War dies das Werk eines afrikanischen Sklaven der Spanier? Vor rund 500 Jahren hat jemand an die Wand einer Höhle der Karibikinsel Puerto Rico etwas gezeichnet, das aussieht wie ein Löwe, berichten Forscher. Es handelt sich dabei um ein ungewöhnliches Beispiel unter zahlreichen Darstellungen in den Höhlen der Insel, die sie datiert und analysiert haben. Sie stammen demnach aus der Zeit von Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. bis in die Kolonialzeit. Die Untersuchungsergebnisse beleuchten damit die Geschichte Puerto Ricos in spezieller Weise, sagen die Wissenschaftler.
Sie gehörte zu den ersten Stationen bei der Kolonialisierung der Neuen Welt: Bereits im Jahre 1493 landeten die Spanier unter Christoph Kolumbus auf der später Puerto Rico genannten Insel im Osten der Karibik. Für die Einheimischen war dies der Anfang vom Ende: Das Volk der Taíno wurde für den Bau der kolonialen Strukturen auf der Insel brutal versklavt und viele starben an den eingeschleppten Krankheiten. Durch den starken Bevölkerungsschwund benötigten die Invasoren deshalb zusätzliche und robustere Arbeitskräfte. Schon in den ersten Jahrzehnten nach der Ankunft wurden deshalb Sklaven aus Afrika nach Puerto Rico verschleppt. Aus dieser Geschichte ergibt sich auch die gemischte Abstammung der heute über drei Millionen Einwohner der Insel: Sie haben europäische, schwarzafrikanische und indianische Wurzeln.
Nach ihrer Ankunft behaupteten die Spanier, dass die Ureinwohner erst seit wenigen Jahrhunderten auf der Insel gelebt hatten. Doch Funde haben mittlerweile dokumentiert, dass die Besiedlungsgeschichte Puerto Ricos bereits weit zurückreichte. Unter anderem belegen dies künstlerische Darstellungen aus unterschiedlichen Zeiten an Wänden der zahlreichen Karsthöhlen der Insel. Es handelt sich dabei teils um Gravuren, aber auch um Zeichnungen mit organischen Farbstoffen. Bisher beruhten Datierungen dieser Felskunst allerdings nur auf indirekten Hinweisen anhand von archäologischen Funden in den Höhlen. Acosta-Colon von der University of Puerto Rico und seine Kollegen haben nun erstmals direkt die Farbstoffe einer Radiokarbondatierung unterzogen, um genauere Alters-Informationen über die Höhlenmalereien zu erhalten. Dazu gewannen sie so sparsam und schonend wie möglich 61 Materialproben von unterschiedlichen Darstellungen in elf Höhlen.
Wie die Forscher auf dem Treffen der Geological Society of America in
Pittsburgh berichten, ermöglichten die Radiokarbondatierungen eine genauere zeitliche Zuordnung bestimmter Kategorien der Darstellungen. Bei den frühesten Piktogrammen handelt es sich demnach um abstrakte, geometrische Formen, die auf ein Alter von 700 bis 400 v. Chr., datiert wurden. Dieser Befund belegt damit erneut, dass die vorkoloniale Bevölkerungsgeschichte Puerto Ricos schon weit zurückreichte, betonen die Wissenschaftler. Auf die Ära zwischen 200 und 400 n. Chr. konnte das Team zudem bestimmte stilisierte Darstellungen von menschlichen Körpern datieren. Ab der Zeit zwischen 700 und 800 n. Chr. wurden die Darstellungen von Tieren und Menschen dann noch einmal deutlich detaillierter. Bei einer Abbildung aus dieser Ära ist beispielsweise klar ein Rochen zu erkennen.
Wer hat den Löwen gezeichnet?
Wie die Untersuchungsergebnisse belegen, kamen auch noch in der Zeit der europäischen Kolonisierung Menschen in die Höhlen und hinterließen Zeichnungen. Neben der Altersbestimmung wird dies an den Motiven deutlich: Es wurden unter anderem Schiffe und Pferde abgebildet. Zu dieser Kategorie zählt offenbar auch die erstaunlich wirkende Tier-Darstellung, die das Team besonders hervorhebt. Sie ist der Datierung zufolge um 1500 n. Chr. entstanden und damit in der frühen Kolonialzeit. Bereits auf den ersten Blick erscheint offensichtlich, dass die Zeichnung einen Löwen mit Mähne darstellt.
„Wir haben hier dieses Bild, das wie ein Löwe aussieht – aber in Puerto Rico gibt es diese Tiere ja bekanntlich nicht“, sagt Acosta-Colon. Somit stellte sich die Frage, wer dieses Bild vor etwa 500 Jahren gezeichnet haben könnte. Vermutlich war es jemand, der ein recht klares Bild dieser Tiere im Kopf hatte, meinen die Wissenschaftler. Als plausibelste Erklärung kommt Acosta-Colon zufolge somit ein Sklave infrage, den die Spanier aus Schwarzafrika auf die Insel gebracht hatten. Er betont zwar, dass diese Interpretation spekulativ ist, doch sie passt in den Kontext: „Die Entstehungszeit dieser Darstellung liegt bei etwa 1500 n. Chr. Dies belegt meiner Meinung nach, dass es sich um ein Sklavenkunstwerk in einer Höhle Puerto Ricos handeln könnte“, so der Wissenschaftler.
Acosta-Colon und seine Kollegen wollen sich der Erforschung der Höhlenkunst Puerto Ricos nun auch weiter widmen. Denn bisher haben sie erst elf der mehr als 300 Höhlen und Felsüberhänge mit Spuren von Felsmalereien untersucht. Sie hoffen vor allem, dass sie durch ihre weiteren Nachforschungen die Besiedlungsgeschichte der Insel auch noch tiefer zurückverfolgen können als bisher.
Quelle: Geological Society of America