Die Universität Potsdam, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Freie Universität Berlin und die Technische Universität Berlin haben sich auf ein Konzept für ein gemeinsames Zentrum für Jüdische Studien geeinigt.
Das Konzept sieht vor, verschiedene wissenschaftliche Aktivitäten auf diesem Gebiet in Studium und Lehre zu bündeln und miteinander zu vernetzen. Zugleich soll auch durch Stellen für Gastprofessuren und Fellows der internationale Austausch mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, insbesondere aus den USA, Israel, Großbritannien, Frankreich und den GUS-Ländern, verstärkt werden. Berlin hatte im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit der ‚Wissenschaft des Judentums’ eine große Tradition jüdischer Gelehrsamkeit. Der Antisemitismus des Kaiserreichs verhinderte eine Verankerung dieser Traditionen an den preußischen Universitäten. Heute machen die Jüdischen Studien einen bedeutenden Teil akademischer Ausbildung und Forschung in vielen Fächern aus: nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Philosophie, der Geschichte, den Literatur- und Kunstwissenschaften, der Kulturwissenschaft, der Pädagogik, der Europäischen Ethnologie, der Rechtswissenschaft und der Medizingeschichte.
Außer den vier Universitäten sind an dem Projekt beteiligt: die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, das Abraham Geiger Kolleg und das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Mit der jüdischen Gemeinde werden Gespräche über die Bereitstellung des ehemaligen jüdischen Kinderheims, das sogenannte Ahawah-Gebäude, in der Auguststraße geführt, das einst von Eduard Knoblauch, dem Architekten der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße, gebaut wurde und heute unter Denkmalschutz steht. Die Räumlichkeiten des Gebäudes werden nach erfolgter Restauration nicht nur Platz für akademische, sondern auch für kulturelle Veranstaltungen und Ausstellungen bieten.
Die Region Berlin-Brandenburg verfügt schon jetzt über eine hohe Dichte an Fachwissen in Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Jüdischen Studien: Aus den bestehenden Sollstellenplänen und Ressourcen der vier Universitäten befassen sich insgesamt etwa 15 Professuren (mit Teildenomination oder Schwerpunkten in Forschung und Lehre) und etwa ebenso viele Einrichtungen, Zentren, Studiengänge und Schwerpunktbildungen mit den verschiedensten Themenfeldern der Jüdischen Studien. Um nur einige Beispiele zu nennen: An der Universität Potsdam wurden schon vor Jahren BA- und MA-Studiengänge in Jüdischen Studien mit den Schwerpunkten Religion, Geschichte und Literatur eingerichtet. An der Humboldt-Universität bietet das ‚Kollegium Jüdische Studien’ eine breit gefächerte Vernetzung von Fächern mit interdisziplinärer Doktorandenausbildung und Forschungsprojekten, der ‚Leo Baeck Summer University for Jewish Studies’, dem ‚Walter-Benjamin-Lehrstuhl für deutsch-jüdische Geschichte und Kultur’ und der Gastprofessur für Jüdisches Recht. Zur Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zählt das traditionsreiche Institut ‚Kirche und Judentum’. An der Freien Universität wird ein BA- Studiengang Judaistik angeboten. Der Masterstudiengang ‚Judaism in Historical Context’ mit den beiden Profilbereichen ‚Judentum im hellenistisch-römischen und islamisch-christlichen Kontext (Antike/Mittelalter/Frühe Neuzeit)’ und ‚Modern Judaism and Holocaust Studies (19. und 20. Jahrhundert)’ ist ein gemeinsames Masterprogramm der Freien Universität und des Touro College Berlin. Seit 2008 bietet das Seminar für Katholische Theologie den ‚Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengang Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen’ an. Die Technische Universität verfügt über das bedeutende Zentrum für Antisemitismusforschung, wo die deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Geschichte des Holocaust seit Jahrzehnten zu den Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören. Hinzu kommt ein neu einzurichtender Masterstudiengang „Antisemitismus- und Vorurteilsforschung“. Mit dieser Aufzählung sind nur einige der Aktivitäten der vier Universitäten im Bereich der Jüdischen Studien erfasst.
Die geplante Gründung dieses Zentrums ist in mehr als einer Hinsicht innovativ: Zweifellos ist die Einrichtung eines akademischen und kulturellen Zentrums für Jüdische Studien in Berlin und Brandenburg von hoher Aktualität; sie setzt die Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom Frühjahr 2010 für eine bessere Verankerung der Jüdischen Studien an deutschen Universitäten um. Nicht zuletzt bietet das geplante Zentrum Gelegenheit, die vier größten Universitäten Berlins und Brandenburgs in einem gemeinsamen Projekt zu guter Kooperation zu bringen.