TU-Professor legt die Entwicklung des Mythos seit dem frühen Mittelalter dar „Löwenherz“ nannten ihn schon die Zeitgenossen wegen seiner kriegerischen Heldentaten. Aber als König Richard 1189 den englischen Thron bestieg, betätigte er sich zunächst auf einem ganz anderen Gebiet, als Ausgräber. In den Sümpfen um Kloster Glastonbury im Südwesten Englands ließ er nach Zeugnissen eines sagenhaften Vorgängers auf dem Königsthron und Urvaters seiner Dynastie suchen. Und man wurde fündig. Auf einem alten Friedhof kamen Gebeine ans Tageslicht, von dem „berühmten König Artus“. So versicherte es jedenfalls die lateinische Inschrift auf einem Kreuz, das dem Grab – ganz wie bestellt – beigelegt war. Die Geschichte steht im Mittelpunkt einer Studie über die Entwicklung des Artus-Mythos seit dem frühen Mittelalter, die Jürgen Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie an der Technischen Universität Berlin, jetzt vorgelegt hat. Ein Schelm, wer Richards Umgang mit der Geschichte an den Maßstäben wissenschaftlicher Redlichkeit messen wollte. Es ging dem König darum, seiner Herrschaft eine unangreifbare Legitimation zu verschaffen. Und was passte da besser als das Gebein dieses berühmtesten aller englischen Könige? Artus hatte wirklich gelebt; das Grab mit der Inschrift war geeignet, alle Zweifler verstummen zu lassen. König Artus und die Ritter seiner Tafelrunde – wahr oder erfunden? Viel klüger als die Zeitgenossen des Richard Löwenherz seien wir heute auch nicht, stellt Wolf als Fazit seiner Studie fest. Allerdings greifen die pseudohistorischen Phantasien heutzutage nicht mehr ganz so weit aus, wie jene im hohen Mittelalter. Im frühen 12. Jahrhundert behauptete der Geschichtsschreiber Geoffrey of Monmouth, Nachkommen der alten Trojaner hätten auf dem Umweg über Rom nach Britannien gefunden und an der Themse ihr neues Troja gegründet. Kein Wunder, dass sich am Königshof das Bedürfnis regte, etwas materiell Greifbares präsentieren zu können. Aber natürlich wäre es zu kurz gegriffen, betont Wolf, wollte man die Faszination, die Artus und seine Tafelrunde heute wie im Mittelalter ausüben, auf solche Interessen reduzieren. Im Artushof finden vor allem jugendliche Leserinnen und Leser bis heute ihr ideales Selbstbild widergespiegelt, und die spannend erzählten Geschichten bereiten auch ganz einfach Vergnügen. „Wenn ich euch eine Geschichte vom Hof des Königs Artus erzählen will, da macht ihr die Ohren auf und lauscht begierig“, ließ Caesarius von Heisterbach in den 1220er Jahren einen Abt klagen, „aber wenn ich euch von Gott reden will, dann schlaft ihr!“ Auch heute noch wollen viele Leser oder Zuschauer wissen, wie es „wirklich“ gewesen ist, und das war schon im Mittelalter nicht anders. Die Geschichtsepen etwa des französischen „Klassikers“ Chrétien de Troyes im späten 12. Jahrhundert wurden heftig kritisiert, weil manche Leser darin zu viel Dichtung und zu wenig Geschichte zu finden meinten. Natürlich versicherten die Bearbeiter immer wieder gern, ihre Fassung sei nun endgültig die „richtige“. Kein Mensch könne „vernünftigerweise leugnen, dass es einen König dieses Landes namens Artus gegeben hat“, schrieb um 1470 Thomas Malory in „Artus’ Tod’, einer enzyklopädischen Zusammenfassung des gesamten Sagenkreises. Schließlich sei in Glastonbury sein Grabmal zu sehen, in Westminster ein Abdruck seines Siegels, in Winchester die Runde Tafel „und vieles andere mehr“. Moderne Wissenschaftler, berichtet Wolf, haben solche Behauptungen penibel überprüft. So ergaben dendrochronologische Untersuchungen, dass das Holz der Tafelrunde nicht im 5. oder 6., sondern erst im 13. Jahrhundert geschlagen wurde – vermutlich im Auftrag von König Heinrich III., der seine eigene Herrschaft durch das sichtbare Relikt des Mythos stützen wollte. Skeptische Zweifel, wie sie auch im Mittelalter immer wieder vorgebracht wurden. Aber ein Großteil der Leser ließ sich damals wie heute nicht irritieren. 1493 vermerkte die „Schedelsche Weltchronik“, die große Geschichtsenzyklopädie des deutschen Spätmittelalters, in aller Selbstverständlichkeit, Artus sei „der Britannier König gewesen“. Heute würde man das, was der Geschichtsschreiber Hartmann Schedel da bot, „Infotainment“ nennen, eine Mischung von Information und Entertainment. Oft ging oder geht es nicht nur um Information, sondern auch um praktische Orientierung. Wahrscheinlich, meint der TU-Professor, machte sich bereits Heinrich VII. Tudor, als er 1485 die Herrschaft usurpierte, eine alte Prophezeiung aus dem Sagenkreis um Artus zu nutze: Der König werde dereinst wiederkommen und erneut den Thron besteigen. Gerade damals hatte die Inschrift auf dem Bleikreuz, das Richard Löwenherz „gefunden“ hatte, bei den zeitgenössischen Literaten, zum Beispiel Malory, eine leicht erweiterte Version erhalten, mit der sich auch Veränderungen legitimieren ließen. Statt „Hier liegt der berühmte König Artus“ hieß es nun „Hier liegt Artus, einst und zukünftig König“ – eine magisch klingende Formel, die bei Lesern und Filmzuschauern bis heute ihre Zauberkraft behauptet.
Die franziskanischen Orden in der Neuzeit
König Artus zwischen Wunsch und WahrheitQuelle: Josef Tutsch
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