Das “Tor zur Hölle” im Heiligtum von Hierapolis in der heutigen Türkei war in der Antike berühmt. Denn Opfertiere, die diese höhlenartige Kammer betraten, starben wie von Geisterhand, während die Priester seltsamerweise unbehelligt blieben. Das Rätsel ihres Überlebens haben nun Forscher aufgeklärt: Bis heute setzt eine tektonische Verwerfung unter der Kammer tödliches Kohlendioxid frei. Weil dieses aber nachts und am frühen Morgen nur bis auf Kniehöhe steigt, blieben die Priester verschont.
Das “Plutonium” im römischen Heiligtum von Hierapolis ist erst vor wenigen Jahren entdeckt worden. Es besteht aus einem mit Steinen ummauerten Eingang, der erst in einen kleinen Vorhof, dann in eine natürliche Höhle führt. Die römischen Geschichtsschreiber Strabo und Plinius beschreiben diesen Eingang als das “Tor zur Hölle”, als direkte Verbindung zur Unterwelt. Denn Opfertiere, die durch dieses Tor geführt wurden, fielen bald darauf zu Boden und starben – scheinbar durch den Atem der Hölle.
Wunder am “Tor der Hölle”
Seltsamerweise aber blieben die Eunuchen-Priester, die diese Tiere in das Plutonium führten, von diesem tödlichen Höllenatem verschont. Den Menschen der Antike erschien dies als ein Wunder und als Zeichen göttlichen Wirkens. Inzwischen jedoch ist klar, dass nicht die Götter, sondern vielmehr eine geologische Ursache hinter dem rätselhaften Tod der Opfertiere steckt: Schon vor einigen Jahren entdeckten Forscher, dass bis heute vulkanisches Kohlendioxid (CO2) aus Rissen im Boden der Tempelhöhle dringt.
Wie viel Gas im Plutonium von Hierapolis austritt und warum es den Priestern damals nicht schadete, haben nun Hardy Pfanz von der Universität Duisburg-Essen und seine Kollegen näher untersucht. Für ihre Studie maßen sie die Gaskonzentrationen in der Höhle in verschiedenen Höhen und zu verschiedenen Tageszeiten.
Erstaunlich hohe CO2-Werte bis heute
Das Ergebnis: “Erstaunlicherweise werden diese Gase bis heute in Konzentrationen freigesetzt, die Insekten, Vögel und Säugetiere töten können”, berichten die Forscher. “Die Luft, die aus der Grotte bis in den Vorraum dringt, enthält noch immer 4 bis 53 Prozent CO2 – abhängig von der Höhe über dem Boden.” Die Messungen zu verschiedenen Zeiten enthüllten zudem, dass die Verteilung des CO2 je nach Tageszeit variiert: Tagsüber, wenn die Sonne Gestein und Luft aufheizt, verteilt sich das Gas und wird dadurch verdünnt.
Nachts jedoch und am frühen Morgen bildet sich ein konzentrierter See aus CO2 in der Grotte und dem Vorraum, wie die Messungen enthüllten. Weil das Gas schwerer ist als Luft und es in der kälteren Umgebung keine aufsteigenden Warmluftströme gibt, reichert es sich knapp über dem Boden an. Am frühen Morgen steigt dadurch die CO2-Konzentration bis in etwa 40 Zentimeter Höhe so stark an, dass sie ein Tier oder einen Menschen innerhalb von einer Minute töten würde, wie Pfanz und seine Kollegen feststellten.
Auf die Höhe kam es an
Nach Ansicht der Wissenschaftler erklärt dieses Phänomen, warum die Opfertiere starben, nicht aber die Eunuchen-Priester: Wenn morgens die Opfertiere durch die “Tore der Hölle” geführt wurden, reichte der tödliche CO2-See fast bis auf Kopfhöhe der Schafe, Ziegen oder Rinder. Die Tiere wurden dadurch betäubt und ihr Kopf sank noch tiefer in die Gasansammlung. Schnell atmeten sie dadurch tödliche Konzentrationen des Gases ein.
Die Köpfe der Priester dagegen waren hoch genug, um nur noch geringen Konzentrationen von CO2 ausgesetzt zu sein. Sie konnten daher die Opfertiere begleiten, ohne selbst ohnmächtig zu werden oder zu sterben. Pfanz und seine Kollegen vermuten, dass die Priester sich damals vielleicht sogar auf Steine stellten, um noch weiter vom gefährlichen Gas entfernt zu sein. Zudem legten sie die Opferungen möglicherweise bewusst auf die Nacht oder den frühen Morgen – die Zeiten, in denen das Gas nahe dem Boden konzentriert war. “Sie wussten, dass der tödliche Atem des Höllenhunds nur bis zu einer gewissen Höhe reichte”, sagt Pflanz.
Quelle: Archaeological and Anthropological Sciences, doi: 10.1007/s12520-018-0599-5