Frühen Seuchenzügen auf der Spur: Pest-Ausbrüche könnten schon die jungsteinzeitlichen Bauerngemeinschaften Europas schwer heimgesucht haben, geht aus einer Studie hervor. Sie basiert auf der paläogenetischen Untersuchung der Überreste von über hundert Menschen, die vor etwa 5000 Jahren im südlichen Skandinavien gelebt haben. Bei 18 Personen haben die Forschenden Infektionen mit dem Pesterreger nachgewiesen. Das Bakterium Yersinia pestis könnte demnach schon früher stärkeres Ansteckungs- und Krankheit-Potenzial entwickelt haben als bisher angenommen, erklären die Forschenden.
Sie gilt als die schlimmste Infektionskrankheit aller Zeiten und hat sich tief im Gedächtnis der Europäer verankert: Vor allem im 14. Jahrhundert fielen der Pest Millionen von Menschen zum Opfer. In der intensivsten Phase der Seuchenzüge raffte der sogenannte Schwarze Tod Schätzungen zufolge mindestens ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Mittlerweile ist bekannt, dass der Pesterreger in dieser Zeit nicht zum ersten Mal in Europa aufgetaucht ist. Bei paläogenetischen Untersuchungen haben Forschende auch an Menschen aus der späten Jungsteinzeit (Neolithikum) Infektionen mit frühen Formen des Bakteriums Yersinia pestis nachgewiesen. Bisher blieb allerdings unklar, inwieweit es sich um Einzelfälle gehandelt haben könnte und ob der Erreger bereits lebensgefährliche Krankheitsverläufe verursachte. Denn zumindest bestimmte genetische “Killer-Faktoren” der späteren Versionen besaßen die frühen Peststämme noch nicht.
Waren die frühen Versionen noch nicht so schlimm?
Deshalb sah ein Forschungsteam im Fall eines Infizierten, der vor etwa 5000 Jahren im heutigen Lettland bestattet worden war, eher keinen Hinweis auf eine steinzeitliche Pandemie. Zu einer anderen Vermutung kamen dagegen Wissenschaftler, die bei einem jungsteinzeitlichen Bauern aus dem heutigen Schweden eine Pestinfektion nachgewiesen haben. Sie interpretierten diesen Fund als ein Indiz dafür, dass eine Pest-Epidemie zu dem sogenannten Neolithischen Niedergang beigetragen haben könnte. Dabei handelt es sich um einen mysteriösen Bevölkerungseinbruch, der sich in der Zeit von vor 5300 bis 4900 Jahren bei den Bauerngesellschaften in einigen Teilen Europa abzeichnet. Als Grund werden verschiedene Ursachen diskutiert: Neben Konflikten und Ernteausfällen auch Krankheiten, die sich über das bereits ausgeprägte Verbindungsnetz zwischen den Gemeinschaften ausgebreitet haben könnten.
Die aktuelle Studie der Forschenden um Frederik Seersholm von der Universität Kopenhagen untermauert nun die Vermutung, wonach die frühen Formen der Pest beim Neolithischen Niedergang eine Rolle gespielt haben. Die Ergebnisse basieren dabei auf der Untersuchung von DNA, die das Team aus den Überresten von 108 Menschen gewonnen hat, die vor rund 5000 Jahren in verschiedenen Megalith-Grabstätten in Schweden und Dänemark bestattet wurden. Das in ihren Relikten erhaltene Erbmaterial ließ Rückschlüsse auf die Verwandtschaftsverhältnisse und Generationsabfolgen der Bestatteten in den jeweiligen Grabanlagen zu. In der gewonnenen DNA fand das Team zudem genetisches Material der Krankheitserreger, von denen die Individuen zum Zeitpunkt ihres Todes befallen waren.
Pest-Diagnose bei 17 Prozent der Toten
Wie das Team berichtet, fanden sie bei 18 der insgesamt 108 jungsteinzeitlichen Personen aus den teils weit voneinander entfernten Grabanlagen die genetischen Spuren des Pesterregers Yersinia pestis. Da ein Nachweis nur in manchen Fällen gelingt, ist zudem mit einer deutlichen Dunkelziffer zu rechnen, betonen die Forschenden. Es liegt somit nahe, dass der Erreger bei den jungsteinzeitlichen Bewohnern Südskandinavien zeitweilig sehr häufig zu Infektionen geführt hat. In einer der untersuchten Familien, deren Mitglieder über sechs Generationen im Verlauf von etwa 120 Jahren in einer der Grabablagen bestattet wurden, zeichneten sich mindestens drei unterschiedliche Pestausbrüche ab. Es gibt dabei Hinweise darauf, dass sich vor allem die dritte und letzte Welle unter den Gemeinschaften in Südskandinavien weit ausgebreitet hat.
In einigen Fällen ermöglichten die gewonnenen DNA-Spuren auch Einblicke in die genetischen Merkmale der jungsteinzeitlichen Peststämme. Es zeigte sich zwar erneut, dass sie offenbar nicht über ein Merkmal verfügten, das bei den mittelalterlichen Versionen als wichtiger „Killer-Faktor“ gilt: Es fehlten noch die genetischen Besonderheiten, die dem Bakterium ein Überleben in Flöhen ermöglichten. Sie sorgten im Fall der Beulenpest für die sehr effektive Übertragung der Erkrankung von Ratten auf Menschen. Doch den Forschern zufolge sind auch Merkmale der jungsteinzeitlichen Stämme denkbar, die eine Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch oder etwa über Läuse ermöglicht haben könnten. „Im Fall des jüngsten von uns identifizierte Peststamms, gibt es auch bestimmte genetische Hinweise darauf, dass er ein epidemisches Potenzial besessen haben könnte”, sagt Seersholm.
Die Forschende sehen in den Ergebnissen somit starke Indizien dafür , dass die Pest am Neolithischen Niedergang beteiligt war: „Da offenbar ein erheblicher Teil der Bevölkerung mit der Pest infiziert war, könnte eine mit der Krankheit verbundene übermäßige Sterblichkeit die langfristige Lebensfähigkeit der betroffenen Gemeinschaften untergraben haben, was möglicherweise zum Zusammenbruch einiger neolithischer Gesellschaften geführt hat“, schreiben die Autoren. Dazu sagt Seersholm abschließend: “Wir können zwar noch nicht beweisen, dass es sich so zugetragen hat. Aber wir konnten nun zumindest zeigen, dass es möglich ist“, sagt Seersholm.
Quelle: University of Copenhagen, Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07651-2