Auf der Kanalinsel Guernsey haben Archäologen einen ebenso verblüffenden wie rätselhaften Fund gemacht: An der Küste stießen sie auf ein mittelalterliches Grab, indem statt eines Menschen das Skelett eines Delfins oder Schweinswals lag. Ein solcher Fall sei bisher aus keiner mittelalterlichen Grabstätte bekannt, sagen die Forscher. Warum dieser Meeressäuger dort begraben wurde, ist bislang unklar.
Ein mittelalterliches Grab
Eigentlich ging es den Archäologen unter Grabungsleiter Philip de Jersey darum, die Ruine eines mittelalterlichen Gebäudes vor einem Küstenabschnitt der Kanalinsel Guernsey zu erforschen. Auf der nur bei Ebbe zugänglichen Halbinsel Chapelle Dom Hue sollen Mönche im 14. Jahrhundert eine Kapelle oder einen ähnlichen religiösen Rückzugsort errichtet haben. Tatsächlich fanden die Forscher Gebäudereste und Keramik-Fragmente, die dies bestätigen.
Doch am 12. Tag der Grabung machten die Wissenschaftler eine überraschende Entdeckung: Sie fanden ein sorgfältig ausgehobenes Grab. “Das Sonderbare ist jedoch, dass dieses Grab alle Merkmale eines typischen Grabs für einen Menschen hat – wie die Gräber in mittelalterlichen Friedhöfen”, sagt de Jersey. Aber in diesem Falle lag dieses Grab völlig isoliert, die Archäologen fanden keine weiteren Spuren von Bestattungen.
Ein Meeressäuger statt eines menschlichen Toten
Noch seltsamer aber: Statt eines menschlichen Toten lagen in dem Grab die Knochen und der Schädel eines Meeressäugers – wahrscheinlich eines Delfins oder Schweinwals. “Das war eine ziemliche Überraschung, als wir dieses Meerestier darin entdeckten”, sagt de Jersey. Ein Tier in einem so sorgfältig ausgehobenen Grab aus dem Mittelalter zu finden sei extrem ungewöhnlich. “Ich kenne kaum einen ähnlichen Fall aus mittelalterliche Friedhöfen”, so der Forscher. “Ein Tier auf diese Weise zu bestatten ist bisher beispiellos.”
Warum aber bestatteten die Menschen diesen Wal auf dem winzigen Eiland? “Sie haben beträchtlichen Aufwand betrieben, um dieses Grab bis zum Felsuntergrund auszuheben”, erklärt de Jersey. “Aber warum legten sie dann diesen Delfin dort hinein, statt seine Überreste einfach ins Meer zu werfen?” Während Delfine in historischen Quellen häufig als christliches Symbol auftauchten, waren Begräbnisse dieser Meeressäuger bisher unbekannt.
Video vom Fund des rätselhaften Grabes (Guernsey Archeology)
Begraben als Essensvorrat?
Sollte sich das Skelett als Schweinswal herausstellen, dann käme möglicherweise eine ganz andere Erklärung in Frage: “Es gibt schriftliche Zeugnisse aus dem 13. und 14. Jahrhundert, in denen erwähnt wird, dass Schweinswale damals gegessen wurden”, sagt de Jersey. Möglicherweise wurde dieser Wal damals auf dem Inselchen begraben, um ihn für den späteren Verzehr zu konservieren.
“Wenn das der Fall war, dann müssen die Menschen ihn damals auf irgendeine Weise konserviert haben, beispielsweise indem sie in trockneten oder einsalzten”, mutmaßt der Archäologe. Tatsächlich könnte die Position der Knochen im Grab dafür sprechen, dass dieser Meeressäuger geschlachtet wurde. Sollte er damals eingesalzen worden sei, dann könnten sich im umgebenden Erdreich noch Spuren davon nachweisen lassen.
Ob das der Fall ist, sollen nun chemische Analysen des Bodens zeigen. Außerdem wollen die Archäologen das Skelett des Meeressäugers einer Radiokarbon-Analyse unterziehen, um sein genaues Alter festzustellen. Welcher Art das Tier angehört, soll ebenfalls genauer geklärt werden. “Wenn wir Knochen präpariert haben, werden wir dazu den Rat von Experten einholen”, sagt de Jersey.