Im Mittelalter gehörten Verliese und Kerker zur Grundausstattung der meisten Burgen – auch bei der Burg Questenberg im Südharz. Dass im Untergeschoss ihres Bergfrieds tatsächlich einst Menschen eingesperrt waren, belegen zahlreiche Ritzzeichnungen an der Innenwand des Turmkellers. Neueren Untersuchungen zufolge umfassen diese Graffiti aus dem Spätmittelalter sowohl Alltagsobjekte und Werkzeuge der damaligen Zeit als auch christliche und magische Symbole.
Burgen dienten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht nur als Demonstrationen der Macht und strategisch platzierte Verteidigungsanlagen. Die in ihnen lebenden Adeligen setzen ihre Rechte und Ansprüche in ihrem Herrschaftsgebiet auch mit Waffengewalt durch. Das Einkerkern von Feinden, aber auch unbotsamen Untertanen war daher eher die Regel als die Ausnahme. Sogar die Verschleppung von Menschen zum Zwecke der Lösegelderpressung bildete im späten Mittelalter eine durchaus gängige Erwerbsquelle. Kein Wunder daher, dass Verliese und Kerker in den meisten Burgen zur Grundausstattung gehörten.
Eine mittelalterliche Burg und ihre Überreste
Zu diesen Burgen gehörte auch die Burg Questenberg bei Sangerhausen im Südharz. Diese Höhenburg wurde vermutlich im mittleren 13. Jahrhundert von den Grafen von Beichlingen-Rothenburg auf dem Gipfel eines rund 280 Meter hohen Hügels über dem Dorf Questenberg errichtet. Sie bestand einst aus einer länglichen Kernburg mit Bergfried und einigen Nebengebäuden aus Kalkstein sowie einer unterhalb der Hauptburg gelegenen, mit Mauern befestigten Vorburg. Dem Befestigungskomplex vorgelagert war eine Bergterasse, auf der einst weitere Nebengebäude in Form von Fachwerkbauten standen. Erhalten geblieben sind von diesem jahrhundertelang genutzten Bau heute nur noch die Ruinen der Hauptburg und der Stumpf des Bergfrieds.
Dieser 8,80 Meter breite, runde Turm diente einst der Verteidigung und Befestigung der Burg an der Nordwestseite. Im Untergeschoss dieses Turmes lag einst der Kerker der Burg, wie Felix Biermann vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt erklärt: “Dass diese ungemütlichen Orte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit tatsächlich zu solchem Zweck genutzt wurden, belegen zeitgenössische Schrift-, seltener auch Bildzeugnisse”, so der Historiker. Auch Namen wie Faul-, Hunger- oder Diebsturm verweisen auf diesen Zweck. Der Nachweis, dass diese Turm-Untergeschosse tatsächlich als Burgverlies dienten, ist jedoch nicht immer einfach – und in vielen Fällen umstritten.
Gefangenen-Graffiti im Bergfried-Keller
In der Questenburg gibt es jedoch einen klaren Beleg für die Nutzung des Bergfried-Kellers als Verlies: “Zu den raren materiellen Zeugnissen für die entsprechende Verwendung der besonders drakonisch erscheinenden Turmverliese zählen Einritzungen an den Wänden dieser Räume, die dort eingesperrten Menschen zuzuschreiben sind”, erklärt der Archäologe. Und genau solche eingeritzten Graffiti wurden im Untergeschoss des Burgturms gefunden. In die weichen Kalksteinquader der inneren Turmwand sind 60 verschiedene Ritzbilder eingekerbt. “Die Motive wurden sehr kräftig eingeritzt, vielleicht mit einem Nagel, einem Messer, einem meißelartigen Gerät oder auch nur einem spitzen Stein”, berichtet Biermann.
“Es kann schwerlich Zweifel daran bestehen, dass die Bilder im späten Mittelalter oder in der frühesten Neuzeit entstanden sind”, berichtet Biermann. Er datiert ihre Entstehung auf das 15. oder beginnende 16. Jahrhundert. Dafür sprechen der Zustand der Graffiti, aber auch ihr Inhalt. Denn die Ritzbilder zeigen verschiedene Alltagsobjekte, Werkzeuge und landwirtschaftliche Geräte, die zu jener Zeit gebräuchlich waren – beispielsweise Hacken und Pflüge, Pferdestriegel, Hammer und Amboss sowie ein Vorhängeschloss samt Schlüssel. Zu den eingeritzten Motiven gehören aber auch geometrische Formen und christliche, heraldische und magische Symbole wie Kreuze, Wappen und einige Pentagramme. “Diese Symbole sind mit vielerlei Schutz- und Abwehrzauber verknüpft und künden sicherlich von Hoffnungen und Ängsten der hier inhaftierten Personen”, schreibt der Forscher.
Der Stil der Graffiti spricht zudem dafür, dass der größte Teil von ihnen von nur einer Person angefertigt wurde, einige wenige stammen wahrscheinlich von einem zweiten und dritten Gefangenen, wie Biermann berichtet. Auffallend ist zudem, dass alle Ritzbilder erst 50 Zentimeter über der heutigen Sohle des Turms einsetzen, weiter unten fehlen diese Graffiti. “Da nicht eine einzige Ritzung tiefer angebracht wurde, dürften die unteren Partien damals durch eine Auffüllung bedeckt gewesen sein – hier kann man an Schutt, bautechnisch notwendige Einplanierung oder Unrat wie Fäkalien, Nahrungsreste, Stroh und entsprechende Zerfallsprodukte denken”, schreibt der Archäologe.
Quelle: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte; Fachartikel: Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte, doi: 10.11588/jsmv.2023.1.100718