In Westminster wurden offenbar einst die Rösser der Könige und Edelleute bestattet: Analysen von Skeletten aus einem besonderen Fundort in London haben Einblicke in die Rolle von Pferden als Statussymbole und internationale Handelsgüter im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa geliefert. Die Forscher konnten die Herkunft der Reittiere in einigen Fällen auf weit entfernte Regionen zurückführen. Offenbar wurden die Elite-Pferde von dort bezogen, um sich mit ihnen im noblen Umfeld zu schmücken und sie bei Turnieren einzusetzen, sagen die Forschenden.
Sie leisteten Arbeit, dienten der Fortbewegung und trugen Soldaten in die Schlacht: Pferde besaßen bekanntlich eine vielschichtige Bedeutung für die Kulturen der Vergangenheit. Ein Aspekt war dabei auch ihre Rolle als Statussymbole. Sich überhaupt ein Pferd leisten zu können, war schon ein Zeichen von gewissem Wohlstand. Reichtum und hohen gesellschaftlichen Status vermittelten darüber hinaus die besonders edlen Rösser. Ihre Bedeutung ist dabei mit den teuren und schicken Autos unserer Zeit zu vergleichen. Pferde dieser Kategorie aus dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit standen nun im Fokus der aktuellen Studie.
Das Forschungsteam um Alexander Pryor von der University of Exeter hat sich dabei erneut mit Funden beschäftigt, die von einer besonderen archäologischen Stätte im Londoner Stadtteil Westminster stammen. Im Bereich der Elverton Street wurden dort in den 1990er Jahren knapp 200 Gruben entdeckt, in denen sich die Überreste von Pferden befanden. Aus Radiokarbondatierungen ging hervor, dass dieser Pferde-Friedhof im Spätmittelalter bis in die Tudor-Ära genutzt wurde – vom 14. bis ins 16. Jahrhundert.
Eine Ruhestätte für besondere Pferde
Wie das Team betont, ist diese Begräbnisstätte sehr ungewöhnlich, denn die Körper von Pferden wurden in der Vergangenheit in der Regel verwertet und nicht begraben. Es ist damit davon auszugehen, dass es sich um eine spezielle Behandlung besonderer Tiere gehandelt hat. Dies passt auch zur Lage des Friedhofs: Im Mittelalter befand er sich in der Nähe des königlichen Palastkomplexes von Westminster, außerhalb der Stadtmauern Londons. Aus Überlieferungen ist bekannt, dass auf den dortigen Freiflächen Veranstaltungen für die Eliten stattfanden. „Es ist durchaus möglich, dass die Pferde bei Turnieren geritten wurden, von denen wir wissen, dass man sie in Westminster abgehalten hat – in der Nähe der Stelle, an der die Pferde begraben wurden“, sagt Pryor.
Das Forschungsteam hat nun einige Funde aus dem Pferde-Friedhof modernen Analysemethoden unterzogen, um genauere Hinweise auf die Merkmale und die Herkunft der dort bestatteten Tiere zu erhalten. Sie haben dazu 22 Backenzähne von 15 einzelnen Skeletten entnommen und aus ihnen Proben für Isotopenanalysen gewonnen. Dabei wurden die Isotopenverhältnisse der Elemente Strontium, Sauerstoff und Kohlenstoff in dem Zahnmaterial untersucht. Anhand bestimmter Signaturen der Verhältnisse sind Rückschlüsse darauf möglich, wo die Tiere einen Großteil ihres Lebens verbracht haben.
Weitgereiste Elite-Rösser
Aus den Ergebnissen des Teams ging hervor, dass viele Pferde ursprünglich nicht aus England stammten: Mindestens die Hälfte der untersuchten Tiere hatte einen internationalen Hintergrund. Die Spuren verweisen dabei vor allem auf Ursprungsregionen in Skandinavien, dem Alpenraum und anderen nord- und osteuropäischen Standorten, berichten die Forschenden. „Die chemischen Signaturen, die wir in diesen Fällen gefunden haben, unterscheiden sich stark von allem, was wir von Pferden erwarten würden, die in Großbritannien aufgewachsen sind“, sagt Pryor. „Diese Ergebnisse liefern damit direkte Belege für Pferdetransport- und Handelspraktiken in der Ära der Nutzung des Friedhofs. Vertreter des Königs und anderer mittelalterlicher Londoner Eliten durchstreiften demnach offenbar die Pferdehandelsmärkte in ganz Europa auf der Suche nach den hochwertigsten Pferden und brachten sie dann nach London“, so Pryor.
Wie die Forschenden weiter berichten, belegten zusätzliche Untersuchungen auch den Einsatz der Pferde. Physikalische Analysen der Zähne offenbarten dabei Abnutzungserscheinungen, die auf den intensiven Gebrauch einer Kandare schließen lassen. Der Einsatz dieser Gebissstücke zur Kontrolle des Pferdes bei Kriegseinsätzen und Turnieren ist ab dem 14. Jahrhundert aus Überlieferungen bekannt, sagen die Forschenden. Die Untersuchung der Skelette ergab außerdem, dass viele der Pferde für die Zeit weit überdurchschnittlich groß waren. In mehreren Fällen stellten die Forschenden zudem Verwachsungen an Wirbeln fest, die verdeutlichen, dass die Tiere sehr intensiv zum Reiten eingesetzt wurden.
Wie das Team resümiert, spiegelt sich in ihren Ergebnissen somit nun die Rolle der Pferde als Statussymbole und der internationale Handel mit Elite-Tieren im Mittelalter und der frühen Neuzeit wider. „In Elverton Street scheint unser Forschungsteam Belege für Pferde gefunden zu haben, die beim Turniersport eingesetzt wurden – dem Sport der Könige, bei dem Reiter ihre Kampf- und Reitkünste auf Elite-Reittieren unter Beweis stellten”, sagt Co-Autor Oliver Creighton von der University of Exeter. „Die schönsten mittelalterlichen Pferde waren wie moderne Sportwagen – extrem teuer und leistungsstark verkündeten sie den Status ihres Besitzers“, so der Wissenschaftler.
Quelle: University of Exeter, Fachartikel: Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.adj5782