Seit wann kennen Sie ihn?
Anatol Regnier: Carl Zuckmayer ist mir seit langem geläufig, weil er in seiner Jugend mit meiner Mutter Pamela Wedekind befreundet war, nach dem Ersten Weltkrieg in München und Berlin. Die damals gemeinsam erlebten Feste beschreibt er in seinen Erinnerungen „Als wär’s ein Stück von mir“. Zuletzt habe ich Zuckmayer wieder sehr schätzen gelernt bei den Recherchen für mein jüngstes Buch über Schriftsteller im Nationalsozialismus.
Was beeindruckt Sie an ihm?
Seine glänzende Fähigkeit, Stücke zu schreiben. Seine Dialoge sind geschliffen, mitunter außerordentlich komisch, nicht zuletzt in seinem ersten Erfolgsstück „Der fröhliche Weinberg“, einem herzerfrischend lustigen Werk. Beeindruckt hat mich auch, dass er, der eigentlich seine Karriere mit Brecht gemeinsam begonnen hatte, sich Brecht nicht unterordnete. Schwächere Naturen hätten das getan. Zuckmayer ist einen anderen, weniger politischen Weg gegangen. Er hat sein eigenes Talent erkannt und darauf vertraut.
Er war im Unterschied zu Brecht kein großer Freund einer thesenhaften Bühnenkunst?
Er hat aus dem prallen Leben geschöpft. Er war ein großartiger Stilist, handwerklich vom Allerfeinsten, bis in die sprachlichen Nuancen hinein. Der rheinhessische Dialekt im „Fröhlichen Weinberg“ war seine Heimatmundart. Aber wie er im „Hauptmann von Köpenick“ den Berliner Zungenschlag traf – erstaunlich.
Er hatte eine bewegte Biographie, war sogar eine Zeitlang Farmer in den USA. Was fasziniert mehr, Leben oder Werk?
Beides. Viele Leute seiner Generation hatten bewegte Schicksale. Bemerkenswert an Zuckmayer war die Einstellung zum Leben. Er hat sein Emigrantendasein gemeistert, war auch in den USA erfolgreich, konnte schreiben und war zugleich Landwirt in Vermont.
Er lehnte nach 1945 die deutsche Staatsbürgerschaft ab.
Er war ja streng, auch klar in seiner Haltung. Aber er war ein versöhnlicher Mensch, das gefällt mir an ihm. Er war ein loyaler Freund, auch über ideologische Grenzen hinweg. Den Kontakt zu der Dichterin und NS-Sympathisantin Ina Seidel, der Schwester seiner einstigen Geliebten Annemarie Seidel, hat er nie abreißen lassen. Seine Tochter Winnetou hat in einem Interview gesagt, ihn manchmal zu milde gefunden zu haben. Aber er hat viel dazu beigetragen, Wunden zu heilen.
War die Figur des Harras in „Des Teufels General“ nicht ein Identifikationsangebot für NS-verstrickte Zeitgenossen?
Natürlich wurde ihm das angekreidet, und es stimmte ja auch. Aber Menschen sind komplexe Wesen, das stellt Zuckmayer heraus. Immerhin hat Harras, ein hoch dekorierter Offizier, die Konsequenz aus seiner Verstrickung gezogen, als er sah, dass seine Tätigkeit und ethisches Handeln unvereinbar waren.
Ist Zuckmayer noch aktuell?
Er wird nur noch wenig gespielt. Der Stil der Dramatik hat sich verändert, andere Themenkreise sind in den Vordergrund gerückt. Aber Zuckmayers Theaterstücke werden ihren künstlerischen und ethischen Wert behalten – und vielleicht auch auf den Bühnen eine Renaissance erleben.
Interview: Dr. Winfried Dolderer
Anatol Regnier geb. 1945, Schriftsteller, Chansonsänger, Gitarrist. Zu seinen Werken zählt „Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus“ (2020). Ausgezeichnet wurdeer unter anderem mit dem Schwabinger Kunstpreis (2012).
Carl Zuckmayer (1896 – 1977), deutscher Dramatiker. Emigrierte 1933 nach Österreich, 1938 in die USA. Lebte nach dem Krieg in der Schweiz. Werke unter anderem „Der fröhliche Weinberg“ (1925), „Der Hauptmann von Köpenick“ (1931), „Des Teufels General“ (1946).