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Jagdgebiete im Spiegel von Zahnschmelz

Neandertaler & Moderner Mensch

Jagdgebiete im Spiegel von Zahnschmelz
Einer der untersuchten Neandertaler-Zähne aus verschiedenen Blickwinkeln. © João Zilhão

Wie weit kamen tierische und menschliche Wesen einst in ihrem Lebensraum herum? Einblicke in diese Frage können nun hochauflösender Untersuchungen von Strontiumisotopen-Signaturen in den Schichten von Zahnfunden liefern, berichten Forscher. Sie konnten zeigen, wie Neandertaler, ein moderner Mensch und bestimmte Tiere einst die Region rund um ein Höhlensystem in Portugal nutzten. Es zeichnet sich ab, dass die Neandertaler dort eher weiträumig unterwegs waren, während die modernen Menschen später nur auf einem halb so großen Gebiet jagten.

Schon seit einiger Zeit werden in der Archäologie und Anthropologie die Signaturen von Strontiumisotopen als eine räumliche Hinweisquelle verwendet. Dabei macht man sich zunutze, dass sich die Gehalte und Verhältnisse von verschiedenen Isotopen des Elements in Gesteinen von Ort zu Ort unterscheiden. Durch die Verwitterung des Materials findet sich diese Signatur auch in den Pflanzen eines Bereichs wieder und gelangt dann über die Nahrungskette in die Körpergewebe von Tier und Mensch. Unter anderem findet sich der ortsspezifische Fingerabdruck deshalb auch im Zahnmaterial.

Bisher wurden Strontiumisotopen-Analysen jedoch meist nur verwendet, um die Orte zu identifizieren, an denen Menschen in ihrer Kindheit gelebt haben. So ließ sich etwa ihre Zuwanderung in einen bestimmten Gebiet sowie ihre eigentliche Herkunft aufzuzeigen. Bisher fehlte es bei der Technik allerdings an Auflösung, um Aufenthaltstorte im kleinräumigen Bereich und über kurze Zeiträume zu erkennen. Inwieweit dies doch möglich ist, haben nun die Forscher um Bethan Linscott von der University of Southampton ausgelotet. Sie haben dazu die Technik der sogenannten Laserablation angewendet, bei der gepulste Laserstrahlen punktgenau Probematerial mobilisieren können. Angewendet haben die Forscher dieses Verfahren nun, um Probematerial aus den feinen Wachstumssichten des Schmelzes von fossilen Zähnen zu gewinnen.

Kleinräumiger Mobilität auf der Spur

Zum Einsatz kam die Methode an Funden aus dem Almonda-Höhlensystem bei Torres Novas in Portugal. Es handelte sich um zwei Neandertaler-Zähne, die etwa 95.000 Jahre alt sind, sowie um einen Zahn von einem modernen Menschen, der vor etwa 13.000 Jahren, in der sogenannten Magdalénien-Zeit, dort gelebt hat. Die Wissenschaftler untersuchten außerdem Zähne von Tieren, die in dem Höhlensystem gefunden wurden. Wie sie erklären, weist die umliegende Region eine ausgesprochen hochaufgelöste Strukturierung bei den Strontiumisotopen-Signaturen auf. Das heißt: Die geologischen „Fingerabdrücke“ können sich sogar schon bei Orten unterscheiden, die nur wenige Kilometer auseinanderliegen.

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Wie die Forscher berichten, ließen sich durch den Ansatz tatsächlich nutzbare Daten gewinnen. Linscott erklärt dazu: “Der Zahnschmelz bildet sich schrittweise und stellt somit eine Zeitreihe dar, die den geologischen Ursprung der von einem Individuum aufgenommenen Nahrung aufzeichnet. Mithilfe der Laserablation konnten wir nun die Veränderung der Strontiumisotope in den zwei oder drei Jahren messen, die der Zahnschmelz brauchte, um sich zu bilden. Durch den Vergleich der Strontiumisotope in den Zähnen mit den Sedimenten, die an verschiedenen Orten in der Region gesammelt wurden, konnten wir die Bewegungen der untersuchten Lebewesen kartieren. Die Geologie in der Umgebung der Almonda-Höhlen ist dabei so variabel, dass wir Veränderungen von nur wenigen Kilometern feststellen konnten”, so die Wissenschaftlerin.

Unterschiede bei der Lebensraum-Nutzung

Was die vier untersuchten, möglichen Beutetierarten der menschlichen Wesen betrifft, zeichnete sich in den Analyseergebnissen ab: Steinbock, Rothirsch, Pferd und eine Nashornart waren entweder ansässig oder kamen saisonal in geringer Entfernung von den Karststandorten in Almonda vor. In den sequenziellen Schichten bei den menschlichen Wesen zeichneten sich ebenfalls Hinweise darauf ab, an welchen Orten sie sich in der Region zeitweilig aufgehalten hatten, berichten die Forscher. „Auf der Grundlage der-Kartierung des Untersuchungsgebiets kommen wir zu dem Schluss, dass die Neandertaler in einem Gebiet von etwa 600 Quadratkilometer umherzogen“, schreibt das Team.

Im Gegensatz dazu ernährte sich das Individuum aus dem Magdalénien in erster Linie von Ressourcen, die hauptsächlich aus zwei geologischen Bereichen entlang eines etwa 20 Kilometer langen Abschnitts des rechten Ufers des Almonda-Flusses stammten. Damit zeichnet sich im Vergleich zu den Neandertalern ein deutlich kleinerer Einzugsbereich von 300 Quadratkilometern ab. Die Ergebnisse belegen damit nun grundsätzlich, dass die Methode das Potenzial besitzt, Einblicke in die Nutzung des Lebensraums prähistorischer Wesen zu liefern, sagen die Wissenschaftler.

Über die Ursache des nun festgestellten Unterschieds in der Raumnutzung lässt sich allerdings nur spekulieren. Dazu sagt Senior-Autor João Zilhão von der Universität Lissabon: “Der Unterschied in der Größe des Territoriums zwischen Neandertalern und Magdalenen könnte mit der Bevölkerungsdichte zusammengehangen haben: Bei einer relativ geringen Bevölkerungsdichte konnten die Neandertaler weiter umherziehen, um große Beutetiere wie Pferde zu jagen, ohne auf rivalisierende Gruppen zu stoßen. In der Magdalénien-Periode verringerte sich das verfügbare Territorium durch die zunehmende Bevölkerungsdichte, und menschliche Gruppen stiegen in der Nahrungskette nach unten und besetzten kleinere Gebiete, in denen sie hauptsächlich Kaninchen jagten und saisonal Fische fingen”, vermutet der Forscher.

Quelle: University of Southampton, Fachartikel: Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2204501120

http://dx.doi.org/10.1073/pnas.2204501120

BU: Einer der untersuchten Neandertaler-Zähne aus verschiedenen Blickwinkeln. © João Zilhão

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