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Erinnerungspolitik der Luxemburger

Geschichte des Kurfürstendamms

Erinnerungspolitik der Luxemburger

Die sogenannte Bilderchronik der Romfahrt Kaiser Heinrichs VII., heute einer der Schätze des Landeshauptarchivs in Koblenz, entstand um 1340 am Hof des Erzbischofs Balduin von Trier (gestorben 1354). Er war ein Bruder des schon 1313 verstorbenen Kaisers.

Dass die beiden Luxemburger Grafensöhne im frühen 14. Jahrhundert Hauptrollen auf der Bühne der Reichspolitik spielen konnten, war eigentlich schon eine unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte. Denn der 5. Juni 1288 hätte das Ende der Grafschaft Luxemburg markieren können: An diesem Tag verloren Heinrich VI. von Luxemburg und seine drei Brüder in der Schlacht von Worringen ihr Leben. Der Streit um das Herzogtum Limburg, den die Luxemburger mit Herzog Johann I. von Brabant ausgefochten hatten, war verloren. Die erhoffte Ausweitung der Luxemburger Grafschaft nach Norden hatte sich als ebenso mörderisches Vorhaben erwiesen wie die Hoffnung, mit Limburg auch den ersehnten Herzogstitel und damit die prestigeträch‧tige Rangerhöhung zum Reichsfürsten zu gewinnen.

Beim Tod ihres Vaters war Heinrich kaum neun, Balduin vielleicht gerade vier Jahre alt. Gute Beziehungen zum König von Frankreich retteten den Kindern die Zukunft. 1308 zum Erzbischof von Trier gewählt, gehörte Balduin zu den sieben Kurfürsten des Reichs. Als im selben Jahr Albrecht von Habsburg ermordet wurde, setzte er sich für die Wahl seines Bruders Heinrich zum König ein. Mit Erfolg, denn der Luxemburger schien den anderen Kurfürsten schwach genug, um ein König nach ihrem Geschmack zu werden.

Schon 1310 brach Heinrich VII. nach Italien auf. Die Kaiserkrönung in Rom sollte seine Autorität im Reich stärken. Aber der Romzug geriet nicht nur zum Höhepunkt seiner Regierung, sondern auch zu deren Katastrophe: In eine nicht abreißende Kette von Konflikten mit den italieni‧schen Kommunen, dem Papst und schließlich König Robert von Neapel verstrickt, erkrankte der Kaiser kurz nach Beginn seines Kriegszuges nach Süditalien. Zwar suchte er noch Linderung seiner Schmerzen in den Heilquellen von Macereto, starb aber schon im August 1313 nicht weit von Siena.

Seine Anhänger konnten sich den plötzlichen Tod nicht anders als durch Giftmord erklären, den sie seinem Beichtvater, einem italienischen Dominikanermönch, sicher zu Unrecht vorwarfen. Das Heer löste sich auf, Heinrich wurde nach Pisa überführt und im Chor des Domes beigesetzt. Eine weitreichende Entscheidung hatte er aber schon vor dem Aufbruch nach Italien getroffen: Er hatte seinen Sohn Johann mit der böhmi‧schen Königstochter Elisabeth verheiratet – und damit die eher bescheidenen Stammlande im äußersten Westen durch ein Königreich im Osten des Reichs vergrößert. Auf der Grundlage dieser Hausmacht würde 1346 erneut ein Luxemburger nach der deutschen Krone greifen – Karl IV., der Enkel Heinrichs VII.; auch dafür wurde die Unterstützung Balduins entscheidend.

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Die Bilderchronik von Heinrichs Romfahrt war Bestandteil des Geschehens, von dem sie selbst Zeugnis ablegt – dem Aufstieg einer Grafenfamilie zur Erzbischofs- und dann Kurfürsten-, zur Königs- und schließlich zur Kaiserwürde. Die Chronik besteht aus 73 kolorierten, in Registern von je zwei Bildern pro Seite angeordneten und nur mit wenigen Worten erläuterten Federzeichnungen. Sie erzählen auf 37 etwa DIN-A-4-großen Pergamentblättern die Geschichte vom kometenhaften Aufstieg Balduins und seines Bruders – bis hin zum letzten Akt des Dramas in Italien.

Miniaturen aus dieser einzigartigen Quelle illustrieren jedes Werk zur Kunstgeschichte des Spätmittelalters und gehören zum selbstverständlichen Kanon der Schulbuch-Abbildungen. Sie geben Einblick in viele Details zeit‧genössischer Kleidung und Bewaffnung und liefern unüberschaubar viele realienkundliche Details.

Die Bilder zeigen aber auch Rituale mittelalterlicher Königsherrschaft – etwa die Altarsetzung des Königs nach der Wahl, das Krönungsmahl, die der Kaiserkrönung folgende Privilegienbestätigung für die jüdische Gemeinde in Rom oder die demütigende Unterwerfung von Feinden des Königs, die mit dem Strick um den Hals als Zeichen für ihre eigentlich verdiente Strafe um die Gnade des Herrschers nachsuchen mussten.

Vorbildfunktion für den ansonsten kaum verbreiteten Typus der Bilderchronik könnten die „Grandes Chroniques de France“ gehabt haben, jene mit Miniaturen versehenen Werke offiziöser Geschichtsschreibung, die in der Umgebung des französischen Hofs entstanden und dort bei besonderen Anlässen auch gezeigt wurden. Die Luxemburger könnten sie bei ihren Aufenthalten in Paris kennengelernt haben. Tatsächlich gibt es auch Berührungspunkte mit der Pariser Buchmalerei, jedoch hat das vergleichsweise provinziellere Bildprogramm der „Romfahrt“ einen gänzlich anderen Charakter, dessen Vermittlung mangels fehlender lokaler Vergleichsbeispiele bislang unklar ist.

Angesichts der eminenten kulturgeschichtlichen Bedeutung der Miniaturen war eine Edition der Bilder im Originalformat längst überfällig. Historiker der Universitäten Luxemburg und Trier haben die Chronik im Kliomedia Verlag neu herausgegeben, die Bilder ausführlich erläutert und nach dem „Sitz im Leben“ gefragt, den das Werk gehabt haben könnte. Eine Reihe von Beiträgen klärt den historischen Hintergrund, den Zusammenhang zwischen der Bilderchronik und den auf Balduins Anordnung hin entstandenen Urkundenbüchern, den „Balduineen“, sowie die Entstehungszeit der Chronik (zwischen 1340 und 1345).

Von aktuellen Forschungsinteressen an symbolischen Verhaltensweisen geleitet zeigt sich die Frage nach der Inszenierung von Politik in den Bildern von feierlichen Einzügen des Herrschers (adventus), Unterwerfungen, Eidesleistungen, Gerichtssitzungen und Krönungen. Deutlich tritt die Rolle Balduins als Wahrer und Propagator der luxemburgischen Memoria hervor: Ihr waren seine Trierer Kirchenstiftungen ebenso verpflichtet wie die Bilderchronik, die mit der Aufforderung zum Gebet für den im fernen Pisa beige‧setzten Heinrich VII. schließt.

Dem Tod des Kaisers gelten vier Bilder. Sie zeigen die Beweinung des Leichnams durch das ritterliche Gefolge, Heinrichs Rückführung nach Pisa und die Totenmesse sowie das vom Reichsadler, dem böhmi-schen und dem luxemburgischen Wappen gekrönte Grabmal. Dieses letzte Bild füllt als einziges ein ganzes Pergamentblatt, was die Bedeutung des Gebetsgedenkens für den verstorbenen Herrscher eindrucksvoll unter Beweis stellt.

So wichtig die Herausgabe der Bilder war, so muss doch das Urteil über die begleitenden wissenschaftlichen Artikel ambivalent ausfallen. Dort wird manches gegensätzlich beurteilt – etwa die Entstehungszeit der Gesta Baldewini noch zu Lebzeiten oder erst nach dem Tod Balduins; manche Wertungen sind fragwürdig, wie die Einschätzung des Pisaner Grabmals als „Denkmal“ für das „reichspolitische Programm“ Heinrichs VII. oder die Akzentuierung von Friedens- und Rechtswahrung als „ritterliche Tugend“ statt als zentrale Herrscherpflicht. Manche Fragen bleiben offen – etwa nach der Funktion einer spezifisch dynastischen Memoria am Trierer Bischofssitz: War sie bloß retrospektiv oder doch auch zukunftsorientiert hin auf künftig erwünschte Bindungen zwischen Trier und dem Königtum? Und manche Sachverhalte kommen entschieden zu kurz – etwa die Frage nach dem kommunikativen Kontext der Chronik, für den die zwar abgebildeten, aber nirgends problematisierten zeitgenössischen Randnotizen ebenso wichtig sind wie die nicht weiter behandelten Wappenzyklen. Über den „Sitz im Leben“ bleibt auch künftig noch nachzudenken, denn mit der Annahme, die Italienfahrer hätten „sich an langen Winterabenden bei einem Glas Wein die Taten ihrer Jugend in Erinnerung“ gerufen, ist die Frage nach dem Publikum der Bilder sicher nicht abschließend beantwortet. Ein Fotoalbum, das zeigt dieses Buch überdeutlich, war die Bilderchronik eben gerade nicht.

Literatur: Michel Margue / Michel Pauly / Wolfgang Schmid (Hrsg.), Der Weg zur Kaiserkrone. Der Romzug Heinrichs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von Trier. Trier 2009.

Quelle: Prof. Dr. Knut Görich
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