Wie lebte und wohnte man im 19. Jahrhundert? Dieser Frage geht eine Ausstellung im „Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts“ in Baden-Baden unter dem Titel „Schöner. Wohnen. Damals. Die Erfindung der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert“ nach. Mit dem Wandel von Alltag und Privatleben im 19. Jahrhundert wurde, so die These der Ausstellung, das „Zuhause“ zum Inbegriff des bürgerlichen Familienlebens; mit der Trennung von Berufs- und Familienleben entwickelte sich das bürgerliche Heim zum geschützten privaten Raum. Das Ergebnis ist die moderne Kleinfamilie, die sich aus Vater, Mutter und Kindern zusammensetzte – im Gegensatz zu größeren Familienverbänden früherer Zeit. Die Ausstellung fokussiert auf das 19. Jahrhundert, auch wenn die „Erfindung der bürgerlichen Familie“ sicherlich schon weiter zurückgreift.
Gerade die älteren Besucher finden viele Exponate, die sie noch von zu Hause kennen, von der „Kochkiste“ über das Waschgestell bis zum repräsentativen Wohnzimmer mit wilhelminischen Schrankungetümen. Zentrum der technischen Neuerungen aber war die „weiße“ Küche (ohne qualmendes Herdfeuer). Andere Küchengeräte, beheizbare Dampf- und Waschkessel oder Bügeleisen zeugen davon, wie die Industrialisierung die Haushaltsführung wesentlich erleichterte. Mit Knorr und Maggi, den ersten Halbfertigprodukten, wurde auch das Kochen leichter gemacht. Daneben sah sich die bürgerliche Hausfrau aber auch mit neuen Ansprüchen, gerade in den Bereichen Sauberkeit und Hygiene, konfrontiert. Sehr gut werden diese und andere Anforderungen in der Ausstellung durch an den Wänden reproduzierte Zitate aus Haushaltsbüchern veranschaulicht. Deutlich wird aber auch, dass die vielfältigen Arbeiten im Haushalt nicht ohne Dienstmädchen zu denken waren; dementsprechend geizten die Ratgeber nicht mit Ratschlägen zum richtigen Umgang mit dem Personal. Dankenswerter Weise kontrastiert die Schau diese Perspektive mit Auszügen aus Selbstzeugnissen von Dienstboten.
Mit der hygienischen und technisierten Haushaltsführung grenzte sich das Bürgertum übrigens von der der bäuerlich-ländlichen Familie ab, wie die Farblithografien aus Eduard Walters „Bilder zum Anschauungsunterricht für die Jugend“ von 1890 anschaulich zeigen. Abgrenzungen spielten aber auch in anderer Hinsicht ein Rolle: Die Arbeiterfamilie lebte noch lange ohne die Errungenschaften des Fortschritts. Vertiefende und weitergehende Fragestellungen thematisiert der empfehlenswerte Katalog.