mit dem Erreger Mycobacterium leprae betrifft jährlich weltweit noch über 200.000 Menschen, vor allem in Brasilien, Indien und Indonesien. Im Mittelalter war Lepra hingegen auch eine weitverbreitete Plage in Europa – vom Süden bis in den hohen Norden. Ein berüchtigtes Merkmal der Erkrankung ist ihr entstellender Effekt: Im fortgeschrittenen Stadium bilden sich Geschwüre, die Knochen, Muskeln und andere Organe zerfallen lassen. Im Mittelalter reagierte die Gesellschaft mit Abscheu: Die Betroffenen wurden isoliert, sie mussten eine Warnglocke tragen und wurden sogar auf separaten Friedhöfen beerdigt.
Dem Verschwinden auf der Spur
Bis heute ist unklar, warum die einst so weitverbreitete Erkrankung im 16. Jahrhundert aus Europa weitgehend verschwand, bevor Behandlungsmaßnahmen wie etwa Antibiotika einen Effekt gehabt haben könnten. Am Erreger hat es offenbar nicht gelegen, ging bereits aus einer früheren Studie hervor: Die genetische Ausstattung beziehungsweise Aggressivität von Mycobacterium leprae hat sich im Laufe der Zeit nicht wesentlich geändert. Nun zeichnet sich hingegen ab, dass die Ursache des Rückgangs in der Entwicklung der genetischen Merkmale der europäischen Bevölkerung zu suchen ist.
Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher um Almut Nebel von der Universität Süddänemark in Vejle das Erbgut von 85 Lepra-Kranken aus dem dänischen Odense des 12. und 13. Jahrhunderts untersucht. Es gelang ihnen, den Überresten DNA für Analysen zu entlocken. Die genetischen Merkmale verglichen sie mit denen von Proben von 223 mittelalterlichen dänischen und norddeutschen Skeletten, die keine Spuren von Lepra aufwiesen sowie mit genetischen Informationen heutiger Menschen aus Norddeutschland.
Anpassung zeichnet sich ab
In ihren Analyseergebnissen zeichnete sich ab, dass offenbar eine bestimmte Variante des Immun-Gens mit der Bezeichnung HLA- DRB1 die Menschen besonders anfällig für Lepra gemacht hat. Das HLA-Antigen führt unter anderem zur Erkennung von Bakterien und löst eine gezielte Immunreaktion des Körpers aus, erklären die Forscher. Die identifizierte HLA-Variante erfüllte ihnen zufolge diese Funktion offenbar schlecht gegenüber Mycobacterium leprae und machte die Menschen dadurch anfällig gegenüber der Infektion. Bei den Aussätzigen aus dem mittelalterlichen Odense fanden die Forscher die Genvariante im Gegensatz zu nicht von Lepra betroffenen Menschen aus der Zeit besonders häufig. Am seltensten ist sie bei heutigen Menschen in Norddeutschland zu finden, ging aus den Vergleichen hervor.
Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die genetische Anfälligkeit gegenüber Lepra im Lauf der Zeit aus der europäischen Bevölkerung schwand. Selektion könnte dafür verantwortlich gewesen sein: Leprakranke gaben die genetischen Risikofaktoren nicht weiter, da sie isoliert wurden und keine Nachkommen hervorbrachten. „Die Anpassung des Menschen an dieses Bakterium über Jahrhunderte könnte dazu geführt haben, dass die Krankheit langsam verschwand“, erklärt Co-Autor Ben Krause-Kyora vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. „Dies spricht dafür, dass die Lepra und auch andere Epidemien der Vergangenheit die heutige Zusammensetzung unseres Genoms nachhaltig beeinflussten“, so die Wissenschaftlerin. In Zukunft möchten die Forscher diesem Forschungsthema treu bleiben: Sie wollen weitere Erkrankungen des Mittelalters in verschiedenen Bevölkerungsgruppen Europas erforschen, um zu beleuchten, inwieweit sie das Erbgut der Menschen geprägt haben könnten.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Nature Communications doi: 10.1038/s41467-018-03857-x