Fast zweieinhalb Tausend Jahre alt und noch immer leuchten seine Farben: Welches Geheimnis hinter der Brillanz des ältesten bekannten Knüpfteppichs der Welt steckt, haben Forscher nun aufgedeckt. Die Wolle wurde demnach vor dem Färben durch eine Behandlung mit einem Hefe-Gebräu fermentiert, geht aus den Untersuchungen mittels Röntgenfluoreszenzmikroskopie hervor. Wie die Forscher erklären, können durch die auch heute noch praktizierte Vorbehandlung anschließend Farbstoffe tiefer in die Fasern eindringen, wodurch sie weniger ausbleichen. Diesen Effekt machten sich Teppichhersteller also schon vor mindestens 2400 Jahren zunutze, verdeutlicht die Untersuchung.
Er ist ein Prunkstück des Eremitage-Museums in St. Petersburg: Der sogenannte Pazyryk-Teppich gilt als ein besonders schönes Beispiel zentralasiatischer Handwerkskunst der Eisenzeit. Er wurde 1947 in einem Kurgan-Grab im Altai-Gebirge entdeckt und auf die Zeit um 400 v Chr. datiert. Der aus Schurwolle hergestellte Teppich besitzt neben seinem Alter eine weitere spannende Eigenschaft: Obwohl er fast zweieinhalb Jahrtausende vergraben lag, scheint die Leuchtkraft seiner roten, gelben und blauen Farben kaum verblasst zu sein. Welche Herstellungstechnik dies ermöglicht hat, war bisher unklar.
Alte und neue Fasern im Visier
Im Rahmen ihrer Studie sind nun die Forscher um Andreas Späth von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg dem Verdacht nachgegangen, dass eine Fermentation der Farbbeständigkeit zugrunde liegt. Dieses Verfahren setzen auch heute noch einige traditionelle Teppichhersteller in Anatolien ein. Bisher konnten die Forscher die Fermentations-Technik bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Dabei wird Wolle vor dem Färben drei Wochen lang in einer Suspension gelagert, die Hefepilze enthält. Die Behandlung führt zu einer Veränderung der Oberflächenstrukturen der Wolle, was sich günstig auf die anschließende Farbaufnahme auswirkt. Das Verfahren wird allerdings nur von versierten Herstellern angewendet, denn bei Fehlern kann es leicht zu zerstörerischen Fäulnisprozessen kommen.
Bei den Untersuchungen verglichen die Forscher nun nach dem traditionellen Verfahren fermentierte und anschließend gefärbte Wollfasern mit Proben des Pazyryk-Teppichs, die vom Eremitage-Museum zur Verfügung gestellt wurden. Sie analysierten dabei die Faserstrukturen sowie die Verteilung von Pigmenten entlang des Querschnitts der Wollfasern mit dem Röntgenmikroskop „PHOENIX“ vom Paul-Scherrer-Institut im schweizerischen Villigen. Im Fokus standen hauptsächlich rote Wollfasern, da das Pigment „Türkischrot“ in Zentralasien und im Nahen Osten seit Jahrhunderten verwendet wird, um einen charakteristischen roten Farbton zu erzielen. Es handelt sich dabei um einen metallorganischen Komplex aus Alizarin, der aus den Wurzeln des Färberkrapps gewonnen wird, und Aluminium.
Fermentierte Wolle zeichnet sich ab
Wie die Forscher berichten, ist frisch fermentierte Wolle in den Aufnahmen deutlich an einem charakteristischen Aufstellen der äußersten Schuppenschicht zu erkennen. Der Fermentationsprozess erhöht auf diese Weise die Diffusion der Färbepigmente zum Zentrum der Wollfasern, was zu deutlich brillanteren und beständigeren Farben führt, erklären die Wissenschaftler. Die aufgestellte Schuppenschicht kann im Laufe der Zeit allerdings abfallen. Wie sich zeigte, war sie auch bei den Fasern des Pazyryk-Teppichs weitgehend verschwunden. Den Einfluss der Fermentation konnten die Wissenschaftler aber dennoch durch die Vergleiche nachweisen. „Bei den fermentierten Wollfasern zeigt sich eine charakteristische Verteilung des Aluminiums entlang des Querschnitts. Das gleiche Muster haben wir nun in den Fasern aus dem Pazyryk-Teppich ebenfalls nachweisen können“, berichtet Späth.
Somit konnten sie bestätigen, dass das Verfahren bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. zum Einsatz kam. Es handelt sich um den mit Abstand frühesten Nachweis der Fermentationstechnik von Wolle. Das Ergebnis verdeutlicht, wie hoch entwickelt bereits die Techniken der Textilhandwerker vor mindestens 2400 Jahren waren, resümieren Späth und seine Kollegen.
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-021-84747-z
Der Pazyryk-Teppich in der Eremitage in St. Petersburg