In den 1940er Jahren platzierte die Sowjetunion mehrere Spione im streng geheimen US-Atomprogramm, dem Manhattan Project. Drei dieser Spione sind seit längerem bekannt, doch es gab noch einen vierten, wie nun eine Studie enthüllt. Auf Basis von inzwischen freigegebenen FBI-Dokumenten und KGB- Berichten identifiziert sie den Ingenieur Oscar Seborer als den vierten Sowjet-Spion in Los Alamos. Von 1944 bis 1946 übermittelte er streng geheime Informationen an das KGB.
In den 1940er Jahren setzten die USA alles daran, als erste eine Atombombe zu entwickeln – vor dem Uranprojekt der Nazis. Zu diesem Zweck arbeiten zeitweilig mehr als 150.000 Menschen im Manhattan-Projekt, die meisten davon in der geheimen Forschungseinrichtung von Los Alamos in der Wüste New Mexicos. 1945 entstanden hier die Atombomben, die im August von US-Bombern auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, später entwickelten die Forscher des Manhattan-Projekts auch die Wasserstoffbombe.
Spurensuche in alten FBI-Dokumenten
An diesen streng geheimen Forschungen hatte jedoch auch die Sowjetunion ein dringendes Interesse. Zwar war sie im Zweiten Weltkrieg offiziell ein Alliierter der USA, doch diese weigerten sich strikt, ihre Atomgeheimnisse zu teilen – der Kalte Krieg war schon damals absehbar. Um dennoch Informationen über den Bau der Bombe zu bekommen, schleuste die Sowjetunion gezielt Spione in das Manhattan-Projekt ein oder überzeugte bereits im US-Atomprogramm aktive Wissenschaftler, geheime Daten weiterzugeben. Zwei dieser Spione, Klaus Fuchs und David Greenglass wurden noch in den 1950er Jahren enttarnt, die Identität eines dritten für die Sowjets spionierenden Physikers, Theodore Hall, entdeckte man erst 1995, als 40 Jahre alte Geheimdienst-Mitschnitte freigegeben wurden.
Doch wie die US-Historiker John Haynes und Harvey Klehr jetzt in einem Beitrag der “Studies in Intelligence” der CIA berichten, waren diese drei nicht die einzigen Sowjetspione in Los Alamos – es gab noch einen vierten. “Sieben Jahrzehnte lang blieb die Identität dieses Spions in den Untersuchungsakten des FBI vergraben”, erklären die beiden Forscher. Doch 2011 wurden zehntausende dieser Akten aus der Geheimhaltung freigegeben und das gab Klehr und Jaynes die Möglichkeit, auf Spurensuche zu gehen. Weitere Hinweise fanden sie in Akten und Berichten des KGB, die ein Ex-KGB-Agent im Jahr 2009 zugänglich machte.
Oscar Seborer – nach gut 70 Jahren enttarnt
Bei der Auswertung der Dokumente stießen Klehr und Haynes auf den Namen Oscar Seborer, einen jungen Ingenieur, der von 1944 bis 1946 in Los Alamos als Techniker am US-Atomprogramm beschäftigt war – ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Erst nachdem er von Los Alamos an eine Forschungsstation der US-Marine gewechselt hatte, weckte seine Bekanntschaft mit amerikanischen Kommunisten das Misstrauen seiner Vorgesetzten und sie empfahlen mehrfach, ihm seine Sicherheitsfreigabe zu entziehen. Für eine Spion hielt man ihn aber selbst dann noch nicht, wie Klehr und Haynes berichten. Selbst, als Seborer 1954 mit einem großen Teil seiner Familie die USA in Richtung Europa verließ, blieb er damit weitgehend unter dem Radar.
Erst im Jahr 1955 erhielten die US-Behörden erste Hinweise von Jack Childs, einem in kommunistische Kreise eingeschleusten FBI-Informanten. Dieser erfuhr bei einem Gespräch mit dem Kommunisten Isidore Needleman, dass die Familie Seborer inzwischen in Moskau war und dass Oscar Seborer geheime Daten an die Sowjets weitergegeben hatte. “Hör gut zu: Oscar war in New Mexico – Du weißt schon was ich meine”, sagte Needleman den FBI-Dokumenten zufolge. “Obwohl Needleman nie die Worte ‘Atombombe’ oder ‘Los Alamos’ verwendete, war die Implikation klar”, sagen Klehr und Haynes. Zudem soll Needleman auf einem Zettel notiert haben, dass Oscar den Sowjets “die Formel für die A-Bombe übergab”, wie aus den Dokumenten hervorgeht. Diesen Zettel habe Needleman dann aber sofort verbrannt.
Aus den KGB-Dokumenten geht zudem hervor, dass Oscar Seborer bei den Sowjets unter dem Codenamen “Godsend” geführt wurde. “Den Akten zufolge war Godsend in Los Alamos und lieferte Informationen über ‘Enormous’ – die KGB-Bezeichnung für das Atombombenprojekt”, berichten Klehr und Haynes. Welche Informationen dies im Einzelnen waren, ist allerdings unbekannt. Man weiß aber, dass Seborer in Los Alamos an der Entwicklung des Auslösers für die Plutoniumbombe beteiligt war und dass er Zugang zu sensiblem Material hatte. Verräterisch auch: Oscar Seborer erhielt im Jahr 1964 von den sowjetischen Behörden den Orden des Roten Sterns. “Sein Beitrag muss daher von einigem Wert gewesen sein”, so die Historiker. Seborer starb am 23. April 2015 in Moskau – seine endgültige Enttarnung hat er damit nicht mehr erlebt.
Quelle: CIA, Studies in Intelligence, Vol. 63 No 3