Einwanderer brachten einst die Landwirtschaft nach Europa und breiteten diese Kulturtechnik über den Kontinent aus. Doch wie nun Funde der ältesten Gerstenkörner Finnlands enthüllen, gab es vor rund 5000 Jahren einige Jäger und Sammler, die den Getreideanbau schon überraschend früh quasi “nebenher” praktizierten. Offenbar kultivierte die Grübchenkeramik-Kultur im Süden Schwedens und Finnlands den Getreideanbau speziell für rituelle Feste.
Die Landwirtschaft breitete sich in Europa vom Südosten bis in den Norden aus. Skandinavien gehörte zu den letzten Gebieten, in denen sich die neolithische Revolution zeigte. Gängigem Wissen nach brachten Angehörige der Trichterbecherkultur um 4000 vor Christus die Landwirtschaft in den Süden Schwedens und Finnlands. Doch trotz ihrer Präsenz dominierte an den Küsten dieser Region noch mehr als tausend Jahre lang eine Jäger-und-Sammler-Kultur – die Grübchenkeramiker.
“Die Menschen der Grübchenkeramik-Kultur lebten in stark am Meer orientierten Siedlungen entlang der nördlichen Ostseeküsten und den angrenzenden Inseln”, berichten Santeri Vanhanen von der Universität Helsinki und sein Team. “Diese spezialisierten Jäger und Sammler gewannen die große Mehrheit ihrer Nahrungsmittel aus marinen Quellen, sie jagten Seerobben, Fische und Seevögel. Wegen dieser Lebensweise werden sie oft auch als die Inuit der Ostsee bezeichnet.”
Das älteste Gerstenkorn Finnlands
Doch wie sich nun zweigt, müssen die skandinavischen Grübchenkeramiker trotzdem schon den Getreideanbau beherrscht haben – und dies erstaunlich früh. Denn als Vanhanen und sein Team Funde aus frühen Siedlungen dieser Kultur an der schwedischen Südküste und auf den finnischen Åland-Inseln analysierten, entdeckten sie Überraschendes: Zwischen den Tierknochen und Fischresten fanden sich auch angekokelte Getreidekörner – vor allem Gerste, aber auch Emmer und Weizen. Die Körner stammten damit von domestiziertem Getreide, wie die Forscher berichten.
Eines der auf den Åland-Inseln entdeckten Gerstenkörner erwies sich sogar als das älteste bekannte Getreidekorn, das jemals in Finnland gefunden worden ist. Doch woher hatten die steinzeitlichen Robbenjäger dieses Getreide? Das naheliegendste Szenario wäre, dass sie es durch Tauschhandel von den eingewanderten Bauern der Trichterbecherkultur erworben haben. Das jedoch halten Vanhanen und sein Team für äußerst unwahrscheinlich. “Die Trichterbecherkultur hatte sich zu dieser Zeit aus weiten Teilen des östlichen Mittelschweden zurückgezogen und Hinweise auf einen Austausch mit den Grübchenkeramikern gab es damals kaum noch”, berichten die Forscher.
Getreide nur für rituelle Feste?
Die Archäologen gehen deshalb davon aus, dass das Getreide von den Jägern und Sammlern selbst angebaut worden sein muss. “Die Körner, die wir auf Åland gefunden haben, beweisen, dass die Grübchenkeramik-Kultur den Getreideanbau in Gebieten praktizierte, in denen es ihn zuvor nicht gab”, sagt Vanhanen. Obwohl die Menschen dieser Kultur weiterhin primär als Jäger und Sammler lebten, müssen sie demnach zumindest in kleinem Rahmen auch Getreide kultiviert haben. “Wir gehen davon aus, dass diese Jäger und Sammler die Anbautechniken von den Bauern der Trichterbecherkultur lernten und diese Fertigkeiten dann auf die Inseln nördlich des 60. Breitengrads mitbrachten”, erklären die Forscher.
Für die Robbenjäger war das Getreide jedoch vermutlich kein Grundnahrungsmittel – dazu waren die Anbaumengen zu gering. Stattdessen könnten Gerste, Weizen und Emmer eigens für Rituale und Feste angebaut worden sein, mutmaßen die Wissenschaftler. Denn Funde beispielsweise von besonders großen Haufen von Schweineknochen sprechen dafür, dass die Grübchenkeramiker bestimmte Speisen eigens für rituelle Feste heranschafften und dann gemeinschaftlich verzehrten. “Auch unser Getreide könnte zu diesen Speisen gehört haben, die nur zu speziellen Anlässen konsumiert wurden”, sagt Vanhanen. “Es ist sogar gut möglich, dass damals aus den Gerstenkörnern schon Bier gebraut wurde – aber dafür fehlen uns noch eindeutige Belege.”
Quelle: Universität Helsinki, Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-019-41293-z