Das alljährliche Thanksgiving in den USA soll an ein Dankesfest der Pilgerväter erinnern. Als sie 1621 in der Neuen Welt landeten, feierten sie der Überlieferung nach zusammen mit den einheimischen Wampanoag-Indianern ein dreitägiges Fest. Doch sie waren keineswegs die ersten, wie US-Archäologen berichten. Schon gut 50 Jahre zuvor feierten spanische Konquistadore das erste Thanksgiving im heutigen Florida.
Thanksgiving wird in den USA jedes Jahr am vierten Donnertag im November gefeiert. Typischerweise gibt es dabei einen gebratenen Truthahn, Mais, Süßkartoffeln und andere Speisen, die angeblich schon die Pilgerväter 1621 bei ihrem gemeinsamen Fest mit den Indianern Neuenglands aßen. Einer der damaligen Kolonisten, Edward Winslow beschreibt: “Als unsere Ernte eingebracht war, sandte unser Gouverneur vier Männer auf die Vogeljagd, so dass wir die Früchte unserer Arbeit feiern konnten. … Viele der Indianer kamen zu uns, etwa 90 Mann, die wir drei Tage lang bewirteten und mit denen wir feierten.”
Spanische Seefahrer feierten zuerst
Doch wie Kathleen Deagan von der University of Florida und ihre Kollegen berichten, gab es schon lange vor den Pilgervätern ähnliche völkerübergreifende Erntedankfeiern in der Neuen Welt. Denn die möglicherweise erste Thanksgiving-Feier fand bereits gut 50 Jahre früher in der Nähe des Matanzas Flusses bei St. Augustine in Florida statt.
Dort war der spanische Konquistador Pedro Menéndez de Avilés im Herbst 1565 nach einer 68 Tage dauernden Schiffspassage gelandet, wie die Archäologen berichten. Die Spanier hatten bei der harten, sturmreichen Überfahrt vier ihrer acht Schiffe verloren und die Hälfte ihrer Mannschaft. Erschöpft von den Torturen, waren die Seefahrer vermutlich heilfroh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Erst Messe, dann Festmahl
“Das erste, was Menéndez damals tat, war eine Dankesmesse abzuhalten und anschließend ein Fest zu feiern”, berichtet Deagan. Ihrer Ansicht nach waren diese Seeleute wahrscheinlich die ersten, die einen religiösen Akt und ein Erntedankfest in einer festen Siedlung der Neuen Welt feierten. “Dazu lud er alle örtlichen Eingeborenen ein, die die Neuankömmlinge neugierig bestaunten”, so die Archäologin weiter. In diesem Gebiet des heutigen Florida lebten damals die Timucua, ein Indianervolk, das sich vorwiegend von Fischfang und Wildpflanzen ernährte und in kreisförmigen Hütten lebte.
Statt Truthahn und Süßkartoffeln gab es bei diesem ersten Thanksgiving wahrscheinlich von den Seefahrern mitgebrachtes eingesalzenes Schweinefleisch und Rotwein. Dazu aß man Oliven, Bohnen und Schiffszwieback. Von den teilnehmenden Timucua könnten die spanischen Seefahrer zudem Mais, Fisch, Beeren und Bohnen bekommen haben, sagt Deagan.
Zwar haben die Archäologen keine Reste dieses ersten Fests gefunden, wohl aber mehr als 400 Objekte und Essenreste aus der Anfangszeit dieser spanischen Siedlung. “Es ist sehr selten, dass man archäologischer Relikte einem spezifischen Ereignis zuordnen kann – vor allem, wen es sich um etwas so Flüchtiges wie eine einzige Mahlzeit handelt”, erklärt Clifford Waters, archäologischer Kurator des Florida Museum. Aber die Funde vom Matanzas Fluss geben einen guten Einblick darin, wie dieses erste Erntedankfest abgelaufen sein könnte.
Schmelztiegel statt Puritaner
Und noch etwas zeigt dieses wenig bekannte Kapitel der Thanksgiving-Geschichte: Die ersten Kolonisten in Nordamerika waren keineswegs allesamt weiße, protestantische Puritaner. “Die traditionelle Thanksgiving repräsentiert eine anglisierte Version der Geschichte”, sagt Waters. “Doch zu der Zeit, als die Pilgerväter in Plymouth landeten, hatten Menéndez und die Siedler dieser ersten Kolonie wahrscheinlich längst Kinder und Kindeskinder.”
Nach Ansicht des Archäologen ist dies angesichts der wachsenden hispanischen Bevölkerung in den USA ein besonders wichtiger Aspekt der Thanksgiving-Geschichte. “Tatsache ist, dass schon die erste Kolonie ein Schmelztiegel war”, so Waters. “Die kulturellen Interaktionen der vielen Bevölkerungsgruppen in dieser Kolonie waren denen in den heutigen USA sehr viel ähnlicher als die britischen Kolonien es je waren.”