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Im Tempel der azurblauen Wolken

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Im Tempel der azurblauen Wolken

Der Architekt und China-Forscher Ernst Boerschmann (1873–1949) dokumentierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erstmals die Tempel- und Pagoden-Baukunst Chinas wissenschaftlich. Später wurde er vergessen. Heute bekommen seine einzigartigen Dokumentationen gerade in China neue Bedeutung, denn viele der beschriebenen Bauwerke sind verschwunden oder wurden stark verändert. Die wissenschaftliche Lebensleistung Boerschmanns wird nun in einem DFG-geförderten Projekt in der Forschungsstelle „Habitat Unit“ im Institut für Architektur der TU Berlin unter Leitung von Dr.-Ing. Eduard Kögel untersucht. Ernst Boerschmann vertrat zwischen 1924 und 1944 an der Technischen Hochschule Charlottenburg, der Vorgängereinrichtung der TU Berlin, das Spezialgebiet Chinesische Architektur. Er unterrichtete auch an der heutigen Humboldt-Universität und wurde später nach dem Krieg noch im hohen Alter an die Universität in Hamburg berufen. Der Forscher besuchte China dreimal und verbrachte insgesamt fast sieben Jahre dort. Seine erste Reise, 1902 bis 1904, unternahm er als Architekt bei der Ostasiatischen Besatzungsbrigade. Damals war er in Peking, Tianjin und Qingdao stationiert, um Entwürfe für die Bedürfnisse der Truppen zu betreuen. Ein Treffen mit dem Jesuiten und Indologen Joseph Dahlmann wurde 1904 zum Ausgangspunkt für eine lebenslange Suche nach einem Verständnis der chinesischen Architektur. Er versuchte dabei, eine Verbindung zwischen Religion und Architektur nachzuweisen. Bevor Boerschmann 1904 China verließ, verbrachte er einige Wochen im „Tempel der Azurblauen Wolken“ (Biyunsi) nahe Peking. Erstmals dokumentierte er die als besonders exotisch empfundene Baukunst dieses Tempels wissenschaftlich. Mit Hilfe von Dahlmann und Karl Bachem, einem Abgeordneten der Zentrumspartei, stellte der Reichstag über das Auswärtige Amt Mittel für eine dreijährige Forschungsreise zur Verfügung. Ernst Boerschmann verließ Berlin im Herbst 1906 und reiste über die USA und Japan nach China. So vorbereitet kam er als Attaché an die deutsche Legation in Peking. In den folgenden drei Jahren unternahm er Reisen bis nach Chengdu in Sichuan und in den Süden bis Guangzhou. Während dieser Reisen besuchte er sechs der neun heiligen Berge des chinesischen Kaiserreiches. Fünf der Berge wurden von den Taoisten verehrt, vier von den Buddhisten. Boerschmann konnte jeweils drei Berge besuchen und einige Bauanlagen in ihrem Umfeld dokumentieren. Diese Tempel waren jedoch oft nicht sehr alt, und so traf ihn der Vorwurf, nicht systematisch im Sinne einer historischen Bauforschung vorzugehen. Für ihn jedoch war es egal, wo die Bauforschung ansetzte, da bislang keine wissenschaftlichen Dokumentationen über die chinesische Baukunst vorlagen. Boerschmanns große Sammlung sollte später als Grundlage einer Klassifikation dienen. Trotz Weltkrieg und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Zwanzigerjahren konnte er bis 1931 sieben großformatige Bücher publizieren, in denen er die Aufnahmen seiner Feldforschungen dokumentierte. Über dreihundert Tempel und zweihundert Pagoden wurden so veröffentlicht. Auf einer weiteren Reise zwischen 1933 und 1935 besuchte Boerschmann die drei heiligen Berge, die er noch nicht untersucht hatte. Das Ergebnis floss vor allem in das Manuskript seines zweiten Bandes über Pagoden ein, das Anfang der Vierzigerjahre druckfertig vorlag. Der Zweite Weltkrieg und die wirtschaftliche Situation der Nachkriegszeit verhinderten jedoch die Drucklegung des Werkes.

Bis heute ist Ernst Boerschmann in China relativ unbekannt, da nur 1923 ein Fotobuch in englischer Sprache erschien. Die anderen Publikationen waren in Deutsch, und die in den Dreißigerjahren in China einsetzende Bauforschung verwarf ohnehin die bis dahin von Ausländern erbrachten Leistungen. Die Idee des Nationalstaates und damit einer nationalen Architekturgeschichtsschreibung blieb auch nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 1949 erhalten. Heute bekommt Ernst Boerschmann neue Relevanz in China, da Restauration und Rekonstruktion verschwundener Bauten im Kontext von Tourismus und Identitätsbildung neue Anhänger gewinnen. Viele der von ihm untersuchten Bauten verschwanden oder wurden im Laufe des letzten Jahrhunderts entscheidend verändert. So vermag das Vermächtnis von Ernst Boerschmann auch heute noch Impulse in der chinesischen Bauforschung zu setzen.

Deutsch-Chinesisches Kolloquium zur Denkmalpflege am 5. September 2011 Einen Beitrag über die Dokumentationen des Architekturhistorikers Ernst Boerschmann über die Nanjinger Stadtmauer aus dem frühen 20. Jahrhundert wird Dr.-Ing. Eduard Kögel auf einem deutsch-chinesischen Kolloquium halten, das am Montag, 5. September 2011 an der China-Arbeitsstelle der TU Berlin stattfindet. Zeit: 14 – 19 Uhr. Thema: „Stadtmauern: Chance der Stadterneuerung und Objekt der Denkmalpflege: Erfahrungen in China und Mitteleuropa“.

Quelle: TU Berlin
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