Um das Thema Sport hat die Geschichtsschreibung lange Zeit einen großen Bogen gemacht. Dies gilt insbesondere für Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte, die sich lange allzu einseitig mit den geistesgeschichtlichen Errungenschaften des deutschen Judentums auseinandergesetzt haben, nicht aber das sportliche Wirken jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in der deutschen Geschichte, insbesondere in der NS-Zeit, thematisiert haben.
Das Schicksal jüdischer Sportvereine in der NS-Zeit untersucht nun ein deutsch-israelisches Forschungsprojekt in Hannover und Jerusalem unter der Leitung von Prof. Lorenz Peiffer (Institut für Sportwissenschaft, Leibniz Universität Hannover) und Prof. Moshe Zimmermann (Koebner Insitut, Hebrew University Jerusalem).
In den deutschen Turn- und Sportvereinen wurden jüdische Mitglieder nur wenige Wochen nach der NS-Machtübernahme 1933 fast flächendeckend ausgeschlossen. Mit Rücksicht auf die bevorstehenden Olympischen Spiele in Berlin gestatteten die Nazis jüdischen Sportlern jedoch zunächst den Auf- bzw. Ausbau eigener jüdischer Sportvereine, die bis 1933 in jüdischen Kreisen lediglich eine Nebenrolle gespielt hatten.
Ausgerechnet im Schatten des immer totalitärer um sich greifenden Nationalsozialismus erlebten diese Vereine nun eine massive Ausdehnung: Innerhalb weniger Jahre stieg ihre Mitgliederzahl auf 40 000 Aktive, die zu ungefähr gleichen Teilen dem zionistischen „Makkabi“ oder dem eher durch Assimilation geprägten „Schild-Sportbund“ angeschlossen waren. Bis zu ihrer Zerschlagung infolge der Pogrome des 9. November 1938 zählten die Sportvereine zu den größten jüdischen Organisationen in Deutschland überhaupt.
Neben diesem rein numerischen Zuwachs steigerte sich auch der Stellenwert des Sports im Sozial- und Alltagsleben der Juden: Sportplätze wurden zu zentralen Treffpunkten des Gemeindelebens, die – wenn auch in begrenzter Weise – Freiräume zur Selbstentfaltung und Erfahrung von Solidarität boten. Abseits des sportlichen Geschehens wurden die Vereine immer mehr zu einer sozialen Heimat für ihre Mitglieder.
Ziel der in Hannover im Auftrag des Landes Niedersachsen tätigen Arbeitsgruppe ist es, die Geschichte jüdischer Vereine nach 1933 auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen zu rekonstruieren. Allein in dieser ländlich geprägten Region haben die Forscher nicht weniger als 29 jüdische Sportvereine nachweisen können. Man musste sich vor allem auf die Analyse kleiner Sportmeldungen aus jüdischen Zeitungen verlassen, da klassische Primärquellen wie etwa Vereinsakten infolge des Holocaust fast vollständig verloren gegangen sind.
Neben diesen Forschungen konzentrieren sich die Hannoveraner auf den Fußballsport. Im Auftrag der Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes rekonstruieren sie Daten zu den über 100 jüdischen Fußballvereinen, die zwischen 1933 und 1938 eigene jüdisch-deutsche Meisterschaften ausgetragen haben. Obwohl der Fußball eindeutig den Schwerpunkt des jüdischen Sportlebens bildete, ist bisher unklar, wo und wie lange solche Teams existierten und welche Bedeutung sie im jüdischen Leben besaßen.