Seit fast 500 Jahren rätseln Historiker über den Inhalt eines Briefs, den Kaiser Karl V. im Jahr 1547 an einen seiner Botschafter in Frankreich schrieb. Denn ganze Abschnitte dieses Briefs waren mit Geheimzeichen verschlüsselt. Erst jetzt ist es einem Team von Forschenden gelungen, diese Geheimschrift zu dechiffrieren. Sie enthüllen unter anderem, dass Karl V. wegen eines Gerüchts besorgt war, nachdem jemand am französischen Hof ein Attentat auf ihn plante.
Der im Jahr 1500 geborene Karl V. stammte aus der Dynastie der Habsburger und erbte von seinen royalen Vorfahren gleich mehrere Reiche. Er wurde König von Spanien, Herrscher von Österreich und wurde 1520 in Aachen zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gekrönt. Im Laufe seiner Herrschaft führte Karl V. mehrere Kriege, ab 1540 kam es auch zum bewaffneten Konflikt mit Frankreich. Zwar wurde dieser Krieg 1544 mit dem Vertrag von Crépy durch einen Waffenstillstand beendet. Dennoch blieb die Beziehung Karls V. mit Frankreichs König Franz I. angespannt.
Mysteriöse Symbole im Kaiserbrief
Aus dieser Zeit stammt ein Brief, den Karl V. im Februar 1547 an Jean de Saint-Mauris, seinen Botschafter in Frankreich, schrieb. Teile dieses heute in der Stanislas-Bibliothek im französischen Nancy aufbewahrten Briefs sind in normaler Schrift geschrieben und leserlich. Andere Abschnitte verfasste Karl V. jedoch in einer Geheimschrift aus kryptischen Symbolen. Einige ähneln einer Acht mit Anhängen, andere bestehen aus einer Kombination von Strichen oder schnörkeligen Formen. Was diese Symbole bedeuten, blieb jedoch unbekannt – und damit auch der Inhalt dieser Passagen.
Nachdem Historiker und Linguisten an der Entschlüsselung dieses Briefs gescheitert waren, nahm sich im Jahr 2021 ein Team von Kryptographen unter Leitung der Historikerin Camille Desenclos von der Université der Picardie Jules Verne den Brief noch einmal vor. Sie versuchten zunächst, die Verschlüsselung mithilfe gängiger Dechiffrier-Computerprogramme zu knacken, die die Häufigkeit, Anordnung und Kombination der Symbole auswerten. Dabei zeigte sich jedoch schnell, dass der Code komplexer war als zunächst erwartet. Statt auf einer einfachen Buchstabe-zu-Symbol-Umwandlung beruhte er auf einer Kombination sehr unterschiedlicher Symboltypen – einige einfach, andere relativ komplex.
Komplexe Verschlüsselung
Daraufhin entwickelte das Team einen neuen Algorithmus, der an zeitgenössischen französischen Briefen darauf trainiert wurde, typische Worte und Sprachmuster zu erkennen. Dabei zeigte sich, dass Karl V. offenbar zur weiteren Verschleierung des Inhalts mehrere Scheinsymbole in den Text einstreute. “Dabei handelte es sich um eine Methode, die im Europa des 16. Jahrhunderts en Vogue war: Man durchsetzte das Dokument mit Schriftzeichen, die keinerlei Sinngehalt hatten”, heißt es in der Pressemitteilung der Universität. “Diese Symbole waren weder Anzeiger für Leerstellen noch für Satzzeichen, sondern mussten beim Entziffern einfach übersprungen werden.”
Nachdem die Forschenden dies erkannt und die “Nullsymbole” mithilfe des Computers identifiziert hatten, gelang es ihnen, zumindest Teile der verschlüsselten Passagen zu lesen – aber noch immer nicht alle. Dies gelang erst, nachdem das Team in den Archiven einen vom Botschafter Jean de Saint-Mauris geschriebenen Brief entdeckte, in dem dieser ebenfalls Teile des Textes mit diesem Code verschlüsselt hatte. Beide Briefe zusammen und die angepassten Entschlüsselungs-Algorithmen halfen schließlich, den Brief von Karl V. komplett zu dechiffrieren.
Der Schmalkaldische Bund und ein Attentatsgerücht
Damit ist nun erstmals klar, was Karl V. im Februar 1547 an seinen Botschafter schrieb und welche politischen Fragen dabei im Mittelpunkt standen. “Dem Brief zufolge ging es dem Herrscher dabei vor allem um drei Themen: die Erhaltung des fragilen Friedens mit Frankreich, ein Attentat gegen ihn zu verhindern und den Konflikt mit dem Schmalkaldischen Bund beizulegen”, berichten die Forschenden. Bei letzterem handelte es sich um einen Bund von zum Protestantismus übergetretenen deutschen Fürsten, die sich gegen die Herrschaft des katholischen Herrschers und die Unterdrückung ihrer Religion wehrten. Seit 1546 führte Karl V. Krieg gegen die aufständischen Fürsten. In seinem Brief von Anfang 1547 geht es ihm vor allem darum, Neuigkeiten über den Fortschritt dieses Feldzugs zu erhalten.
Während dies und auch das Verhältnis zu Frankreich bereits aus anderen Schriften und Briefen bekannt war, enthüllt der chiffrierte Brief auch etwas zuvor Unbekanntes: Karl V. bezieht sich darin auf ein Gerücht, nach dem Pierre Strozzi, einer der Generäle von Franz I., ihm nach dem Leben trachten sollte und ein Attentat plane. Zwar soll Franz I. es abgelehnt haben, einen solchen Attentatsplan zu unterstützen, offiziell verboten soll er dies aber dem Gerücht nach nicht. Karl V. beauftragt daher seinen Botschafter in Frankreich, den Wahrheitsgehalt des Gerüchts zu prüfen.
“Dieses Gerücht ist aus zwei Gründen interessant: Es enthüllt zum einen die tiefsitzende Feindschaft zwischen Pierre Strozzi und Karl V. und die Spannungen zwischen Frankreich und dem Habsburger Kaiser. Zum anderen war dieses Gerücht zuvor außer in diesem Brief und dessen Antwort nirgendwo dokumentiert”, heißt es in der Mitteilung der Universität. Die neu entschlüsselten Briefpassagen geben damit erstmals Einblick in diese vermeintliche Attentatsgefahr und die Reaktion Karls V. darauf.
Quelle: CNRS, Bibliothèques Nancy, Université de Picardie